Kampf um ukrainische Hafenstadt: Mariupol will nicht kapitulieren

Die Stadt ist von Russland zerstört worden, aber Tausende ukrainische Soldaten und Zivilisten verschanzen sich weiter im Stahlwerk Asowstal.

Zertrümmerte Häuser, im Hintergrund ein Brand und ein Stahlwerk

Die Stadt zerstört, das Stahlwerk Asowstal in Mariupol aber steht Foto: Alexander Ermochenko/reuters

BERLIN taz | Immer wieder verkündet Russland die Eroberung der ukrainischen Hafenstadt Mariupol, und immer wieder erweist sich diese Behauptung als voreilig. Nach fast zwei Monaten Krieg ist die einst 400.000 Einwohner zählende Stadt am Schwarzen Meer zwar fast vollständig zerstört, nach ukrainischen Angaben sind über 20.000 Bewohner getötet worden und in verlustreichen Straßenkämpfen haben die russischen Soldaten allmählich immer größere Teile des Stadtgebiets unter ihre Kontrolle gebracht.

Aber noch immer harren rund 800 ukrainische Soldaten – manche Quellen sprechen sogar von bis zu 2.000 – und etwa 1.000 Zivilisten auf dem riesigen Gelände des Asowstal-Stahlwerks aus, eine regelrechte Industriestadt am Hafen, die ebenfalls unter den täglichen Luft- und Raketenangriffen schwer gelitten hat, aber praktisch kaum einzunehmen ist.

Die Verteidiger von Mariupol haben das einst größte Stahlwerk Europas zu einer Festung ausgebaut, zitiert der britische BBC-Rundfunk den Militäranalysten Justin Crump: „Da gibt es Atombunker, Tunnel. Es ist gebaut, um einen Atomkrieg überstehen zu können. Sie können es sehr gut verteidigen, sie haben über 50 Tage Zeit gehabt, um es zu befestigen und Fluchtwege zu bauen. Wenn sie nicht ausradiert werden, werden sie sehr lange da bleiben.“

Ultimatum ergebnislos verstrichen

Am Sonntag hatte Russland den verbleibenden ukrainischen Kämpfern im Stahlwerk ein Ultimatum gesetzt, sich zu ergeben und ihre Waffen niederzulegen. Andernfalls werde man sie töten, hieß es. Das Ultimatum verstrich ergebnislos. Mariupol sei „nicht gefallen“, sagte Ukraines Regierungschef Denys Schmyhal: Man werde „bis zum Ende kämpfen“. Ukrainische Quellen fürchten, Russland könne geächtete Waffen einsetzen, um auf einen Schlag alle Menschen im Stahlwerk zu töten.

Mariupols Polizeichef Mi­chaj­lo Werschinin bestätigte in der Nacht zum Montag dem Lokalfernsehen, auch die Zivilisten im Stahlwerk wollten sich nicht ergeben: „Sie trauen den Russen nicht. Sie sehen, was in der Stadt vor sich geht, und bleiben deswegen auf dem Werksgelände.“ In den vergangenen Wochen sind immer wieder russische Zusagen, humanitäre Korridore für Zivilisten zur Flucht aus Mariupol einzurichten, gebrochen worden. Eine unbekannte Anzahl von Menschen ist außerdem aus Mariupol nach Russland verschleppt worden.

Die Schlacht um Mariupol bindet nach wie vor einen erheblichen Teil der russischen Invasionsstreitmacht im Süden der Ukraine. Sie kündigten für den Montag einen kompletten Lockdown für die Stadt an, um eine „Filtrierung“ der Bewohner durchführen zu können – dabei werden alle junge Männer im kampffähigen Alter festgenommen und entweder verschleppt oder erschossen.

Erst wenn die Kämpfe in Mariupol enden, kann Russland mit seiner immer wieder angekündigten Großoffensive zur Eroberung des gesamten Donbass beginnen. Im Nordosten des Gebiets sind US-Berichten zufolge die ersten aus dem Gebiet um Kiew abgezogenen russischen Kampfverbände eingetroffen; sie sollen aber in einem so schlechten Zustand sein, dass mit ihnen allein wenig anzufangen sei, so das Institute for the Study of War. Russland habe daher auch Einheiten, die turnusmäßig nach Syrien entsandt werden sollten, Richtung Donbass abkommandiert.

Detonationen in Kiew

In anderen Gebieten der Ukraine setzt Russland derweil seine Luftangriffe fort. Ein Reuters-Reporter berichtete am Montagmorgen von mehreren Detonationen in Kiew. Auch in den Regionen Lwiw im Westen der Ukraine und Dnipr im Osten waren Explosionen zu hören.

In der zweitgrößten ukrainischen Stadt Charkiw schlug laut Staatsanwaltschaft am Montagvormittag eine Granate auf einem Spielplatz ein, eine Frau und ein Mann wurden getötet. Einen weiteren Toten sowie sechs Verletzte gab es nach Angaben des Direktors eines medizinischen Nothilfezentrums bei einem Angriff auf ein humanitäres Hilfszentrum.

Bereits am Sonntag waren bei russischen Angriffen in Charkiw nach Behördenangaben sechs Menschen getötet worden. Präsident Wolodimir Selenski sagte in seiner abendlichen Videoansprache am Sonntag, in Charkiw seien allein in den vergangenen vier Tagen 18 Menschen getötet und 106 Personen verletzt worden. (mit dpa, rtr)

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