Justiz in der Türkei: Cumhuriyet vor Gericht
Siebzehn Mitarbeiter der linksliberalen Zeitung sind angeklagt, terroristische Organisationen unterstützt zu haben. Für die Redaktion ist das absurd.
Der Prozess gegen die Cumhuriyet-Journalisten und kaufmännischen Mitarbeiter ist so etwas wie die Abrechnung der Regierung mit den wichtigsten Stimmen der säkularen Türkei. Unter den Inhaftierten ist der Chefredakteur Murat Sabuncu, der Vorsitzende der Cumhuriyet-Stiftung Akin Atalay, der Karikaturist Musa Kart und der bekannte Kolumnist Kadri Gürsel.
Die Zeitung Cumhuriyet, schrieb der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen, Cristian Mihr, am Wochenende, „steht symbolisch für den mutigen Einsatz der wenigen noch verbliebenen unabhängigen Medien in der Türkei. Eine Verurteilung wäre ein verheerendes Signal und eine Schande für die türkische Justiz.“
Cumhuriyet (Die Republik) ist die älteste Tageszeitung der türkischen Republik. Sie wurde 1924 gegründet und versteht sich seitdem als Stimme der Aufklärung und der säkularen Türkei. Sie war über weite Strecken eng mit der Republikanischen Volkspartei (CHP) verbunden und unterstützt auch jetzt die Politik der Opposition.
Kritisch wie eh und je
Cumhuriyet erscheint jeden Tag kritisch wie eh und je. Doch seit Ende Oktober letzten Jahres, als die halbe Mannschaft verhaftet wurde, ist es für die übrigen Journalisten schwer, den Betrieb aufrecht zu erhalten. Vor allem die Tage nach den Verhaftungen seien „sehr schwer“ gewesen, sagte der kommissarische Chefredakteur Bülent Özdoğan der Nachrichtenagentur dpa.
Schon rein äußerlich ist die Spannung auf den ersten Blick erkennbar. Das Redaktionsgebäude ist abgeriegelt, eine Zeitlang kontrollierte die Polizei jeden, der das Gebäude betreten wollte. Innen ist eine Sicherheitsschleuse aufgebaut, weil die Redaktion befürchten muss, Ziel eines Attentates zu werden.
Die Staatsanwaltschaft fordert für die Angeklagten zwischen 4 und 43 Jahre Haft. Sie sollen wahlweise die FETÖ, die mutmaßlich für den Putschversuch verantwortliche islamische Gülen-Sekte, die kurdische Terrororganisation PKK, oder die DHKPC, eine militante linksradikale Splittergruppe, unterstützt haben. Die Anklage behauptet, dass diese Unterstützung begann, als Can Dündar Anfang 2015 Chefredakteur der Cumhuriyet wurde.
Gegen Dündar, der seit einem Jahr in Deutschland lebt, läuft noch ein weiterer Prozess. Mit dem Hauptstadtkorrespondenten Erdem Gül, ist er wegen Geheimnisverrat angeklagt. Beide sind in erster Instanz bereits zu gut fünf Jahren Haft verurteilt, weil sie im Juni 2015 aufdeckten, wie der türkische Geheimdienst Waffen an syrische Islamisten illegal über die Grenze schickte.
Öffentliche Kritik
Die Redaktion nennt die Vorwürfe gegen ihre Kollegen „absurd“. Warum, lässt sich am Beispiel eines der bekanntesten Kolumnisten, Kadri Gürsel, gut zeigen. Gürsel ist in der Türkei nicht nur als Schreiber, sondern auch als scharfzüngiger Diskutant aus Talkshows bekannt, zu denen er als säkulare Stimmen gegen islamische Intellektuelle eingeladen wurde. Insbesondere die Gülen-Sekte hat er immer wieder öffentlich kritisiert.
Jetzt soll er als ihr Unterstützer ins Gefängnis. Der Beweis der Anklage: Anrufe und SMS von angeblichen oder tatsächlichen Gülen-Leute an seine Adresse.
Nun ist Kadri Gürsel auch im Vorstand des Internationalen Press Instituts (IPI) und hat sich für bedrängte Kollegen eingesetzt. Deshalb wurde er eine Zeit lang, als im Frühjahr 2016 die Gülen-nahe Zeitung Zaman geschlossen wurde, mit SMS von gefeuerten Gülen-Leuten geradezu bombardiert. Laut Protokoll der Telefongesellschaft hat er von 92 SMS 84 gar nicht geöffnet. Auch die Vorwürfe gegen die anderen Cumhuriyet-Leute sind von ähnlicher Qualität. Der Prozess ist für vier Tage angesetzt. Wann ein Urteil fällt, ist offen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana