piwik no script img

Jugendmagazin „Bravo“ wird 65Junge Sehnsüchte

Die „Bravo“ wird 65. Ein Rückblick auf problematische Geschlechterbilder, die Mitschuld am Untergang – und die politische Funktion nach 68.

Ewig jung: die „Bravo“ Foto: Nanine Renninger/plainpicture

„Jungs wollen immer nur das eine“

Die erste Bravo muss ich irgendwann in der vierten Klasse gelesen haben. Dass sie existiert, wusste ich schon vorher, denn meine Eltern hatten früh ein Lese- und Kaufverbot ausgesprochen. Der Grund? Ich vermute etwas zwischen der Anrüchigkeit, die Bilder von nackten Teenagern und deren Bumsgeschichten haben, wenn sie von einem Haufen erwachsener Redakteure schlüpfrig aufbereitet werden, und der typischen Mittelschichtsprüderie der späten 80er Jahre.

Der Start

Am 26. August 1956 erschien die erste Ausgabe der Bravo, mit dem Untertitel „Zeitschrift für Film und Fernsehen“ und Marilyn Monroe auf der Titelseite. Damals herausgegeben von Chefredakteur Peter Boenisch, hatte sie eine Erstauflage von 30.000, eine Ausgabe kostete 50 Pfennig. „Kein anderes Magazin bedient die Sehnsüchte und Wünsche der jungen Leute in Deutschland so genau und treffsicher wie BRAVO“, schreibt die Zeitschrift in einem historischen Rückblick über sich selbst. vag

Meine Freundin Karo durfte sich die Bravo schon mit 10 Jahren kaufen. Wenn wir bei ihr waren, lasen wir alles über die US-Boyband New Kids on the Block. Aber immer häufiger streiften wir auch Sensationsnachrichten über jugendliche Drogenopfer, ohnmächtig werdende Fans auf Popkonzerten und die Sex-Rubriken, schauten uns seitengroß abfotografierte nackte 16-Jährige an und lasen „Mein erstes Mal“.

Waren wir davor noch offen und vorurteilsfrei gegenüber Jungs und sich anbahnender Verliebtheit, wurden wir spätestens jetzt mit der bedrohlichen Realität konfrontiert. Das Dr.-Sommer-Team antwortete auf Fragen nach Ausfluss im Slip, in den besten Freund verliebt sein und bin ich pervers, wenn ich mich selbst befriedige in scheinbar beruhigenden Satzkonstruktionen: „Hab keine Angst“, „Wenn er Dich wirklich liebt, wird er warten“, „Viele Mädchen in deinem Alter werden erregt, wenn sie …“. Doch die bewirkten das Gegenteil.

Denn was wir erfuhren, war: Die Welt ist gefährlich und schlecht. Jungs wollen immer nur das eine, Mädchen am liebsten nur kuscheln, und wenn schon Sex, dann mit Duftlampe und Kuschelrock. Dabei werden sie aber ständig von den Boys unter Druck gesetzt, „es“ endlich zu tun – gemeint war stets der Akt vaginaler Penetration.

Die Bravo: der berühmte Autounfall, bei dem man nicht wegschauen kann. Die Bild-Zeitung für Einsteiger. Sie verkaufte uns eine engstirnige heteronormative Welt, aufgepeppt mit viel nackter Haut, Blut, Sperma und den Träumen und Albträumen von Jugendlichen.

Sunny Riedel, 40 Jahre

„Mit allem gewonnen, außer mit Sozialismus“

In den 1970er Jahren wurden in der Bravo insbesondere Schlachten zwischen den Anhängern der Gruppe Sweet und denen der Gruppe Bay City Rollers ausgetragen. Beziehungsweise, wie man heute weiß, wurden diese Schlachten bewusst geschürt, die weiblichen Fans der beiden Kapellen sollten sich in die Haare bekommen, eine inszenierte Realität, der verkaufsfördernde Wirkung attestiert wurde.

Ob das in seiner Harmlosigkeit ein typisches 70er Ding war, weiß ich nicht, aber es wäre folgerichtig: Denn die Gesellschaft war sich in diesem Jahrzehnt – abgesehen von ein paar pathetischen RAF-Radikalen und ihren für 68 zu spät geborenen Claqueuren – bemerkenswert einig in dem Willen, gemeinsam nach vorne zu gehen. Tatsächlich waren die wilden End-60er, in denen ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung die rebellierende studentische Jugend noch gern mit Panzern überrollt gesehen hätte, in ein neues Jahrzehnt gemündet, das die gesellschaftlichen Verhältnisse gründlich liberalisiert, demilitarisiert und natürlich nicht zuletzt hochgradig sexualisiert hatte.

