Justiz in der Türkei: Oppositionspolitikerin verurteilt

Canan Kaftancioglu wird Terrorpropaganda vorgeworfen. Nun muss die Istanbul-Vorsitzende der CHP knapp fünf Jahre ins Gefängnis.

Eine Frau grüßt die Menge um sie herum.

Canan Kaftancioglu grüßt ihre Anhänger vor dem Gebäude ihrer Partei CHP Foto: Murad Sezer/rtr

ISTANBUL taz | Mit Canan Kaftancioglu ist am Donnerstagabend eine der wichtigsten Oppositionspolitikerinnen der Türkei zu vier Jahren, elf Monaten und zwanzig Tagen Gefängnis verurteilt worden. Diese Entscheidung hatte das oberste Berufungsgericht bekannt gegeben, nachdem die Politikerin zuvor von einer unteren Instanz zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt worden war.

Mit dem Urteil ist ein Politikverbot für fünf Jahre verbunden. Kaftancioglu war bis Donnerstagabend auf freiem Fuß. Bis zuletzt war unklar, ob sie tatsächlich ins Gefängnis muss oder ihre Strafe auf Bewährung ausgesetzt wird. Klar ist aber, dass sie bei den kommenden Präsidentschafts-Parlamentswahlen nicht mitmischen kann.

Genau das dürfte das Ziel dieses Polit-Urteils gewesen sein. Canan Kaftancioglu ist die Istanbul-Vorsitzende der kemalistisch-sozialdemokratischen CHP, der größten Oppositionspartei der Türkei. Sie war es, die im Frühjahr 2019 beim Wahlsieg von Ekrem Imamoglu in Istanbul die Fäden gezogen hatte und Präsident Recep Tayyip Erdogan damit die bislang schwerste Niederlage seit seiner Wahl 2003 zufügte.

Die Anklage gegen Kaftancioglu und die jetzt endgültige Verurteilung zu fast fünf Jahren Haft scheint ein klarer Racheakt des Präsidenten zu sein. Vorgeworfen wurden ihr, dass sie per Twitter den Präsidenten beleidigt, die türkische Republik herabgewürdigt und gar zu Terrorpropaganda aufgerufen haben soll: klare Meinungsäußerungen, die im Prozess als Straftaten umgeschrieben wurden. Diese Tweets soll sie in der Zeit zwischen 2012 und 2017 gepostet haben.

Türkische Justiz wird von Erdogan instrumentalisiert

Nach der Verurteilung in erster Instanz waren nahezu alle politischen Beobachter noch davon ausgegangen, dass das Urteil im Berufungsverfahren keinen Bestand haben würde. Zu offensichtlich war die politische Intention des Prozesses. Doch ein Jahr vor der entscheidenden Präsidentschaftswahl im Juni 2023 ist die Justiz in der Türkei offenbar nur noch ein Instrument zum Machterhalt von Präsident Erdogan.

Nach dem Urteil zu einer lebenslangen Haftstrafe gegen den Oppositionellen Osman Kavala Ende April ist das Politikverbot gegen Kaftancioglu nun der nächste Beleg für die Instrumentalisierung der türkischen Justiz.

Vor diesem Hintergrund bekommt ein laufendes Verfahren gegen den Istanbuler Oberbürgermeister Imamoglu eine ganz neue Brisanz. Ihm wird vorgeworfen, die Mitglieder der zentralen Wahlkommission der Türkei beleidigt zu haben, nachdem diese auf Anweisung Erdogans im März 2019 einen ersten Wahlsieg Imamoglus in Istanbul für ungültig erklärt hatten.

Dieses Verfahren erschien lange wie ein schlechter Witz, doch nach der Verurteilung von Kaftancioglu muss nun damit gerechnet werden, dass auch Imamoglu per Justiz aus dem Verkehr gezogen wird. Er gilt als einer der aussichtsreichsten Politiker, der im kommenden Jahr für die Präsidentschaft kandidieren könnte. Das Urteil gegen ihn wird im Juni erwartet.

Die Wirtschaftskrise in der Türkei setzt Erdogan deutlich zu

Auch ein Verbot der kurdisch-linken HDP, der zweitgrößten Oppositionspartei im Parlament, wird nun immer wahrscheinlicher. Ein Verfahren gegen die HDP ist vor dem Verfassungsgericht anhängig. Erdogan könnte die Partei durch ein Verbot für die kommenden Wahlen aus dem Rennen nehmen. Angesichts der massiven Wirtschaftskrise in der Türkei sind seine Umfragewerte so weit abgesunken, dass er mit einer Wiederwahl unter normalen Umständen kaum noch rechnen kann.

Die CHP hatte am Donnerstagabend alle Abgeordneten der Partei zu einer spontanen Protestaktion nach Istanbul gerufen. In einer Woche soll in Istanbul eine Großdemonstration zur Unterstützung der Istanbuler Parteichefin stattfinden.

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