Junge Le-Pen-Unterstützer*innen: Und was sagen die Eltern dazu?
Fahnen, Flyer und Parolen: Die Nachwuchsorganisation des Front National, der „Front national de la jeunesse“, trommelt für den Sieg Marine Le Pens.
Arques liegt im äußersten Norden Frankreichs, im ländlichen Departement Pas-de-Calais, Industrieruinen zwischen Milchbauernhöfen. Marine Le Pen bekam hier schon im ersten Wahlgang ein glattes Drittel der Stimmen. Beim zweiten sollen es noch mehr werden, deshalb treffen sich die frontistes heute, um von hier aus in die Umgebung auszuschwärmen. Bewaffnet mit Fahnen, Flyern und Parolen. Denn unter Macron, daran glauben sie fest, ginge das Land zugrunde. „Der ist noch unfähiger als Hollande“, sagt ein kräftiger 16-Jähriger namens Alexis. Er darf noch nicht mal wählen. Seine Eltern freuen sich trotzdem, dass er hier mitläuft, sagt er: „Sie denken, ich mache das Richtige.“ Später will er Bürgermeister werden.
Die Frischvermählten kommen aus der Tür. Zwei Frauen, beide im gleichen Brautkleid. Die Jungen werden unruhig, jemand kichert. Ihr Anführer sieht sich zu einem Statement genötigt. „Wir sind nicht homophob“, sagt Jean-Baptiste Vendeville und zupft seine Krawatte zurecht. „Im Gegenteil, wir wollen sogar die gleichgeschlechtliche Partnerschaft.“ Das sei zwar nicht dasselbe wie die Ehe für alle, wie sie in Frankreich Gesetz ist, aber: „Bereits geschlossene Ehen sollen natürlich bestehen bleiben, wir sind ja keine Unmenschen.“ Er strahlt, als sei er darauf besonders stolz.
Vendeville, 26, arbeitet als Versicherungsangestellter. Seit Kurzem sitzt er im nationalen Zentralkomitee des Front National. Warum engagiert er sich für Marine Le Pen? „Ich mache das nicht für Marine“, gibt er zurück, während er seinen schwarzen Golf mit dem Handteller lenkt, „sondern mit ihr. Wir wollen beide dasselbe: die französische Identität verteidigen.“ Im Fach neben der Schaltung steht eine Packung mit Kaugummis, die fast noch schärfer riechen als sein Aftershave. Alle halbe Stunde wirft er ein neues ein.
„Als ich zuletzt in Lille wohnte, gab es keinen einzigen französischen Fleischer mehr. Alles Araber.“ Und warum ist das so schlimm? Ein kurzes fassungsloses Schnauben, dann holt er tief Luft. Eigentlich habe er, Vendeville, quasi gar keine französische Identität mehr. Sie sei längst durch eine muslimische ersetzt. Auch Marine Le Pen benutzt dieses Narrativ gerne: Die „nationale Identität“ Frankreichs müsse wieder gestärkt werden, die Islamisierung des Landes bekämpft.
„Die Franzosen müssen wieder privilegiert werden“
Vendeville, wasserblaue Äuglein und stechender Blick, spielt die Rolle des unangenehmen Kleinstadtrechten mit offensichtlichem Vergnügen. Er trägt die hellblonden Haare militärisch kurz, dazu einen schwarzen Blouson mit passender Krawatte. Einer jungen Frau wird er später an diesem Nachmittag eintrichtern, ihre Hand nicht loslassend, sie müsse ihrem Land möglichst viele Kinder schenken.
Caroline Lev, FNJ
So leicht einzuordnen sind längst nicht alle jungen Le-Pen-Unterstützer. François und Caroline etwa würden in den alternativen Bars im eine Stunde entfernten Lille nicht weiter auffallen. François, 21, studiert dort Rechnungswesen, hat ein gewinnendes Lächeln und dunkle Locken. Eigentlich, er muss lachen, wäre er als Ökonom ja der prädestinierte Macron-Wähler. Nur habe Macron als Wirtschaftsminister die Regierung Hollande ruiniert. Außerdem müssten die Franzosen wieder privilegiert werden, anstatt Ausländer zu alimentieren.
