Jugendsozialarbeit in Berlin: Neuköllner Respekt-Offensive
Nach den Silvester-Krawallen spielt die Feuerwehr nun mit Jugendlichen in Berliner Kiezen Fußball. Ziel ist mehr Akzeptanz – in beide Richtungen.

Ein Spiel dauert sieben Minuten. Die Jugendlichen sind flink und wendig, lassen sich den Ball kaum abnehmen. Für das in seinen bisherigen Spielen recht starke Team „Feuerwache Treptow“ wird es eng. Die Fußballspiele sind Teil einer Respekt-Offensive: Treffen und Workshops mit der Feuerwehr waren eine der Maßnahmen, die die Teilnehmer*innen der beiden Gipfel gegen Jugendgewalt im Februar beschlossen hatten.
Zu dem Gipfel hatte die damalige regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) eingeladen, nachdem Feiernde in der Silvesternacht in mehreren Bezirken Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr attackiert hatten. Und nun ist die Feuerwehr an diesem sonnigen September-Samstag also direkt zwischen die Hochhäuser der Siedlung am südlichen Ende der Sonnenallee in Neukölln gekommen. Um sich „in den Kiez zu öffnen“, wie es der Einsatzbereichsleiter Axel Wendt ausdrückt.
Neben dem Fußballplatz haben sie zwei Einsatzwagen hingestellt. An der Tür des einen stehen bald die kleineren Kinder Schlange, um einmal auf dem Fahrersitz Platz zu nehmen und sich, mit den Händen am Lenkrad, von ihren Müttern dort fotografieren zu lassen. Manche können kaum über das Armaturenbrett drübergucken.
Eifrige Reanimation
Vor dem einen Einsatzwagen kniet einer der Feuerwehrmänner neben einer Reanimationspuppe. Als erster fragt er jedes Kind, das zu ihm kommt: „Wie ist denn die Telefonnummer der Feuerwehr, wen ruft ihr, wenn es brennt?“ Dann macht er ihnen vor, wie sie die Hände verschränken und die Arme durchdrücken sollen, und wie sie dann mit schnellen Pumpbewegungen auf den Brustkorb eine bewusstlose Person wiederbeleben können.
Eifrig strecken gleich drei Kinder ihre Arme Richtung Puppe. Ein Mädchen will gar nicht aufhören, ein Junge fängt an, parallel auf dem Bauch zu drücken. Der Feuerwehrmann bremst etwas und erklärt den neu Dazugekommenen, wie sie einen Atem- und Herzstillstand überhaupt feststellen können. Gebannt gucken die Kinder auf die Skala an der Puppe, die zeigt, wie gut es mit der Animierung klappt.
Er habe sich gewundert, dass man in der Mitte des Brustkorbs drücken soll, sagt ein 11-Jähriger. „Das Herz ist doch an der Seite.“ Sehr anstrengend sei das Reanimieren, „aber er hat gesagt, ich soll dabei Stayin’ alive summen, also den Song, dann ist es das richtige Tempo“, sagt der Junge. „Das hat geholfen.“
Die Feuerwehr freut sich über die entspannte Stimmung und über das Interesse der Kinder und Jugendlichen. Der Hintergrund dafür sind die weniger erfreulichen Zusammentreffen bei den Silvester-Krawallen. Mehrere Fälle sind schon vor Gericht gelandet. An diesem Donnerstag muss sich ein junger Erwachsener verantworten, der zum Tatzeitpunkt noch minderjährig war. Er soll eine Schreckschusspistole abgefeuert haben, ein Feuerwehrmann und ein Journalist hatten Knalltraumata erlitten. Angeklagt ist er wegen Verstoß gegen das Waffengesetz und gefährlicher Körperverletzung.
Temporärer Tinnitus nach Silvester
Im Gerichtssaal erklärt der Journalist, dass er in der Silvesternacht mit einem Fernsehteam die Feuerwehr begleitet hätte. Er habe einen der Männer interviewt, als er auf einmal lautes Knallen gehört habe. Er hätte das Interview abgebrochen, zwei Tage hätten ihm danach die Ohren geklingelt, ein temporärer Tinnitus. In der Videoaufnahme aus der Nacht sieht man, wie sich ein Jugendlicher neben dem interviewten Feuerwehrmann ins Bild drängt, sein Gesicht ist vermummt. Auch die Schüsse sind zu hören.
Der Feuerwehrmann erlitt ebenfalls ein Knalltrauma. In der Verhandlung sagt er, dass sie vorher mit den Jungs auf der Straße ins Gespräch gekommen waren, Smalltalk, „völlig entspannt“. Auch im Video wirkt er gelassen.
Der Angeklagte ist bisher nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten. Die Polizei war dem Jugendlichen später auch anhand der Fernsehbilder auf die Spur gekommen. Bei einer Hausdurchsuchung hätten sie eine Nike-Jacke wie im Video bei ihm gefunden. Im Laufe der Verhandlung gesteht er die Tat ein – und entschuldigt sich. „Ich bin eigentlich nicht jemand, der so etwas macht“, sagt er.
Der Staatsanwalt fordert zwei Wochen Jugendarrest. Die Vertreterin der Jugendgerichtshilfe sagt, dass sie das Verhalten als „jugendtümlich“ einschätze, und dass er sehr bedenkenlos gewesen sei. Am Ende verurteilt ihn der Richter zu 60 Stunden Freizeitarbeit wegen gefährlicher Körperverletzung und unerlaubtem Waffenbesitz. „Ich hoffe, sie haben begriffen, dass das eine extrem dumme Geschichte war“, sagt er.
Gegenseitiges Kennenlernen
In der Weißen Siedlung wertete Ralf Gilb, Geschäftsführer von Outreach, das Fußballturnier als Erfolg. Outreach macht mobile Jugendarbeit, sie organisieren nun auch die Kieztage mit der Feuerwehr. Es soll nicht bei den Fußballspielen bleiben: Demnächst sollen Einsatzkräfte für Workshops oder gemeinsames Kochen in die Jugendclubs kommen. „Wenn Jugendliche und Feuerwehr ins Gespräch kommen, darüber entsteht Akzeptanz“, sagt Gilb. „In beide Richtungen. Es geht genauso darum, dass die Feuerwehrleute die Jungendlichen kennenlernen“, betont er.
Bei seiner Begrüßung vor dem Eröffnungsspiel hatte Gilb auch auf Silvester verwiesen. „Wir würden euch gern als Botschafter gewinnen: dass ihr auch anderen klar macht, dass es nicht cool ist, die Feuerwehr anzugreifen“, sagte er.
Im Endspiel kann Team „Feuerwache Treptow“ den Rückstand von 2:0 in den verbleibenden 3 Minuten nicht aufholen. Team „City Chicken“ gewinnt und bekommt den „Hot Asphalt Cup“ überreicht, beide Teams klatschen sich ab. Noch vier Cups stehen an: Kommenden Samstag in Reinickendorf, später noch in Schönberg-Nord, in Spandau und in Marzahn.
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