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Junge Berliner BrauereienBerlin vom Fass

Einst war Berlin Hauptstadt der Brauerei-Giganten. Nun wird hier Bier in Handarbeit gebraut. Der Boom der kleinen Brauereien hat bisher auch Corona überlebt.

Bierfässer in der Brauerei Berliner Berg Foto: André Wunstorf

Berlin taz | Die Bläschen sprudeln wie an einer Perlenschnur nach oben. Das Getränk im Glas sieht eher wie Sekt aus als wie Bier. Dazu passt auch das kelchartige Gefäß, in das es eingegossen wurde. Der Geschmack ist leicht, etwas säuerlich und erfrischend – ganz passend zu einem heißen Sommertag im Biergarten. Es ist Berliner Weiße.

„Pils und Weiße sind der Dreh- und Angelpunkt bei uns“, sagt Michéle Hengst. Sie ist Geschäftsführerin der Brauerei Berliner Berg. Aber die Weiße habe Tradition wie kein anderes Getränk in Berlin. „Die Weiße ist einzigartig.“ Man könne sie lagern wie Wein.

Als Brauerei wolle Berliner Berg aber Tradition auch mit Moderne verknüpfen. So wird die Weiße nicht nur pur angeboten, sondern es gibt auch Sorten, die auf Früchten gelagert werden. Das bedeute, dass bei der Gärung echte Früchte zugesetzt werden.

Manchmal sieht man das der Weißen gar nicht an – wie bei der in dem Kelch. Den zarten Brombeergeschmack spürt man erst hinten auf der Zunge. Daneben hat die Brauerei noch die Biersorten Lager, Pale Ale und Indian Pale Ale ganzjährig im Programm.

Das Bierbrauer*innenglossar

Obergäriges Bier Die Hefe schwimmt bei der Gärung oben. Das passiert bei Temperaturen zwischen 12 und 22 Grad und dauert zwei bis sieben Tage.

Untergäriges Bier Die Hefe sinkt nach der Gärung auf den Grund des Bottichs ab. Der Vorgang dauert bis zu zwei Wochen länger als beim obergärigen Bier.

Pale Ale Obergäriges Bier aus hellem Malz. Sehr vielfältig. Standardbier in Großbritannien.

Stout Obergäriges Bier aus Röstmalz. Für den Export oft mit höherem Alkoholgehalt.

Indian Pale Ale (IPA) Helles, obergäriges, stark hopfenbetontes Pale Ale. Ursprünglich für den Export nach Indien entwickelt. Hoher Alkoholgehalt von 6 bis 9 Prozent.

Pilsner Untergäriges Bier mit erhöhtem Hopfengehalt. Langsame Gärung und lange Lagerung.

Helles Untergäriges Bier, schwach gehopft.

Schwarzbier Heute meist untergäriges Bier aus dunkler geröstetem Malz.

Weißbier Überwiegend aus Weizenmalz gebrautes obergäriges Bier. Daher auch Weizen genannt.

Berliner Weiße Obergäriges Bier aus Weizenmalz, das mit Milchsäurebakterien vergoren wird. (taz)

In Berlin hat sich in den vergangenen Jahren eine wachsende Zahl kleiner Brauereien wie Berliner Berg entwickelt, die dem Angebot der großen, oft internationalen Braukonzerne mit Nischenprodukten begegnen. Ihre Zahl ist schwer zu überschauen, mehrere Dutzend sind es aber sicherlich.

Die Konzepte sind dabei so verschieden wie die Geschmäcker und die Macher. Manche brauen Fassbier nur für die eigene Kneipe, andere beliefern inzwischen auch Supermärkte. Wieder andere brauen im heimischen Keller und setzen auf Direktvertrieb in der Flasche.

Die Brauerei Berliner Berg befindet sich in der Treptower Straße im Schatten der Ringbahn. Die Gegend hat einen eher rauen Charme, mehr Gewerbe- als Wohngebiet: Neben der Brauerei bietet eine Autowerkstatt ihre Dienste an. Schräg gegenüber liegt der große Parkplatz einer Rewe-Filiale. Und dahinter zieht sich eine gezackte Linie aus Pflastersteinen über die Asphaltfahrbahn und dokumentiert den Verlauf der Berliner Mauer. Man ist ganz am östlichen Rand von Neukölln.

Anfang Juli hat Berliner Berg einen großen Schritt getan: Das erste in der neuen Brauerei in der Treptower Straße gebraute Fassbier wurde abgefüllt. Die Edelstahlfässer stapeln sich am nächsten Tag im Hof und glitzern in der Sonne. Ebenso glänzend mutet die nagelneue Brautechnik in der 600 Quadratmeter großen Halle an. Bis zu 10.000 Hektoliter können damit im Jahr gebraut werden. Der Biermarkt sei eigentlich voll. „Aber wir sehen mit regional gebrautem Bier aus einer unabhängigen Innenstadt-Brauerei eine Lücke im Markt.“

Michéle Hengst, Geschäftsführerin der Brauerei Berliner Berg Foto: André Wunstorf

Aus dem Biergarten kann man durch große Fenster auch in die Brauerei selbst schauen. „Da stecken sechs Jahre Arbeit drin“, sagt Hengst. „Angefangen haben wir zu dritt.“ Mittlerweile arbeiten 18 Mitarbeiter bei Berliner Berg, es gibt auch eine erste Auszubildende.

