piwik no script img

Kampagne gegen AußenwerbungAnti-Werbe-Ini droht, Hamburg zu verklagen

Das Volksbegehren Hamburg Werbefrei verlangt vom Senat, dass er eine Testimonial-Kampagne der Außenwerber unterbindet. Diese müssten neutral agieren.

Aktion gegen aggressive Werbung: Plakatwand der Roten Flora Foto: David Hammersen/dpa

Hamburg taz | Die Volksinitiative „Hamburg werbefrei“ wehrt sich gegen eine Eigenwerbekampagne des Fachverbandes Außenwerbung. Sie unterstellt dem Verband, ihr Anliegen, Werbung einzudämmen, in unlauterer Weise unterlaufen zu wollen. Der rot-grüne Senat solle die Testimonial-Kampagne der Außenwerber deshalb unterbinden. Sollte das nicht geschehen, will die Initiative den Senat verklagen.

„Hamburg werbefrei“ möchte die Werbung im öffentlichen Raum stark einschränken. Insbesondere elektronische, animierte und sehr große Werbetafeln sollen aus dem Stadtbild verschwinden. Am Mittwoch startet dazu eine Unterschriftensammlung, die in einen Volksentscheid münden soll – es sei denn, die Hamburgische Bürgerschaft macht das Anliegen zu ihrem eigenen. Das hat sie auf einer früheren Stufe des Volksgesetzgebungsverfahrens bereits einmal abgelehnt.

Seit einigen Wochen hängen an vielen Masten der Stadt DIN-A3-Plakate, die in Schwarz-Weiß-Optik für das Volksbegehren werben. Etwa zeitgleich startete der Fachverband Außenwerbung (FAW) seine Kampagne in Hamburg. Vertreter gemeinnütziger Organisationen machen darauf aufmerksam, wie wichtig diese Werbemöglichkeiten sind, die sie selbst in Buchungslücken für wenig oder gar kein Geld bespielen können, darunter die Ehrenamtlichen beim Fußball, die Hamburger Tafel, eine Organisation der Ukrainehilfe und das Reeperbahn-Festival. „Mehr als Werbung!“ und „Außenwerbung macht’s möglich!“ steht auf den Bildschirmen.

Weniger Meinungsmacht und mehr Kultur

„Unmittelbar vor dem Start des Volksbegehrens ist diese massive, allgegenwärtige Kampagne als politische Einflussnahme zu bewerten“, kritisiert „Hamburg werbefrei“. In Zügen und Bahnhöfen der Hamburger Hochbahn sei politische Werbung grundsätzlich untersagt – auf den vielen digitalen Werbetafeln aufgrund der marktbeherrschenden Stellung der Anbieter höchst fragwürdig.

Der Hamburger Senat hat den Unternehmen Ströer und Wall (JC Decaux) 2007 ein Quasi-Exklusivrecht zur Nutzung des öffentlichen Raums für Werbung eingeräumt. 2020 zahlten sie der Stadt dafür knapp 27 Millionen Euro. Nach Angaben der Linken in der Bürgerschaft betreiben sie inzwischen 2.700 hinterleuchtete Werbeanlagen im Stadtgebiet. Im kommenden Jahr laufen die Verträge aus.

Die Volksinitiative will verhindern, dass der Senat einfach neue Verträge nach altem Muster abschließt. Sie erhofft sich dadurch weniger Energieverschwendung, weniger Ablenkung, weniger Lichtverschmutzung, weniger Meinungsmacht und mehr Kultur statt Kommerz. 50 Prozent der Werbefläche soll der Kultur vorbehalten werden.

Ini sieht eine Gegenkampagne

Mit dem Versuch, Außenwerbung positiv darzustellen, missbrauchten Ströer und Wall ihr Monopol, um ein direktdemokratisches Verfahren zu ihren Gunsten zu beeinflussen, sagt Nils Erik Flick, Initiator des Volksbegehrens. Das dürfe der Senat nicht tolerieren.

„Wenn der Senat ausschließlich zwei Unternehmen Sondernutzungserlaubnisse erteilt, haben diese sich neutral zu verhalten“, sagt Fadi El-Ghazi, der Anwalt der Volksinitiative. Andernfalls missbrauchten sie ihre Macht.

Dass die Aktion gerade jetzt stattfinde, sei Zufall, sagte Kai-Marcus Thäsler, Geschäftsführer des Fachverbandes, der taz. Auch in anderen Städten seien ähnliche „Dankesaktionen“ geplant. Die Kampagne in Hamburg sei bereits für das vergangene Jahr geplant gewesen, dann aber auf 2025 verschoben worden. „Man muss immer darauf ­achten, wann Kapazitäten dafür da sind“, sagte Thäsler. Er habe nicht einmal gewusst, dass „Hamburg werbefrei“ genau jetzt plakatiert. Martin Weise, Sprecher der Volksinitiative, mag das nicht recht glauben. „Das ist eine Gegenkampagne“, sagt er.

