Berliner Gewaltdebatten: Hauptsache, es knallt!

Silvester, Freibad, Görli – die drei Debatten in diesem Jahr zeigen: An Lösungen ist kaum einer interessiert, umso mehr aber an rassistischen Ressentiments.

Explodierendes feuerwerk auf einer Straße

Die Mutter der jüngsten Gewaltdebatte: Silvester in Berlin Foto: dpa

Bereits zum dritten Mal in diesem Jahr sind lokale Berliner Gewaltvorfälle ein bundesweit diskutiertes Thema. Wieder spielen Fakten dabei kaum eine Rolle gegen allenthalben artikulierte Schnellschüsse, Vorurteile und Ressentiments. Die Debatten nach den Krawallen in der Silvesternacht, den Konflikten in den Freibädern und nun der Kriminalität im Görlitzer Park kann man wie Schablonen übereinanderlegen. Stets zeigt sich, wie sich eine breite Öffentlichkeit nahezu ohne Interesse an der Faktenlage das Maul zerreißt.

Vielen – Po­li­ti­ke­r:in­nen sowie bezahlten wie unbezahlten Kom­men­ta­to­r:in­nen – geht es nicht darum, den Ereignissen auf den Grund zu gehen und adäquate Lösungen für die Problemlagen zu finden. Stattdessen wird munter drauflos gepoltert, emotionalisiert und das eigene – oft rassistische – Süppchen gekocht. Zum Leidwesen auch jener, die tatsächlich unter der Gewalt zu leiden haben.

Die Diskussion nach den Krawallen in der Silvesternacht entzündete sich an den letztlich nach unten korrigierten Zahlen der Polizei. Auf Basis der Annahme, dass 145 überwiegend migrantische Täter vor allem in Neukölln Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr attackiert hätten, funktionierte der gesellschaftlich eingeübte Sarrazin’sche Reflex. Viel zu spät folgte die scheibchenweise Korrektur: weniger Festnahmen, weniger Neukölln-zentriert, weniger Angriffe, mehr deutsche Angreifer.

Für das kollektive Gedächtnis aber war der Drops gelutscht, im Kopf blieb die Frage, welchen Vornamen die jungen Krawallmacher eigentlich haben. Und jene, deren Vornamen tatsächlich nicht deutsch sind, ist ein weiteres mal klargemacht worden, dass sie eigentlich nicht erwünscht sind. Beim damit programmierten nächsten Riot darf man sich dann wieder bestätigt fühlen. Dass nach Giffeys Gipfel gegen Jugendgewalt – immerhin – versprochene zusätzliche Geld für die Jugendhilfe floss über Monate nicht.

Alarmistische Reflexe

Mit den Vorfällen im Columbiabad war es dann so weit. Erneut wusste man bis ins letzte Dorf der Republik, dass Neuköllner und Kreuzberger Freibäder generelle No-go-Areas seien. Zu beobachten war der permanente alarmistische Reflex, jeden Vorfall als „neue Eskalationsstufe“ einzuordnen, der nur durch neue repressive Maßnahmen zu lösen sei. Ausweispflicht statt Lösungen. Wenig Raum blieb da auch für Empathie mit dem überlasteten, unterbesetzten Personal in den Bädern.

In der nun tobenden Debatte um den Görli wiederum wurden ungenaue Statistiken, etwa zu Sexualstraftaten im Gebiet, nicht hinterfragt, sondern als Beweis der Unsicherheitsthese herbeigezogen. Fröhlich einigt sich die populistische Mehrheit darauf, dass nur Zäune, Kameras und Polizei die Lösung sein können – als wären Drogenkonsum und Perspektivlosigkeit als Ursachen der Gewalt damit gelöst und als gingen Verdrängungseffekte im Park nicht zulasten der An­woh­ne­r:in­nen außen herum.

Dass sich sogar der Tagesspiegel in einem Kommentar zum Görlitzer Park ohne jede Erläuterung die alte NPD-Forderung zu eigen macht – „Gewalttäter müssen natürlich abgeschoben werden“ –, zeigt, wie tief der Anspruch gesunken ist, Probleme mit mehr als Reflexen und Populismus zu bearbeiten.

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Redakteur für parlamentarische und außerparlamentarische Politik in Berlin, für Krawall und Remmidemmi. Schreibt über soziale Bewegungen, Innenpolitik, Stadtentwicklung und alles, was sonst polarisiert. War zu hören im Podcast "Lokalrunde".

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