Jahrelang hat Berliner Berg ihr Bier in der Neuköllner Kopfstraße ausgeschenkt. Bis zum Frühjahr 2020. Dann lief der Mietvertrag aus. Umzug und Expansion fielen in eine denkbar schwierige Zeit. „Das waren 18 Monate Kampf.“ Mit dem Lockdown brach der Großteil des Absatzes weg. Rund 85 Prozent der Produktion wurden bis dahin an die Gastronomie geliefert. „Wir hatten für den Sommer vorproduziert. Das Lager war voll“, erinnert sich die Geschäftsführerin.

Der größte Teil davon sei bei einer Charity-Aktion zugunsten der Clubcommission veräußert worden. Anschließend musste die Brauerei versuchen, ihr Bier über den Handel in Flaschen zu verkaufen. „Das funktioniert immer besser“, so Hengst. Geliefert wird fast ausschließlich innerhalb Berlins. Das Bier gibt es inzwischen bei der Supermarktkette Edeka und Spätis in Neukölln, Kreuzberg, Friedrichshain und Prenzlauer Berg. Direkt über die Webseite der Brauerei kann man auch bestellen.

Parallel lief der Neubau, im Juni 2020 fand der erste Spatenstich statt. „Die Verträge waren schon unterschrieben.“ Das Geld dafür kam über Bankkredite und eine Förderung der Investitionsbank Berlin zusammen. Möglich wurde der Bau auch durch Jägermeister-Hauptgesellschafter Florian Rehm und Fritz-Gründer Mirco Wolf Wiegert, die mit Minderheitenbeteiligungen in das Unternehmen eingestiegen sind.

Bier brauen

Mälzen Heute back ich, morgen brau ich – das wusste schon Rumpelstilzchen. Brauen ist historisch gesehen ein alltäglicher Vorgang. Dabei wird zunächst Getreide, meist Gerste, befeuchtet und zum Keimen gebracht. Das nennt man Mälzen. Das Malz wird anschließend getrocknet, geröstet und geschrotet.

Maischen Beim Maischen wird das Malz mit heißem Wasser vermischt. Dem flüssigen Teil wird anschließend in der Sudpfanne ein- oder mehrmals Hopfen zugegeben.

Die Hefe Nach dem Abkühlen wird Hefe beigegeben, um die Gärung zu starten. Je nach Art der Hefe sind unterschiedliche Temperaturen nötig und die Gärung dauert unterschiedlich lang. Danach wird das Bier in Fässer oder Tanks zum Reifen gelagert. (taz)

Das Kontrastprogramm dazu bietet die kleine Brauerei Flessa Bräu. In der Petersburger Straße in Friedrichshain wird sozusagen im Hinterhof im vielleicht kleinsten Sudhaus Berlins gebraut. Der neunte Geburtstag der Brauerei steht vor der Tür: „Am 31. August 2012 ist hier das erste Bier rausgegangen“, erinnert sich Christoph Flessa.

Damit es dazu kam, waren ein paar Zufälle nötig. „Ich habe acht Jahre in Mexiko gelebt“, erzählt Flessa. Das Bier schmecke dort ganz anders. „Das kann man eiskalt trinken.“ Da habe er sich gedacht, dass in Mexiko bestimmt noch mehr Menschen Appetit auf einen anderen Biergeschmack haben. „Dann hab ich zu Hause angefangen zu brauen.“

Zwischendurch ging es aber zurück nach Deutschland, um das Geld für eine Brauerei in Mexiko aufzutreiben. 2012 hat Flessa dann in Friedrichshain die leer stehenden Räume einer früheren Fleischerei entdeckt. „So bin ich hiergeblieben.“ Inzwischen braut das kleine Unternehmen regelmäßig sechs Sorten: Pilsner, Weizen, Export, „Red Lager Mandarina“ mit Aromahopfen, das blumige „Ex­trale“ und Indian Pale Ale mit Biohopfen.

Dazukommen noch Sondersorten wie Staut oder Maibock. „Da machen wir dann 1.000 Flaschen außerhalb der Rotation, die von Hand beschriftet werden.“ Das sei als Brauer sehr interessant, allerdings schwer zu vermarkten. „Bei der Gärung halten wir uns an den unteren Temperaturbereich.“ So dauere die Gärung zwar länger, aber es entstehen dabei auch weniger Fuselstoffe, die sonst am nächsten Tag einige Probleme bereiten könnten.

Dann kam Corona

2019 sei sein bestes Jahr gewesen, erzählt Flessa. Dann kam Corona. Für das kleine Unternehmen war das dramatisch. Nicht nur der Absatz des Fassbieres für die Gastronomie sei plötzlich weggebrochen, sondern auch die Braukurse, die man bei ihm nehmen kann. „Uns blieb nur die Flasche.“ Mit Flyern habe man im Kiez und zusätzlich über Social Media geworben. So habe die Brauerei viele neue Kunden gewonnen und der Flaschenabsatz einen großen Schub bekommen.

