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Jurastudium an der Bucerius Law SchoolStudierende künftig ehrenamtlich im Praxiseinsatz

Hamburgs Bucerius Law School verpflichtet Studierende, ehrenamtlich Rechtsberatungen durchzuführen. Dabei sollen sie soziale Realitäten kennen lernen.

Raus aus der Theorie: Vorlesung im Helmut Schmidt-Auditorium der Bucerius Law School in Hamburg Foto: Daniel Reinhardt/dpa

Hamburg taz | Bei den Feierlichkeiten zu ihrem 25-jährigen Bestehen hat die Bucerius Law School in Hamburg eine Neugestaltung ihres Studienangebotes angekündigt. Die Hochschule habe die juristische Ausbildung seit ihrem Bestehen maßgeblich geprägt und wolle nun ihre Vision des „Jurastudiums von morgen“ umsetzen, sagte Präsident Michael Grünberg. Dazu gehöre auch, praktische Erfahrung zu sammeln. Deswegen werden die Law Clinics der privaten Stiftungshochschule ab dem Wintersemester 2026/27 verpflichtend ins Studium integriert.

Law Clinics sind praxisorientierte Einrichtungen an juristischen Fakultäten, in denen Studierende unter Anleitung erfahrener Ju­ris­t:in­nen echte Fälle bearbeiten. Die Rechtsberatung folgt dem „Access to justice“-Ansatz – Zugang zur Gerechtigkeit – und ist kostenlos. Menschen, die sich keinen Rechtsbeistand leisten können oder keine passende juristische Beratung finden, werden dort von Studierenden unterstützt. Diese wiederum können ihr Wissen anwenden und das juristische Arbeiten kennenlernen.

Das Konzept ist in den USA längst verbreitet. In Deutschland sind Law Clinics ein junges Phänomen. Erst seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2008 können Studierende beratende Tätigkeiten aufnehmen. Seither finden sie großen Anklang. Mittlerweile gibt es bundesweit etwa 90 Law Clinics. Viele haben sich in Folge des gestiegenen Beratungsbedarfs von Eingewanderten nach 2015 gegründet, den die Fachanwälte nicht auffangen konnten. Studierende füllten diese Lücke.

Auch die Law Clinic der Bucerius Law School ist auf Initiative einer Studentin entstanden. Sie hatte während eines Praktikums im Integrationszentrum Hamburg-Nord festgestellt, dass vielen Klient*innen, die Rechtsbeistand brauchen, der Zugang dazu verwehrt war. So entstand 2012 eine Kooperation mit der Bucerius Law School. Mittlerweile deckt die Law Clinic fünf Rechtsbereiche ab, arbeitet mit über 30 Sozialberatungsstellen zusammen und berät 200 bis 300 Ratsuchende pro Jahr.

Kooperation mit Refugee Law Clincs in Kiel und Hamburg

Außerdem gibt es eine Law Clinic, die gemeinnützige Organisationen unterstützt, und es besteht eine Kooperation mit den Refugee Law Clinics der Unis Hamburg und Kiel im Bereich Abschiebehaftrecht. Gerade dort kommt es immer wieder zu gravierenden Fehlern. Studierende können dort als sogenannte Personen des Vertrauens benannt werden, die die Inhaftierten zu Anhörungen begleiten – und unter Umständen überraschende Erfolge erzielen können.

So konnte ein Student der Law School nach nur fünf Monaten Einarbeitung erreichen, dass die Inhaftierung seines Schützlings für unzulässig erklärt wurde. Bevor sie beratend tätig werden, erhalten die Studierenden ein spezifisches Training, oft in Rechtsbereichen, die nicht im Lehrplan enthalten sind.

Bian Sukrow, Leitung der Law Clinics der Bucerius Law School, bezeichnet die Einbindung in den Lehrplan als „Riesenerfolg“. „International werden die Law Clinics viel stärker gefördert. Deutschland hinkt da hinterher.“ Auch David Mutschler, Vorstand des studentischen Dachverbands Rechtsberatungen, findet den Vorstoß der Bucerius Law School „innovativ und richtungsweisend“.

Das Jurastudium ist bisher stark auf theoretisches Wissen und das Staatsexamen fokussiert. An­wäl­t*in­nen­kam­mern kritisieren seit Langem die praxisfremde Ausbildung und fordern eine stärkere Ausrichtung des Studiums auf den beruflichen Alltag.

Law Clinics können diesen Praxisbezug herstellen, stoßen als ehrenamtliches Zusatzangebot jedoch auf organisatorische Grenzen, volle Stundenpläne und ausgelaugte Studierende. Beratend tätig zu sein, ist auch eine weitere Belastung neben dem ohnehin schon schweren Studium.

Die Bucerius Law School

Die Bucerius Law School ist Deutschlands erste private Stiftungshochschule für Rechtswissenschaft. Sie wurde im Jahr 2000 von der Zeit-Stiftung Bucerius gegründet.

Die Stiftung finanziert die Hälfte des jährlichen Hochschulhaushalts. Die andere Hälfte des Etats kommt aus Studiengebühren von insgesamt 64.800 Euro. Durch einen umgekehrten Generationenvertrag werden sie erst nach Berufseintritt und prozentual vom Gehalt fällig.

Die Hochschule hat noch weitere Neuerungen angekündigt: einen Bachelorstudiengang, der juristische Grundlagen mit Kenntnissen in Wirtschaft, Politik und Digitalisierung verbindet, ein „Schleifenmodell“, das nachhaltigeres Lernen im Jurastudium ermöglichen soll und ein neues Debattenforum.

Schon bisher kann man sich Teile der ehrenamtlichen Arbeit im Studium anrechnen lassen. Durch die Einbindung in den Lehrplan will die Bucerius Law School die Zusatzbelastung weiter reduzieren. In der Folge soll die Mitarbeit in einer Law Clinic verpflichtend werden – auch mit dem Ziel, die Studierenden mit gesellschaftlichen Realitäten zu konfrontieren.

„Die allermeisten sind von den Entwicklungen an der Bucerius Law School begeistert“, sagt Mutschler vom Dachverband. „Vereinzelt gibt es aber auch die Sorge, dass – sollten andere Universitäten dem Vorbild der Bucerius Law School folgen – Erfahrungen aus studentisch organisierten Law Clinics nicht ausreichend in den Prozess einbezogen werden könnten.“

„Top down“ sei an der Herangehensweise der Bucerius Law School aber nur die Verpflichtung, an einer Law Clinic teilzunehmen, argumentiert Sukrow: „Jurastudierende sind im Schnitt überprivilegiert. Law Clinics sind Räume, in denen sie mit Menschen zusammenarbeiten, mit denen sie sonst nicht viel Berührung hätten. Menschen, über die sie aber vielleicht später als Rich­te­r*in­nen entscheiden. Die Gesellschaft kann nur profitieren, wenn wir Brücken bauen.“

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1 Kommentar

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  • In Deutschland ist Rechtsberatung grundsätzlich Rechtsanwälten vorbehalten, die eine Zulassung als Rechtsanwalt besitzen und die entsprechenden juristischen Staatsexamen bestanden haben. Andere kostenlose oder vergünstigte Beratungsmöglichkeiten wie z.B. von Verbraucherzentralen oder Vereinen oder Verbänden angeboten, sind nicht rechtssicher und es gibt keine Haftung wegen falscher Beratung.

    Mag sein, dass die oft aus privilegierten Verhältnissen stammenden JurastudentInnen in Law Clinics etwas über soziale Realitäten der weniger Privilegierten lernen. Lernen müssen sie aber weiterhin, dass Juristerei weniger mit Gerechtigkeit als vielmehr mit der flexiblen Auslegung der fallspezifischen Rechtslage zu tun hat. Ethische Fragen sozialer Gerechtigkeit spielen noch danach die geringste Rolle.