Ultimatum für den Senat

Der Anwalt der Initiatoren, El-Ghazi, hat dem Senat ein Ultimatum gestellt: Sollte er die Kampagne der Außenwerber nicht bis zum 17. April stoppen, will er Klage einreichen, und zwar direkt beim Landesverfassungsgericht. Der Senat sei für die Durchführung des Volksbegehrens verantwortlich, sagt El-Ghazi. Die Landesabstimmungsleitung müsse „in angemessenem Umfang“ über das Volksbegehren informieren. Angesichts der laufenden Gegenkampagne müsse hier deutlich mehr geschehen, so der Anwalt.

El-Ghazi argumentiert auch im Hinblick auf eine Klage, dass der Senat Ströer und Wall quasi ein Monopol eingeräumt habe. Zumindest für die U-Bahn rechnet er sich gute Klagechancen aus, weil dort politische Werbung verboten ist. Er räumt aber ein: „Wir betreten juristisches Neuland.“

Der Senat teilte auf Anfrage mit, er habe sich mit der FAW-Kampagne noch nicht befasst, wolle aber in Kürze den Verband und die betroffenen Unternehmen anhören. Nach vorläufiger Einschätzung handele es sich bei der Kampagne um eine deutschlandweite Kampagne. „Nicht nur örtlich, sondern auch inhaltlich dürfte die Kampagne keinen erkennbaren Bezug zum Volksbegehren selbst haben“, vermutet die Senatskanzlei.

In einer früheren Version dieses Textes heißt es, der Senat sei für die Durchführung des Volksentscheids verantwortlich. Anwalt El-Ghazi kommt es jedoch darauf an, dass das auch schon für das Volksbegehren gelte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

6 Kommentare

 / 
  • Heißt das also: Wenn ein Werbeunternehmen ein paar digitale Werbespots mit Testimonials in anderen Städten ausstrahlt oder dort ähnliche „Dankesaktionen“ plant, gilt das plötzlich als „deutschlandweite Kampagne“ – und das Volksbegehren Hamburg Werbefrei soll gefälligst die Füße stillhalten? Nur weil einzelne Clips auch außerhalb Hamburgs laufen, darf unsere Stadt mit einer flächendeckenden Gegenkampagne überzogen werden?

    Das wirkt weniger wie ein legitimer Beitrag zum demokratischen Diskurs – und eher wie eine gezielte Strategie, um Kritik an der Werbeindustrie im Kontext des Volksbegehrens auszubremsen.

    Und dass die Senatskanzlei „keinen erkennbaren inhaltlichen Bezug zum Volksbegehren“ sehen will, während sich auf Hamburgs Werbeflächen eine PR-Offensive zur Verteidigung der Außenwerbung abspielt – das ist schon fast satirisch.



    Wer bei einer PR-Kampagne für Außenwerbung keinen Zusammenhang zu einem Volksbegehren gegen Außenwerbung erkennt, hat ein bemerkenswert selektives Wahrnehmungsvermögen – und könnte vermutlich auch im Regen stehen und behaupten, das sei Luftfeuchtigkeit.

  • Auch die beiden Unternehmen werden wohl ein Anrecht auf freie Meinungsäußerung haben. Obsie sich dabei neutral zu verhalten haben oder nicht ergibt sich allenfalls aus den Verträgen mit Stadt.

    • @DiMa:

      Nö, Menschenrechte gelten nur für Menschen, nicht für Unternehmen.

      • @Eric Manneschmidt:

        Selbstverständlich gelten Menschenrechte partiell auch für Unternehmen. Das ist vollkommen unstrittig.

    • @DiMa:

      Natürlich haben auch Unternehmen ein Recht auf Meinungsäußerung, aber hier geht es nicht um ein paar Social-Media-Posts, sondern um eine flächendeckende Werbekampagne auf öffentlichen Werbeflächen. Wenn die Anbieter dieser Flächen aktiv in den politischen Diskurs eingreifen und dabei ihre marktbeherrschende Stellung nutzen, um eine Gegenkampagne zum laufenden Volksbegehren zu fahren, dann ist das keine neutrale Meinungsäußerung mehr, sondern Meinungsmacht. Und genau darum geht es doch.

      • @Christian Bleicken:

        Eine Meinungsmacht wäre doch nur gegeben, wenn ein etaiges Monopol auf die Außenwerbung gleichzeitig ein Monopol bei der Meinungskundgebung bedeuten würde. Das ist angesichts der vielfältigen Meinungskanäle doch wohl eher nicht der Fall.

        Im Übrigen ist das Vorgehen des Anwaltes kontraproduktiv, so bekommt die Sache mehr Aufmerksamkeit.