Justiz gegen Oppositionelle in Russland: Knapp am Knast vorbei
Der Student Jegor Schukow hatte an Protesten der Opposition teilgenommen. Dafür wurde er nun zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.
Mit Sprechchören begleiteten sie die Urteilsverlesung im Gericht, wo nur wenige an der Verhandlung teilnehmen konnten. „Keine Repressionen“, „Freiheit für politische Häftlinge“ und „Klaut uns nicht die Zukunft“, skandierten hunderte Demonstrantinnen.
Schukow ist einer der bekanntesten Angeklagten seit den Demonstrationen gegen den Ausschluss der Opposition von den Moskauer Regionalwahlen im Sommer.
Zur Solidarisierung trug noch bei, dass der 21-jährige zunächst wegen Aufrufs „zu Massenunruhen“ angeklagt werden sollte. Es stellte sich jedoch heraus, dass Jegor Schukow mit einem anderen Aktivisten verwechselt worden war. Der fuchtelte mit den Armen in der Luft und rief angeblich zu Widerstand auf.
Der Willkür ausgeliefert
Die Strafverfolgungsbehörden sind selten bereit, Fehler einzusehen und Anklagen fallen zu lassen. Wer einmal in die Fänge des Justizsystems gerät, ist meist der Willkür der Behörden auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
In Schukows Fall ließen die Ermittler denn auch nicht locker und konstruierten im Anschluss eine Anklage wegen öffentlicher Aufrufe zu „Extremismus“. Im September wurde er schon in einer offiziellen Liste für „Extremisten und Terroristen“ namentlich geführt.
Die Beweisführung im Extremismusverdacht übernahm der Experte Alexander Korschikow vom Geheimdienst FSB. Der wertete eine Aussage wie „beliebige Formen des Protestes aufgreifen“, bereits als Indiz extremistischer Überzeugungen. Damit hätte Schukow Feindseligkeit gegenüber der Verfassungsordnung gezeigt und wolle die soziale Ordnung destabilisieren, hieß es in der Anklage.
Auch frühere Videos wurden auf verdächtiges Material durchgesehen und Seminararbeiten des BA-Studenten im Fach Sozialwissenschaften auf Umsturzgedanken untersucht.
Demonstranten abschrecken
Das Ziel des Kreml ist eindeutig: Einschüchtern und durch drakonische Strafen Demonstranten abschrecken. Auch ein Video, in dem Schukow das Buch vorstellt „198 Methoden gewaltlosen Widerstands“ wurde als Indiz herangezogen.
Die junge Generation lässt sich nicht mehr so einfach einschüchtern. Sie verlacht die Machthaber, wenn diese absurde Vorwürfe ersinnen, um am Ruder zu bleiben. Dahinter verbirgt sich mehr als ein üblicher Generationenkonflikt. „Je schlimmer meine Zukunft, desto breiter mein Lächeln“, sagte Schukow in seinem Schlusswort vor Gericht.
Der Dichter und Oppositionelle Dmitrij Bykow stand ebenfalls vor Gericht. Gegenüber dem TV Kanal Doschd sagte er, auch die Richterin verspüre die „Vibrationen im Rückenmark“, die von jenen Menschen ausgehen, die unter den Repressionen leiden. Das Justizpersonal hätte sehr „entwickelte Fühler“, meinte er: „Je lauter die Rufe und stärker die Erschütterungen, desto schneller wird das Personal von der Botschaft erreicht. Die Richter fürchten sich selbst vor Lagerhaft und haben Angst vor dieser Jugend“, so Bykow.
Das scheint sich auch in dem abgemilderten Urteil widerzuspiegeln. Die Vizedirektorin der Hochschule Valerija Kasamara verwahrte sich gegen Spekulationen, die Universität könne Schukow nun ausschließen. „Warum sollten wir?“, sagte sie. Schukow kann weiter bis zum BA studieren.
Nur unter Auflagen
Allerdings wurden Auflagen verhängt, die es ihm untersagen, im Internet eine Site und einen youtube Kanal zu unterhalten. Auch die Nutzung des Internets wurde eingeschränkt.
Beobachter sehen in dem Urteil indes noch mehr: Die unabhängige Beurteilung politischer Zusammenhänge im Internet wurde so deutlich erstmals unter Strafe gestellt.
Schukow ist einer von zehn Demonstranten, die bereits in der „Moskauer Sache“ verurteilt wurden. Gegen dreizehn Protestler laufen noch Ermittlungen und Strafverfahren.
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