Das ist allerdings auch Teil des Problems. Zum einen sei die Produktion sehr arbeitsaufwändig. „Wir füllen halbautomatisch ab.“ Da habe man jede Flasche bestimmt 15-mal in der Hand, bevor sie verkauft werden kann. Außerdem sorgte der wachsende Umsatz mit dem Flaschenbier dafür, dass die Brauerei bald aus den Förderkriterien der Coronahilfen herausfiel. 2020 habe das Unternehmen noch Soforthilfe bekommen. Nun sei er angesichts des Aufwandes unschlüssig, ob er überhaupt noch mal versuchen sollte, einen Antrag zu stellen. Noch einen Lockdown wegzustecken, werde aber schwieriger, fürchtet Flessa.

Immerhin läuft es seit der Wiedereröffnung der Gastronomie auch beim Fassbier wieder besser. Das wird jetzt in einem Biergarten im Stadtpark Schöneberg ausgeschenkt. Und auch Braukurse könne er nun wieder veranstalten, so Flessa. Das selbst gebraute Bier können die Teilnehmer nach sechs Wochen Lagerung abholen. In acht Kneipen und Bars kommt Flessas Bier aus dem Zapfhahn. Außerdem kann man die Flaschen in ein paar Spätis in Friedrichshain und Wedding kaufen. Einen Bierlieferdienst gibt es für Friedrichshain und die angrenzenden Kieze, den man online bestellen kann.

Schon richtig lang im Geschäft ist Philipp Brokamp. Im Februar 2008 hat er seine Kneipe Hops & Barley in der Friedrichshainer Wühlischstraße eröffnet und selbst gebrautes Bier ausgeschenkt. Der damals gebraucht gekaufte 200 Liter große Braukessel steht heute als Dekoration in der Kneipe. Dieser sieht man ihre Vergangenheit an.

Philipp Brokamp, gelernter und studierter Brauer und Geschäftsführer der Brauerei Hops & Barley Foto: André Wunstorf

Auch im Hops & Barley war mal eine Fleischerei. Der schwarz-weiße Fliesenboden ist noch original, an den Wänden hängen Fotos von Fleischer Schulz und seiner Familie. Durch ein Fenster kann man vom Gastraum direkt in ein kleines Sudhaus schauen. Der ganze Laden ist unterkellert, was perfekt sei, um die Biere nach dem Brauen für ein paar Wochen einzulagern.

Brokamp kommt eigentlich aus dem Münsterland. Nach einer klassischen Brauerausbildung in einer Brauerei in Bayern verschlug es ihn zum Studium nach Berlin. An der Technischen Universität kann man nämlich Brauereitechnologie studieren. Damals habe es in Friedrichshain, Kreuzberg und Prenzlauer Berg noch keine kleine Brauerei gegeben. „Da habe ich mir gedacht, das müsste doch funktionieren.“

Hat es offenbar. Inzwischen hat er 14 Mitarbeiter, einen Auszubildenden und einen Werkstudenten. Hops & Barley beliefert auch andere Kneipen, ein paar kleine im Kiez, aber auch Holzmarkt und Frannz-Club schenken zwei Sorten von Hops & Barley aus. Irgendwann wurde der Laden zu eng. „Ich musste Aufträge absagen, weil die Kapazität nicht mehr gereicht hat.“ Seit gut fünf Jahren wird deshalb auch in Friedrichsfelde gebraut. Dort hat ein Stammgast Brokamp einen Teil des alten Magerviehhofs vermietet.

Normalerweise seien 95 Prozent der Produktion Fassbier. Der Lockdown habe die Verhältnisse auf den Kopf gestellt. „Ich hätte nie gedacht, dass wir so viele Flaschen verkaufen können“, sagt Brokamp. Trotz der Gentrifizierung im Viertel und der vielen Touristen, die vor Corona zur Kundschaft zählten, habe sich gezeigt, dass es doch erstaunlich viele Stammkunden gebe. Und die seien dann gekommen, um sich ihr Bier in Flaschen abzuholen.

Heute kommen aus den Zapfhähnen wieder Pilsner, Dunkles und Weizen sowie drei wechselnde Spezialbiere. Ein herbes Indian Pale Ale sei eigentlich immer dabei und ein etwas milderes Pale Ale auch. „Aber immer mit verschiedenen Hopfensorten.“ Dazu mal ein Stout oder ein Helles. „Immer wieder Neues auszuprobieren, ist ja das Schöne an einer kleinen Brauerei“, sagt Brokamp. Viel hänge von den Rohstoffen ab. So sei beispielsweise der tschechische Hopfen „etwas kräuterig statt fruchtig“. Die Hopfensorte Lemon Drop verleihe dem IPA wiederum sein spezielles Aroma.

Kürzlich habe er in Schweden eine Brauerei besucht und von dort gleich Malz eingekauft, um es auszuprobieren. Es sei sehr spannend, was man an Geschmack so herauskitzeln könne. Weiße gibt es bei Hops & Barley allerdings nicht. „Das ist nicht so mein Geschmack.“

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