Justizreform in Schleswig-Holstein: Gerichte in Not
Die FDP sieht überlastete Staatsanwaltschaften und Probleme bei der Digitalisierung. Das Ministerium plant nach Protesten nun eine kleine Justizreform.

Rund 336.000 Fälle gingen im Jahr 2024 bei den Staatsanwaltschaften ein, erledigt wurden aber nur rund 191.000 Fälle. In den Vorjahren sahen die Werte ähnlich aus. Das geht aus einer Großen Anfrage hervor, mit der die FDP die Lage der Justiz insgesamt in den Blick nehmen wollte.
Besonders die Schieflage bei den Staatsanwaltschaften nannte Buchholz „katastrophal“. Bei einer derartigen Überlastung der Strafverfolger passiere es, dass sogar Haftsachen liegenbleiben und dass „man dann wegen überlanger Verfahrensdauer Menschen aus der Untersuchungshaft entlassen muss“. Dies passiere aber laut der Antwort des CDU-geführten Justizministeriums nur in Einzelfällen oder betreffe einzelne Taten im Rahmen eines größeren Prozesses, so dass der Wegfall einzelner Punkte keinen Effekt auf eine Gesamtstrafe habe.
Doch auch die immer komplexeren Verfahren sah Buchholz als weiteres Problem: Manche Anwält:innen würde inzwischen Schriftsätze per KI schreiben lassen, die übrigen Prozessbeteiligten müssten sich durch ein „Terrabyte Akten“ lesen – teils auf Papier, teils in elektronischen Akten.
Protest gegen Standortschließungen
Denn die Gerichte stecken in der Digitalisierung, sind aber derzeit noch im „Mischbetrieb“, wie das Ministerium schreibt. Das macht die Arbeit aufwändig, vor allem, weil auch die E-Akten nicht immer zuverlässig funktionieren: „Ein von vielen Anwenderinnen und Anwendern geschildertes Problem ist eine als mangelhaft empfundene Performance dieses Gesamtsystems“, heißt es etwas gewunden in der Ministeriums-Antwort. Das sei gerade in Amtsgerichten ein Problem, wo pro Tag eine Person 50 bis 70 Akten öffnet und bearbeitet, sagt Buchholz: „Da sitzt der Richter dann lange vor der Eieruhr auf dem Bildschirm.“
Im Herbst 2024 hatte es landesweit Proteste gegen die geplante Justizreform gegeben. Für Ärger sorgte vor allem, dass Justizministerin Kerstin von der Decken (CDU) mehrere kleinere Gerichtsstandorte schließen wollte. Zurzeit gibt es in den 15 Kreisen und kreisfreien Städten zusammen 22 Amtsgerichte sowie zahlreiche Fachgerichte, etwa für Arbeits- oder Sozialrecht. Gegen die Schließung von Standorten protestierten Gerichts-Beschäftigte ebenso wie Sozialverbände: Sie fürchteten weitere Wege für Menschen, die vor einem Amtsgericht erschienen müssen – dort geht es oft um Verfahren, in denen Beteiligte sich selbst vertreten.
Die Ministerin plant nun eine etwas kleinere Reform. So sollen einige der Fachgerichte in Zweigstellen oder Kammern umgewandelt werden. Damit bleiben die Standorte erhalten, während hinter den Kulissen „Synergien bei Gebäuden und Personal erreicht werden“, wie es auf der Homepage des Ministeriums heißt. Wie genau die Reform aussehen wird, ist derzeit unklar. Diese Unsicherheit sorge aus Sicht der FDP für Unruhe: „Wer nicht weiß, ob sein Arbeitsplatz erhalten bleibt, schaut sich vielleicht bei einer Verwaltung oder bei den Gerichten in Hamburg um“, so Buchholz.
Er fordert Kerstin von der Decken daher auf, die Reform auszusetzen. „Mir ist, trotz mehrfacher Nachfrage, nicht bekannt, dass dadurch ein relevantes Einsparpotenzial entsteht“, sagte er. Zudem sei es sinnvoll, für den digitalen Wandel externe Fachkräfte zu holen: „Zurzeit wird viel Fachpersonal gebunden, das anderweitig hätte eingesetzt werden können.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!