Sein eigener Nachname stammt aus Polen, Frankreich ist ein Einwanderungsland. Was macht jemanden nach der Logik des Front National zum Franzosen? François blickt glaubhaft verdutzt, als habe ihn das noch nie jemand gefragt. Caroline wirft ein: „Auch ein Schwarzer kann Franzose sein. Hauptsache, er liebt sein Land.“ Richtig überzeugt wirkt sie allerdings nicht. François hat sich wieder gefangen: „Ich bin Patriot, kein Rassist. Wer etwas anderes behauptet, dem fehlen bloß Argumente.“ Die Jüngeren neben ihm pöbeln einander zum Spaß gegenseitig an, als hätten sie nur auf diesen Einsatz gewartet: „Ey, du Fascho!“
Caroline zieht die Augenbrauen hoch. Sie ist Medizinstudentin im ersten Jahr, trägt beige Skinny Jeans und Wildlederschühchen, lange blonde Locken fallen in ein schüchternes Gesicht. Sie stammt aus einer konservativen Familie, seit jeher Wähler der Republikaner, wie viele im katholisch geprägten Norden. Bis vor wenigen Wochen war auch Caroline Fillon-Unterstützerin. Dann kam der Skandal um die Familiengehälter.
Alles umdrehen, was das Gegenüber sagt
Spätestens da sei ihr klar geworden, sagt Caroline gleichmütig, dass sich unter Fillon nichts bewege: „Ich will wieder stolz auf Frankreich sein können, mich sicher fühlen.“ Also verteilt sie jetzt auf dem Marktplatz Flyer, auf denen Marine Le Pen erklärt, sie werde Recht und Ordnung im Land durch Grenzschließung und Gefängnisausbau wiederherstellen. Carolines Eltern dürfen nichts davon wissen. Viele ihrer Freundinnen hingegen wählen inzwischen auch Le Pen statt Fillon.
Ein wenig außerhalb biegt der schwarze Golf auf einen Parkplatz. Vendeville lässt die Heckklappe nach oben zischen und verteilt französische Nationalflaggen. Eine große blaue Fahne trägt er selbst. Auf ihr steht in weißer geschwungener Schrift das Wort „Liberté“. „Freiheit ist für mich das wichtigste Versprechen von Marine“, sagt er. „Frankreich muss wieder seine eigenen Entscheidungen treffen können, ohne von Brüssel abhängig zu sein.“
In Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen wird gewählt. Robert Habeck (Grüne) und Christian Lindner (FDP) sind die Hoffnungsträger ihrer Parteien. Wer kann liberale Wähler überzeugen? In der taz.am wochenende vom 6./7. Mai beschäftigen wir uns mit einem neuen Liberalismus. Außerdem: Männer, die ältere Partnerinnen haben. Wie liebt es sich mit dem Tabu? Und: Patricia Purtschert ist Gender- und Kolonialismusforscherin. Warum sie ihrer Tochter trotzdem Pippi Langstrumpf vorliest. Am Kiosk, eKiosk oder im praktischen Wochenendabo.
Und was ist mit der Freiheit des Einzelnen? Was ist mit der Égalité, gleichen Chancen für alle? Auf den Rassismusvorwurf ist der Front National vorbereitet. „Wir diskriminieren niemanden“, sagt Vendeville angriffslustig. „Der wahre Rassist ist doch Macron. Er will Ausländer bevorzugen, positiver Rassismus, schon mal gehört?“ Er macht das gerne: alles umdrehen, was das Gegenüber sagt, um Diskussionen ad absurdum zu führen.
