Jugendarbeitslosigkeit in Europa: Kinder der Krise
Jeder fünfte unter 25-Jährige ist in Südeuropa ohne Job. Drei von ihnen haben wir besucht, in Madrid, Rom und Athen.
David aus Madrid: Prekäres Auf und Ab
Als „staatlicher Saisonarbeiter“ stellt sich David Beniliam gerne vor, wenn er nach seiner Beschäftigung gefragt wird. Der 28-jährige Fotograf ist der Prototyp des jungen Spaniers. Seit Abschluss seiner Studien vor sechs Jahren arbeitete er insgesamt zwei Jahre, davon nur vier Monate in seinem Beruf, den Rest als Pflegehilfspersonal in allen möglichen Krankenhäusern und Gesundheitsposten des spanischen Sozialsystems. Dann vertritt er kranke Kollegen oder Frauen im Mutterschaftsurlaub.
Den Rest war er arbeitslos, meist ohne Bezüge. „Jugendarbeitslosigkeit ist nicht so wie die Arbeitslosigkeit bei älteren Menschen“, weiß er zu berichten. „Es ist ein ständiges Auf und Ab, ein Leben mit prekären Jobs. Ich hatte alle möglichen Verträge, von fünf Tagen bis zu einem Jahr am Stück.“
55 Prozent der jungen Spanier unter 25 sind offiziell ohne Job – in die Statistik werden allerdings auch die Immatrikulierten eingerechnet. Wer diese Altersgrenze überschreitet, hat meist auch kein besseres Leben, nur die Statistiken untersuchen dies nicht mehr. Wenn Beniliam mal wieder ohne Arbeit ist, rutscht er gar in eine weitere Problemgruppe, die der Haushalte, in der kein einziges Mitglied arbeitet.
Sein Vater verstarb, als er 23 war. Seine Mutter, mit der er zusammenlebt, ist seit vier Jahren ohne Arbeit. Sie verlor ihre Anstellung als Chefsekretärin in einem Zeitschriftenverlag nach mehr als 37 Jahren und ist nun mit ihren 50 Jahren zwar hochqualifiziert, aber nicht mehr vermittelbar. Die Stütze lief vor mehr als einem Jahr aus. Die Familie lebt von dem, was Beniliam verdient oder eben nicht, von einer Witwenrente und von der Pension der Großmutter, die ebenfalls den Haushalt teilt.
„So manches Mal habe ich daran gedacht, auszuwandern“, berichtet Beniliam. Zuletzt bei einer Reise nach Lateinamerika. „Dort habe ich junge Spanier kennengelernt, die im Tourismusbereich tätig sind.“ Europa kommt für ihn nicht infrage, denn sein Englisch „ist nicht allzu gut“. Andere Fremdsprachen spricht er nicht.
Wahlen, Politik, Europa … Beniliam interessiert all das nur wenig. „Ich glaube nicht an die Parteien und die Demokratie“, sagt er. Mit gerade einmal 18 ging er an die Urnen, „und danach nie wieder“.
An den sozialen Protesten, die in den letzten Jahren in Spanien deutlich zugenommen haben, hat er sich kaum beteiligt. „Mit Ausnahme der Aktionen im Gesundheitsbereich gegen die Privatisierung und die Kürzungen“, sagt er. Schließlich ist er hier unmittelbar betroffen. Denn die Qualifizierung für eine Festanstellung hat er längst. Doch freie Stellen werden seit Jahren nicht mehr besetzt, die Arbeitsbelastung nimmt ständig zu, die Gehälter wurden gekürzt.
„Ich bin trotz der schlechten Lage auf dem Arbeitsmarkt nicht verbittert“, sagt Beniliam. Was ihn am meisten an der Krise schmerzt, sind die älteren Menschen. „Im Krankenhaus und in den Gesundheitsposten habe ich immer wieder mit Rentnern und mit älteren Arbeitslosen zu tun, die alles verloren haben. Das ist das große Drama der letzten Jahre“, ist er sich sicher. RAINER WANDLER
Giorgio aus Rom: Keine Lust zu jammern
Nein, verzweifelt wirkt Giorgio nicht, obwohl er zu dem Heer der eine Million Jugendlichen in Italien gehört, die erfolglos Arbeit suchen. Lederjacke, Jeans, ein kurz getrimmter Vollbart, die Sonnenbrille ins dichte schwarze Haar geschoben: Modisch ist der 21-Jährige auf der Höhe. Zum Jammern ist ihm nicht zumute, trocken sagt er, „wir sind ziemlich viele in Rom, überhaupt in ganz Italien“ – viele, die ohne Job dastehen.
Seit knapp einem Jahr ist er in dieser Situation, seit dem Abitur an einem sozialpädagogischen Gymnasium. Gleich an die Universität wollte Giorgio nicht, „erst mal muss ich meine Ideen ordnen“. Und erst mal wollte er deshalb Geld verdienen, eine Arbeit im Einzelhandel, was Prekäres auch zur Not, womöglich bei einem Callcenter, „aber es gibt einfach nichts, was soll ich sagen, die Lage ist mehr als schwierig“, sagt er.
Giorgio macht dennoch, anders als viele seiner Altersgenossen, nicht auf Politikverdrossenheit. Zur EP-Wahl geht er auf jeden Fall, „und ich wähle Renzi“. Gemeint ist Matteo Renzi, der 39-jährige, seit knapp drei Monaten amtierende Premier von der gemäßigt linken Partito Democratico (PD), der zwar gar nicht fürs EP antritt, der die Europawahl aber zu einem Votum über sich umfunktioniert hat. „Der weiß, was er will“, begeistert sich Giorgio, „und er ist entschlossen, in Italien eine Wende durchzusetzen. Vor allem aber: Er ist jung.“
Klar, Beppe Grillo mit seiner Protestliste MoVimento5Stelle (M5S) kommt bei vielen Jungwählern, vor allem bei den Arbeitslosen unter ihnen gut an, mit ihren wütenden Tönen gegen die verkommene politische Klasse Italiens genauso wie gegen Merkels Austeritätseuropa. Auch Giorgio schreibt Grillo Verdienste zu. „Er sagt immer, was er denkt, und er enthüllt viele Missstände – aber ich sehe in ihm keinen Leader, der imstande wäre, Italien zu regieren.“
Renzi will Europa einen „Kurswechsel“ verordnen – und Giorgio sieht das genauso. Beispiel Flüchtlingspolitik. „Es kann doch nicht sein, dass Italien damit völlig alleingelassen wird, hier wäre wirklich europäische Solidarität angesagt.“ Italiens Krise aber hält er für weitgehend hausgemacht; am Geschimpfe auf Deutschland will er sich nicht beteiligen. „Ich war vor ein paar Jahren in Frankfurt, da sieht man ein Land, dem es einfach besser geht, weil die Bürger anders ticken.“ Und dann malt er ein Bild von „Germania“, das eher an Singapur erinnert als an Deutschland, „in dem sich die Menschen halt wirklich an die Regeln halten, in dem es zum Beispiel keinem in den Sinn käme, auch nur eine Zigarettenkippe auf die Straße zu werfen“. Italien dagegen? „Hier denkt doch jeder nur an sich, hier werden fröhlich die Steuern hinterzogen.“
Auch an der deutschen Kanzlerin Angela Merkel hat er eigentlich nichts auszusetzen, „das ist doch schon einmal gut, dass eine Frau Regierungschefin ist, und die Merkel weiß, was sie will, sie hat die nötige Entschlossenheit“. Genau die Entschlossenheit, die Giorgio sich jetzt von Renzi wünscht, „dann geht es auch bei uns wieder aufwärts“. MICHAEL BRAUN
Jorgos aus Athen: Warten auf die Uni-Karriere
Jorgos Theodotou hat aus seiner Sicht alles richtig gemacht: Studium der Politikwissenschaften in Athen, Masterstudium an der Universität Paris-Dauphine, fließend in Englisch und Französisch. Am liebsten würde er eine akademische Laufbahn einschlagen. Doch sein Berufsziel klingt fast utopisch im kriselnden Griechenland. Vorerst ist der 25-Jährige ohnehin ohne Job. Immerhin konnte er im vergangenen Jahr an einem EU-Hilfsprogramm für junge Arbeitslose teilnehmen und fast sechs Monate lang bei einer Athener Werbefirma auf 500-Euro-Basis arbeiten. Bis heute wartet er allerdings auf sein Geld.
Theodotou ist kein Einzelfall, fast 20 Prozent der jungen Griechen sind ohne Job. Auffallend ist dabei, dass viele von ihnen mindestens einen Universitätsabschluss haben, denn lange Zeit galt auch in Griechenland Bildung als bester Schutz vor Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg. Die Gewissheit, nach einer anspruchsvollen Ausbildung ohne große Schwierigkeiten einen Job zu finden, ist jedoch längst vorbei: Laut einer Studie des Gewerkschaftsdachverbandes GSEE ist die Arbeitslosigkeit unter Hochschulabsolventen im Zeitraum zwischen 2008 und 2012 um satte 190 Prozent gestiegen.
„Das liegt zum Teil, aber nicht ausschließlich an der Krise“, glaubt Theodotou. „Gerade im akademischen Bereich gibt es kaum Transparenz beim Stellenbesetzungsverfahren, Stellen werden in der Regel über Bekannte vermittelt.“ Und: „In der Privatwirtschaft bekommst du erst recht Absagen. Da musst du praktische Berufserfahrung vorweisen, damit du eine Arbeitsstelle bekommst. Aber wie sollst du Berufserfahrung sammeln, wenn du noch nie eine richtige Arbeitsstelle bekommen hast?“, klagt der junge Akademiker.
Bewerbungsfrustration. Was tun? Am liebsten würde Theodotou wieder nach Frankreich ziehen und dort seinen Traum von einer akademischen Karriere verwirklichen. Nur das Geld dafür fehlt ihm. Derzeit erkundigt er sich nach einem Stipendium für Absolventen und junge Forscher. Selbst wenn er nur eine Erasmus-Förderung von 500 Euro im Monat bekäme, würde er die Rückkehr nach Paris wagen, sagt er.
Dass der junge Politikwissenschaftler sich für Politik interessiert, versteht sich von selbst. Am 25. Mai geht er auch wählen. Wen er wählt, sagt Theodotou nicht direkt, nur so viel will er verraten: „Für die altgedienten Volksparteien habe ich nichts übrig. Ich hoffe auf eine politische Kraft, die dazu beitragen kann, dass sich die Kluft zwischen dem Norden und dem Süden, zwischen dem reichen und dem armen Europa, kleiner wird.“ Ob es die Linkspartei schafft? „So ganz sicher bin ich mir nicht.“
Jedenfalls schwindet sein Vertrauen in die heutige Politikergeneration in ganz Europa. „Nehmen Sie doch François Hollande als Beispiel“, sagt Theodotou. „Die Franzosen setzten Hoffnungen auf ihn, doch nur ein Jahr nach seinem Wahlsieg ist er im absoluten Umfragetief.“ Warum? „Weil er seine Wahlversprechen nicht umgesetzt und das Vertrauen der Menschen enttäuscht hat“. JANNIS PAPADIMITRIOU
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