Jugendweihen fallen aus: Ist das der Ernst?
Übergangsrituale, die Jugendliche festigen sollen, werden in Corona-Zeiten verschoben – werden sie heute zum Erwachsenwerden noch gebraucht?
Was kommt? Nun, erst einmal keine humanistischen Jugendweihen, keine evangelischen Konfirmationen, katholischen Erstkommunionen oder Firmungen. Denn auch diese sonst im Mai stattfindenden Übergangsrituale, die jungen Menschen über die Schwelle zum Erwachsensein helfen sollen, sie „fest machen“ (lat. firmare) sollen für den viel zitierten „Ernst des Lebens“, werden pandemiebedingt verschoben.
Der Jugendweihe-Verein Berlin/Brandenburg hat einige Feiern in den Herbst, andere ins nächste Jahr verlagert, so auch der Humanistische Verband Berlin-Brandenburg und viele Gemeinden der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Frühzeitig hat das Erzbistum Berlin die Firmungen im Mai abgesagt. Ausnahmen seien, so ein Sprecher des Bischofs, in kleinen brandenburgischen Landgemeinden denkbar, in denen die Zahl der Mitfeiernden bei 50 Personen bleiben könne.
Auch junge Muslim*innen, die dieses Jahr zum ersten Mal mit den Erwachsenen im Ramadan fasten, müssen auf große Gebetstreffen und gemeinschaftliche Iftar-Feiern verzichten, so der Koordinationsrat der Muslime.
Das Wort „fasten“ hat übrigens in seiner gotischen Wurzel auch mit dem Fest-Werden, Firm-Werden zu tun. Ausgerechnet in der englischsprachigen Flugzeugansage „fasten the seat belt“ ist dieser Zusammenhang noch erkennbar.
„Privilegienbedingte Verweichlichung“
Schnallen Sie sich jetzt fest an: Denn während die Jugendlichen sich noch länger auf ihre Initiationsfeiern vorbereiten können, gilt es, darüber nachzudenken, was Erwachsenwerden überhaupt bedeutet – jenseits der wohl auch entfallenden toxischen „Herrentagspartien“ an Christi Himmelfahrt, jenseits des neoliberalen Start-up-Imperativs „work hard, play hard“.
„Erwachsen werden heißt Verantwortung übernehmen, Erwachsen werden heißt solidarisch sein“, meint der linke Pankower Bezirksverordnete und Jugendweihe-Festredner Paul Schlüter in einer tröstenden Videobotschaft an die Jugendlichen. „Verantwortung übernehmt ihr, weil ihr für ältere Menschen in eurem Kiez, in eurer Straße einkaufen geht. Solidarisch seid ihr, weil ihr Zuhause bleibt und dadurch das Infektionsrisiko minimiert“, erklärt Schlüter.
„Ja, Covid-19 fordert uns zur solidarischen Menschlichkeit heraus“, meinte kürzlich die Kulturwissenschaftlerin Susan Arndt in einem Beitrag für diese Zeitung. Angesichts der Situation in Flüchtlingslagern und in afrikanischen, asiatischen, süd- und mittelamerikanischen Ländern sind für sie die Sorgen hierzulande jedoch Ausdruck eines tief sitzenden Rassismus und Eurozentrismus, auch wenn es um Übergangsrituale geht: „In einer der vielen TV-Sondersendungen zur neuen Lage“, schreibt sie, „weint eine Abiturientin bitterlich darüber, dass sie auf ihren Abistreich verzichten müsse. Eine Minute dauert dieses Tränenspektakel, welches mit einem Shot auf das überteuerte, nun nutzlose Abikleid im Schrank endet. Die afrodeutsche Rassismuskritikerin Noah Sow nennt so etwas PBV: ‚privilegienbedingte Verweichlichung‘“.
Zeichnet sich aber nicht doch auch ab, dass gerade junge Menschen bereit sind, ihre Privilegien zu hinterfragen und sich fest zu machen in globaler Verantwortung und in Solidarität über Grenzen hinaus?
Entgegen dem, was als erwachsener Lebensstil gilt – darunter das routinierte Schließen des Gurts im Flugzeug –, zeigt eine junge, internationale Klimabewegung die Grenzen des Planeten auf – und schafft mit den Freitagsdemonstrationen ein eigenes Übergangsritual. Selbstkritische inklusive Initiativen, die vor allem von jungen Menschen getragen werden, benennen Rassismus, den Skandal an den europäischen Außengrenzen und Geschlechterungerechtigkeit.
Dem Berliner Seelsorger Imran Sagir zufolge sind es gerade junge Muslim*innen, die in diesem Jahr bewusster die traditionellen Zakat-Spenden im Ramadan einsetzen – etwa für Tagelöhner*innen in den „Ursprungsländern der Muslime“, wie er kürzlich dem RBB erklärte.
Was kommt? Vielleicht der Moment, da sich verweichlichte Erwachsene und Ritualgestalter*innen von bereits gefestigten jungen Menschen in den globalen Ernst des Lebens einführen lassen müssen. Vielleicht gehören teure Uhren, Anzüge, Abikleider schon dem Erwachsenwerden einer anderen, privilegienverwöhnten Zeit an. Vielleicht ist der Moment für die Botschaft des anstehenden Pfingstfestes gekommen, wie sie im Neuen Testament überliefert ist: echtes, empathisches Verstehen unter den „Völkern“ und: „Keine*r nannte etwas von dem, was sie hatten, Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam.“
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