Oft muss er das gar nicht mal. Laut Umfragen wollte schon kurz nach der ersten Wahl knapp ein Fünftel der bisherigen Mélenchon-Unterstützer Le Pen wählen. Sie wechseln innerhalb kürzester Zeit von ganz links nach ganz rechts, von Kommunist zu Rechtsextremistin – wie Anthony, 18. „Ich komme vom Land“, sagt der schlaksige Junge, der seine Freundin zum Zug nach Lille bringt. „Le Pen ist mir näher als Macrons komische Theorien, Wirtschaft und Europa und so. Der sitzt in Paris und hat keine Ahnung, was hier so abgeht.“ Stört es ihn nicht, dass Rassismus zu ihrem Programm gehört? Anthony zuckt nur die Schultern. „Ich kann damit leben.“
Als habe Le Pen in dieser Ecke 100 Prozent geholt
Rassismus als Dealbreaker – bei manchen funktioniert das. Zum Beispiel bei Antoine, ebenfalls 18, der vor dem Campus der katholischen Universität von Lille auf seine Vorlesung wartet. Er hat Fillon gewählt, weil ihm dessen Verbindung von konservativen und liberalen Werten am besten gefiel. Macron vertraut er nicht: „Er ist ein Angeber. Wir brauchen Stabilität.“ Trotzdem überlegt er, sein Kreuz am 7. Mai bei Macron zu machen. Denn, und bei diesem Gedanken beißt er sich heftig auf die Unterlippe: Wählt er gar nicht, steigt die Gefahr, dass am Ende Le Pen davon profitiert. Also wird er sich wohl für das vote utile entscheiden, die strategische Wahl. Glücklich mache ihn das nicht, sagt er – ganz egal wie diese Wahl ausgeht.
Voter blanc nennen es die Franzosen dagegen, den Wahlzettel weiß zu lassen. Protest anstatt Pragmatismus. Anaïs, 31, Versicherungsangestellte wie Vendeville, trifft man am besten beim Karaokesingen in der Altstadt von Lille. Sie wird am 7. Mai trotzig Mélenchon auf ihren Wahlzettel schreiben, obwohl der gar nicht mehr zur Wahl steht. „Le Pen würde ich ja wählen, wenn sie keine Rassistin wäre“, sagt sie und bestellt sich noch ein belgisches Bier. „Sie ist gegen das System. Macron aber steht für nichts anderes. Das macht ihn fast noch schlimmer.“
Die FNJ-Gruppe in Arques trottet zu einer Autobahnbrücke. Sie stellen sich am Geländer auf und halten ihre Fahnen hoch, Vendeville filmt. Die Show ist nicht nur für die Autofahrer, sondern auch für das Netz. Der junge Front National hat 87.000 Likes auf Facebook. Bei der jungen Alternative für Deutschland sind es nur 19.500. Auf dem langen Transparent, das die frontistes nun an das Brückengeländer hängen, steht: „Les jeunes avec Marine“. Mehr nicht. Ist das nicht etwas wenig Inhalt, um unentschlossene Wähler zu überzeugen? Vendeville grinst nur. „Jugend, das steht für Aufbruch und Zukunft. Genau das ist es, was die Leute hier brauchen.“
Und tatsächlich: Immer mehr Autos hupen, Fahrer recken den Daumen, Motorradfahrer lassen ihre Maschinen aufheulen. Oben auf der Brücke halten Leute an und kurbeln das Fenster hinunter. „Vive Marine!“, brüllt ein junger Mann mit sich überschlagender Stimme. Nur ein einziges Mal hört man ein lautes „Buh“. Man könnte meinen, Le Pen habe in dieser Ecke 100 Prozent geholt, dabei waren es nur 34. Das Ganze wirkt nicht wie ein Wahlkampf – eher wie die Selbstvergewisserung einer verschworenen Gemeinschaft. Als sei der Ausgang der Wahl am 7. Mai vollkommen gleich.
Anaïs macht das Angst. Um zu erklären, warum, benutzt sie erstaunlich ähnliche Worte wie die jungen Anhänger des Front National: „Ich liebe mein Land“, dabei legt sie sich tatsächlich die Hand auf die Brust. „Mir tut das Herz weh, wenn ich an dieses Wahldilemma denke. Aber ich will nicht mehr vernünftig sein.“ Sie muss möglicherweise bald mit der Tatsache leben, dass ihr Wahlzettel zwar nicht Macron ins Amt geholfen, aber auch nicht Le Pen verhindert hat. Und auch, wenn Macron es schafft: Am unversöhnlichsten, das merkt man an diesem Nachmittag, ist in diesem Land die Jugend. Und sie wird es bleiben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Künftige US-Regierung
Donald Trumps Gruselkabinett
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt