Jugend ohne Handy: Die Piste soll's richten
Klar kann man Jugendlichen das Handy wegnehmen. Fragt sich, ob man sie dafür zum Skifahren verklappen muss.
W ie schaffen es 14 SchülerInnen aus Wedel (Schleswig-Holstein), eine Woche handyfrei über die Runden zu kommen?“ Es ist die Pressestelle Obertauern, die diese wilde Frage stellt und auch gleich die Antwort parat hat: „Sie fahren zur Schulskiwoche nach Obertauern im Salzburger Land.“
Digital Detox durch Skifahren und Erlebnisse in der Natur, das ist die Gleichung, die ein Lehrer, ein Fernsehredakteur und siehe da, Obertauerns Tourismusdirektor gemeinsam aufgestellt haben. Skiklassenfahrten sind seltener geworden, das beklagt die Public-Relations-Agentur, die das Detox-Projekt der Öffentlichkeit präsentiert, und das liege an den gestiegenen Kosten und vielleicht auch am hohen Betreuungsaufwand für die Lehrer:innen.
„Aufwand“ ist ein gutes Stichwort an dieser Stelle, denn auch wenn die Rechnung für darbende Tourismusdirektoren aufgeht, geht sie dann auch für die handyvergiftete Schüler:innenschaft auf? Zumindest die Jugendlichen müssen sich in Obertauern keine zu großen Sorgen machen, denn sie bekommen täglich eine Stunde Handyzeit, um Schlimmstes zu verhüten. Und ob sie die tatsächlich mit Anrufen bei Eltern und Großeltern verbringen, scheint fraglich. Aber noch viel fraglicher: Wieso muss man Jugendliche 1.000 Kilometer weit karren, um zu erreichen, dass sie weniger Zeit mit ihrem Handy verbringen?
Eine Handy-affine Achtjährige, der ich diese Frage vorlege, ist da sehr klar: „Die Antwort ist doch ganz einfach“, sagt sie. „Man nimmt sie ihnen weg.“ Das mag der Radikalität der unter Zehnjährigen geschuldet sein, aber es legt eine interessante Spur: Wieso braucht es das All-inclusive-CO2-auch-egal-Angebot, um die Teenager aus der Rundum-Handy-Zone zu ziehen? Weil Klettern in der Lüneburger Heide kein Geld in die Skigebiete spült, aber auch, weil man nicht daran glaubt, mit weniger Bombast an die Ressourcen der Kinder heranzukommen. Das ist ganz schön kleinmütig.
Hauptsache beschäftigt
Aber nicht weiter erstaunlich in einer Zeit, in der das Beschäftigen der Kinder zu Säuglingszeiten in den diversen Pekip-Gruppen beginnt, um dann in Musik-, Sport-, Sprach-, Egal-was-Kurse überzugehen. Ob darin mehr Förderterror oder mehr Kinderwegorganisierwunsch liegt, weiß man nicht. Aber die Folgen sind eindeutig: Ohne von außen vorgegebenes Programm läuft nichts.
Wenig erstaunlich, dass man dann ein paar Jahre später glaubt, das ganz große Feuerwerk abbrennen zu müssen, um die Jugend bei der Stange zu halten. Zumal die Erwachsenen selbst eher handytoxified über die Detox-Programme für ihre Kinder nachdenken. Fragt sich, was nach der Skifreizeit kommt: eine Woche Kreuzfahrt ohne Zucker, eine Woche im All ohne harte Drogen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Partei stellt Wahlprogramm vor
Linke will Lebenshaltungskosten für viele senken
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen