Junge Muslima in Deutschland: Lasst uns an einem „Wir“ arbeiten!
Als junge muslimische Frau in Deutschland erfährt man oft, dass man nicht wirklich dazugehört. Es ist an der Zeit, die Gesellschaft differenzierter zu denken.
![Muslima mit Deutschlandfahne Muslima mit Deutschlandfahne](https://taz.de/picture/3392139/14/Muslima.jpeg)
Mashallah, „wir“ werden mehr. Zur Zeit leben etwa 5,5 Prozent Muslime in Deutschland. Dem „Pew Research Center“ zufolge könnte dieser Anteil bis zum Jahr 2050 auf 11 Prozent steigen. Muslimtendenz steigend also.
Doch wer ist dieses von Anführungszeichen umklammerte Wir? Zunächst einmal allzu oft ein „Ihr“ voller Fremdzuschreibungen. Eine verbreitete Vorstellung innerhalb der westlichen Welt ist die von „dem Islam“ als eines monolithischen Blocks. Damit einher geht der Blick auf „die Muslime“ als „die Anderen“ schlechthin.
Was für ein schlichtes, falsches Weltbild. Meine Aufforderung wäre: Denken wir differenzierter. Gestalten wir in Deutschland gemeinsam einen Raum, in dem „wir“ und „ihr“ zueinander finden. In dem man als junge muslimische Frau nicht automatisch als unterdrückt, rückwärtsgewandt und ungebildet wahrgenommen wird.
Ich zum Beispiel trage Kopftuch, aber ich bin die größte Almanin überhaupt. Vor sieben Jahren bin ich mit meiner Familie aus Ägypten nach Deutschland eingewandert, gerade mache ich mein Abitur. Ich bin überpünktlich, sehr organisiert und trenne zu Hause unseren Müll. Manchmal habe ich das Gefühl, ich bin besser integriert als der Bundespräsident – und ich nehme mir dennoch die Freiheit heraus, ein Kopftuch zu tragen. Es ist dieses, oft als Symbol der Unterdrückung gelesene Stück Stoff, das den Blick vieler Menschen auf mich determiniert. Das mich reduziert – auf meine Kleidung, auf meine Religion.
Geboren am 11. September
Schon eine 2010 durchgeführte Studie des Soziologen Detlef Pollack kam zu dem Ergebnis, dass der Islam von den Befragten in Deutschland überwiegend mit negativen Eigenschaften wie der Benachteiligung von Frauen (82 Prozent), Fanatismus (73 Prozent), Gewaltbereitschaft (61), Engstirnigkeit (53) und Rückwärtsgewandtheit (39) assoziiert wird, während positive Eigenschaften wie Toleranz (5), Friedfertigkeit (8 Prozent) oder Solidarität (9 Prozent) dem Islam kaum zugesprochen wurden. Es ist anzunehmen, dass diese Zahlen in den letzten Jahren eher schlimmer geworden sind.
Mit meiner Geburt am 11. September 2001 – ja, tatsächlich, 9/11 – lässt sich eine Kulturalisierung und „Islamisierung“ der Debatten beobachten, die sich in den vergangenen Jahren durch den Diskurs um geflüchtete Menschen deutlich zuspitzte. In dieser Debatte werden Fragen von Migrations- und Identitätspolitik, innerer Sicherheit oder Jugendkriminalität zunehmend als „islamische“ Themen diskutiert. Dabei werden Eingewanderte aus islamisch geprägten Gesellschaften ebenso wie deren Nachfolgegenerationen oftmals pauschal als Muslime markiert – und damit in den Topf vorurteilsbehafteter Assoziationen geworfen.
Diesen Prozess kann man auch als „Muslimisierung“ von Muslim*innen bezeichnen, in dem türkisch- oder arabischstämmige Menschen pauschal dem „islamischen Kulturkreis“ zugeordnet werden. Die Betonung der religiösen Zugehörigkeit von Menschen aus mehrheitlich muslimischen Ländern geht dabei mit der Konstruktion einer homogenen muslimischen Gemeinschaft einher. Diese Zuschreibungen dienen dazu, ein kollektives „Ihr“ zu erschaffen. Und sie führen im Zuge dessen dazu, dass Unterschiede unter Muslim*innen sowie Gemeinsamkeiten zwischen muslimischen und nichtmuslimischen Personen vernachlässigt werden. Damit „wir“ wissen, wer „ihr“ seid.
Ein Raum, wo wir alle Deutsche sein können
Diese Pronomen und Stereotype, das merkt man auf beiden Seiten, verfestigen sich immer mehr. Islamisches Bewusstsein und die Identifikation als Muslim sind längst nicht mehr vorrangig an Religiosität oder Glauben gebunden, sondern zunehmend Reaktionen auf Fremdzuschreibung als Muslim, Diskriminierung und Entfremdung.
Die Islamwissenschaftlerin Kathrin Klausing von der Universität Osnabrück erklärt diesen gesellschaftlichen Entfremdungsprozess. Sie arbeitet heraus, dass Selbst- und Fremdzuordnungen von Zugehörigkeit und Differenz den Identitätsbildungsprozess besonders beeinflussen, wenn sie mit gesellschaftlichen Wertungen verbunden sind. Man könnte sagen: Ein „migrantischer Raum“ wird gegeben, jedoch keiner, wo wir alle Deutsche sein können.
![](https://taz.de/picture/3389983/14/tz4024_Faust_beta1_1-1.png)
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Einen solchen Raum müssen wir als Gesellschaft zusammen gestalten. Einen Raum, in dem es egal ist, ob jemand Schweinefleisch isst oder sich vegan ernährt. Ob eine Frau ein Kopftuch trägt oder einen Mini-Rock.
In dem niemand davon überrascht ist, dass ich flüssig Deutsch sprechen kann, oder sich darüber wundert, dass eine Ausländerin und Muslima sich für Umweltschutz und eine bessere Klimapolitik einsetzt. Aber selbstverständlich tue ich das, denn es geht um die Welt, in der ich in Zukunft leben werde. Diese Welt sollte im Idealfall nicht nur klimatisch lebenswert sein. Sie sollte endlich zu unserem gemeinsamen Raum werden.
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