Kampf gegen Paragraph 353d: Wer darf publizieren?
Es ist verboten, Gerichtsdokumente während eines Verfahrens zu veröffentlichen. Journalist*innen klagen, mit dem Ziel, den Paragrafen abzuschaffen.
Darf man Gerichtsdokumente während eines laufenden Verfahrens veröffentlichen? Arne Semsrott, Journalist bei FragDenStaat, findet: Ja. Er hält einen entsprechenden Paragrafen im Strafgesetzbuch, der genau das verbietet, für verfassungsfeindlich, weil er gegen das Grundgesetz der Presse- und Wissenschaftsfreiheit verstoße. Um das vom Bundesverfassungsgericht klären zu lassen, hat er zwei Beschlüsse veröffentlicht, wurde angezeigt, musste vor Gericht und ist Mitte Oktober zu einer Geldstrafe verurteilt worden, die er allerdings nur bei Wiederholung zahlen muss.
Semsrott freut sich über das Urteil. Denn nun kann er die Entscheidung anfechten und im ersten Schritt vor den Bundesgerichtshof, dann vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Bis der Fall dort landet, können allerdings Jahre vergehen.
Ruhig soll es um das Thema bis dahin nicht bleiben. „Heute habe ich die Herausgeber*innen der Neuen Zeitschrift für Strafrecht (NStZ) angezeigt, weil sie einen Beschwerdebeschluss des Landgerichts München I veröffentlicht haben, der noch Teil eines laufenden Verfahrens war“, schreibt der Journalist Jean Peters von Correctiv bei LinkedIn. „Es besteht daher der Verdacht eines Verstoßes gegen § 353d StGB.“
Gegen genau den Paragrafen, wegen dem auch Semsrott verurteilt worden war. Peters schreibt weiter: „Mal sehen, ob das Gericht nicht nur Journalist*innen, sondern nun auch renommierte Bundesrichter*innen verurteilen wird.“ Denn: Unter den Herausgeber:innen der genannten Fachzeitschrift sind mehrere Bundes- und Verfassungsrichter*innen. Genau jene also, die über die Recht- und die Verfassungsmäßigkeit des Paragrafen zu entscheiden haben. Unter ihnen ist auch der ehemalige BGH-Richter Thomas Fischer, bekannt durch seine Kolumnen und als häufiger Talkshow-Gast.
Zweierlei Maß?
In der NStZ diskutieren Jurist*innen aktuelle Gerichtsentscheidungen, die sie teils im Wortlaut veröffentlichen. In der Anzeige bezieht sich Peters auf einen Beschluss vom 16. November 2023 gegen Mitglieder der Letzten Generation. Die NStZ habe den Beschluss veröffentlicht, bevor das Gericht diesen selbst online publiziert habe, schreibt Peters. Gerichte selbst fallen nicht unter das Verbot.
Ganz überraschend kommt die Anzeige nicht. Im Prozess vor dem Landgericht Berlin um Semsrott hatte sein Verteidigerteam die Veröffentlichung in der Fachzeitschrift bereits angesprochen. Es gebe häufig „Entscheidungen aus laufenden Verfahren in Fachzeitschriften und in Justizdatenbanken, ohne dass uns bekannt ist, dass gegen die Autor*innen ermittelt wird“, sagte Benjamin Lück von der Gesellschaft für Freiheitsrechte, die das Verfahren um Paragraf 353d unterstützt. Anwalt Lukas Theune sagte in seinem Schlussplädoyer mit Bezug auf die Veröffentlichung in der NStZ, dass konsequenterweise auch deren Herausgeber*innen verklagt werden müssten, und fragte: „Oder soll hier mit zweierlei Maß gemessen werden?“
Herausgeber Thomas Fischer sagte der taz auf Anfrage, eine entsprechende Strafanzeige sei ihm nicht bekannt. Ob die NStZ den Beschluss vor Veröffentlichung durchs Gericht veröffentlicht habe, wisse er nicht. Über Veröffentlichungen entscheide die „Schriftführung“ – also die Redaktion. Dazu verwies er auf seinen Gastbeitrag im Online-Rechtsmagazin LTO vom März. Darin schreibt er, dass er den Paragrafen für verfassungsmäßig hält, vor allem, weil das Bundesverfassungsgericht dies zweimal bestätigt habe. Semsrott und seine Verteidigung wiederum halten das Urteil von 1985 für veraltet und das zweite Urteil von 2014 habe sich nicht mit der Pressefreiheit befasst.
Eine Abschaffung von 353d, die Semsrott fordert, hält Fischer für falsch. Der Paragraf schütze die Verfahrensbeteiligten vor Beeinflussung von außen. Vorstellen kann er sich allerdings Ausnahmen für bestimmte „Zwischenentscheidungen“, die die Gerichte zuvor selbst veröffentlicht haben. Das wäre nicht ganz so weit entfernt von den Vorstellungen des Verteidigungsteams von Semsrott. Das will zwar im besten Fall eine Abschaffung des 353d, wenigstens aber kein generelles Verbot, sondern eine Einzelfallabwägung.
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