Aufstieg und Abstieg

1962 begann mit „Knigge für Verliebte“ das, was später als „Dr. Sommer“ bekannt wurde: Sexualaufklärung und andere lebenspraktische Tipps für Leser:innen, die ihre Fragen mit Briefen an die Redaktion richteten. Seit 1968 wird das Magazin vom Hamburger Bauer Verlag herausgegeben, 1991 erreichte die Auflage mit knapp 1,6 Millionen ihren Höhepunkt. Dann begann der Niedergang. Mittlerweile erscheint die Bravo nicht mehr wöchentlich, sondern nur noch monatlich und hat eine Auflage von knapp 82.500. vag

Die 68er hatten mit allem gewonnen, außer mit dem Sozialismus, und wer zu lange an entsprechenden Jugendideen festhielt, endete oft genug in Suff, Selbstmord oder Hochsicherheitstrakt. Die jüngere und jüngste Jugend aber genoss die Freiheit, sich nicht zwischen maoistischen oder anderen marxistischen Gruppen entscheiden zu müssen, sondern zwischen Sweet und den Bay City Rollers. Und wenn es einen Sinn hat, an diese Epoche zu erinnern – außer natürlich den wirklich guten Sweet-Songs „Ballroom Blitz“ und „Love is like oxygen“ – dann in dem Sinn, dass die identitätspolitischen Bewegungen, also das 68 unserer Tage, nun auch langsam ihre heroische Phase hinter sich lassen und ihre emanzipatorischen Inhalte Allgemeingut werden. Die Jugend kann also wieder symbolische Feindschaften pflegen, die heute selbstverständlich dank Internet ohne Bravo auskommen.

Ambros Waibel, 52 Jahre

„Deep in Digitaliserung“

Es ist das Jahr 2007 und alles verändert sich. Der High-School-Musical-Hype löst den Tokio-Hotel-Hype ab: Statt Tom und Bill wird hysterisch nach Gabriella und Troy geschrien. Die Casting-Show-Popstars produziert nach Monroses keine echten Popstars mehr. Die Auflage der Bravo ist seit 1998 um die Hälfte eingebrochen. Bravo TV wird wegen schlechter Quoten eingestellt. Moderatorin Gülcan zieht mit It-Girl-Kollegin Collien Fer­nandes „aufs Land“, wie Paris Hilton und Nicole Richie zuvor in der US-Reality-Show „The Simple Life“.

Der Starschnitt

Diese Sehnsüchte sprach sie mit Fotos und Berichten von Stars an, aber auch über die Thematisierung von Sexualität, später auch mit Fotolovestorys. Gebunden hat die Bravo ihre Le­se­r:in­nen auch mit dem sogenannten Starschnitt, ein lebensgroßes Poster, von dem es in jeder Ausgabe einen neuen Ausschnitt gab. Der erste begann im Jahr 1959, gesammelt wurden Posterteile der französischen Schauspielerin Brigitte Bardot. vag

Ich, ein elfjähriges Mädchen aus der Mittelschicht, chatte in meiner Freizeit mit meinen Mädelzzz (xD) auf Jappy, oder versuche, meine Sims auf kreative Art umzubringen. Meine Freizeit findet jetzt in einem massiven grauen Windows-Rechner statt.

2007 und wir sind deep in Digitalisierung: 72 Prozent der deutschen Haushalte haben einen Computer. Seit Kurzem gibt es Youtube, seine Nut­ze­r:in­nen­zah­len steigen rasant. Der neue Nintendo DSi hat eine Kamera, die Bilder kann man bearbeiten und verschicken.

Ich trage Mitschuld am Bedeutungsverlust der Bravo. Einsetzende Pubertät, ein Schwarm in der Klasse, die Wii, es gab einfach Spannenderes als das altehrwürdige Teenie-Magazin. Die Bravo war für mich bald nur noch eine Art Playboy: Vor den Eltern tat ich hin und wieder journalistisch interessiert. Aber eigentlich wollte ich nur einmalig das lebensgroße Poster von Zac Efron. Oder mit Freundinnen heimlich unter der Bettdecke Facts über Selbstbefriedigung lernen.

Trotzdem lebt die Bravo in uns weiter: Wenn Millennials heute feiern – also für einen Samtagabend ihr Schicksal zwischen 60-Stunden-Woche und Altersarmut vergessen wollen. Dann wird eine Bravo-Hits 2000er Playlist bei Spotify vorgekramt. Und zu „The Sweet Escape“ von Gwen Stefani getanzt, als wäre Knut der Eisbär noch am Leben. Und das Internet uns noch nicht komplett über den Kopf gewachsen.

Emeli Glaser, 25 Jahre

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

8 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Bravo war uns zu uncool und zu kommerziell.

    Unser Favorit war Popfoto. Der redaktionelle Teil war praktisch nicht vorhanden, das Heft bestand fast nur aus Postern mal angesagter, mal weniger angesagter Bands.

    Die übrige Thematik wurde durch zerfledderte Exemplare von Playboy oder Lui abgedeckt, die bei uns kursierten.

  • Die Bravo war Vorreiterin der neuen Kommerzialisierung der Jugend. Die Schüler-Alternativbewegung der 1970er hat das heftig kritisiert. Es ging gegen patriarchale, aber auch gegen die Kommerz-gesteuerten Schönheitsideale & Rollenbilder.

    Die Bravo verdiente ihr Geld mit Werbeanzeigen von Pickelcremes, gekauft wurde sie zu allen Zeiten vor allem wegen der Poster.

  • Ach watt.



    Bravo



    Neues Leben - Magazin der Jugend war angesagt.



    www.ebay.de/itm/264682788150



    Tolle Grafiker. Thomas Schleusing!



    Fragen des täglichen Lebens, Mode, Film, Musik (auch mit Interpreten aus dem westlichen Ausland), Rätsel und Ratgeberseiten. Bekannt war die Kolumne Professor Borrmann antwortet zu Fragen der Sexualität. Regelmäßig gab es Umfragen nach den beliebtesten Filmen oder Musikinterpreten. Darüber hinaus enthielt die Zeitschrift Kurzgeschichten, naturwissenschaftliche und technische Beiträge. Diese Mischung führte zu einer hohen Popularität des Blattes.



    Bravo- gähn!



    www.ddr-museum.de/de/objects/1018563

    Ach übrigens sind dit Schweinepreise, die man abdrücken muß.



    www.plainpicture.com/de/images/85310



    Schöne Bluse!

    • @Ringelnatz1:

      Stelle fest - wie unbeleckt ich ins & durchs Leben eierte - bis hück - wa.



      Na Bravo 👍 My rifle my pony and me



      m.youtube.com/watch?v=1uuAjwvtxEM - Dean laß gehn - 😎 -

      • @Lowandorder:

        Es wird Zeit zu(m) gehen!



        Man, hab ick jetze lang gebraucht.



        Klar, Dean Martin & Ricky Nelson & Walter Brennan juti aba wat hat das mit....



        Ahh!



        Rio Bravo!



        (s.o.)

        • @Ringelnatz1:

          Hö Hö. Dann hab ich ja anderwo den 🪂



          zu recht gesetzt - wa!;)



          “Männeken - Bei Sie fällt der Jroschen aber ooch pfennigsweise - wa!… -



          Un mit 🪂 - kerr!“

  • Also, mir hat den Kauf der Bravo damals in meiner Jugend den 70ern niemand verboten. Ich empfand sie aber unmittelbar als das Äquivalent zu den bunten Blättern mit Klatschgeschichten über Adelige, die meine Großmutter so gerne gelesen hat, nur halt für eine andere Zielgruppe. Ich habe sie eine Zeitlang ab und zu der Fotos wegen gekauft, weil ich sie als Vorlage zum Abzeichnen und -malen benutzt habe.

    Was dann aber auch schnell langweilig wurde, ebenso wie die Stories und Rubriken, die in der Zeit, in der regelmäßig nicht aufgeklärt wurde und man den ganzen Geschlechter-Scheiß jede/r einzeln selber mitmachen und erforschen musste, als sei man praktisch der erste Mensch, durchaus, tja, aufklärerisch war. Aber irgendwie bin ich da schnell rausgewachsen.

    Trotzdem: Gut dass es sie gab damals. Denn der Rest der Medien schwankte zwischen totaler Verklemmtheit und dem untergründigen Transport von gerade tierhaften Sexualvorstellungen. Ich kann mir vorstellen, dass die Bravo da einen sehr lobenswerten Beitrag geleistet hat, das Thema einfach mal zu lüften und Jugendliche nicht nur Gerüchten und den eigenen, oft sehr seltsamen Ideen zu überlassen.

    Gibt es heute sowas eigentlich in der islamischen Welt? Vielleicht so als Untergrundmedium? Ich kann mir nämlich vorstellen, dass die Jugendlichen dort sowas noch viel dringender nötig haben. Das wäre mal eine förderungswürdige Idee!

    • @Mustardman:

      Dabei fällt mir ein, dass meine Mutter damals wohl eigentlich die Aufklärung der Schule überlassen wollte. Das scheiterte an einem recht alten NW-Lehrer (Fach eigentlich Chemie), der sich schlicht weigerte, das Thema Sexualkunde zu unterrichten.



      Daraufhin kaufte meine Mutter mir ein halbes Jahr lang die Bravo. Für einen groben Überblick hat es immerhin gereicht.