Jüdische Spuren in Detmold: Wenn eine Synagoge zerfällt
In Detmold droht einem historischen Bethaus der Abriss. Ein Anwalt der rechten Szene will es durch Parkplätze ersetzen lassen.
Kaum sichtbar allerdings ist die bis auf das Spätmittelalter zurückreichende jüdische Geschichte des Orts. Wie in vielen deutschen Städten wurden auch die Detmolder Juden im frühen 17. Jahrhundert vertrieben, aber nach dem Dreißigjährigen Krieg siedelten sich rasch wieder erste Familien an. Obwohl die Geleit- und Schutzbriefe zunächst nur temporär gültig und mit hohen Abgaben verbunden waren, beantragte die jüdische Gemeinde bereits 1652 die Einrichtung eines eigenen Friedhofs. Seit 1670 erlaubte Graf Simon Heinrich den Juden offiziell wieder die Abhaltung von Gottesdiensten, es muss einen kleinen Betraum gegeben haben.
Viel wissen wir zwar nicht über diese Zeit des jüdischen Gemeindelebens in der Residenzstadt, aber im Jahr 1742 war die bestehende Synagoge offenbar für die etwa 18 jüdischen Familien des Orts zu klein geworden. Die Gemeinde mietete eine umgebaute Fachwerkscheune an, die von nun an und bis ins 20. Jahrhundert als Synagoge fungierte.
All das ist zwar der historischen Forschung seit Langem bekannt, die meisten Detmolder Bürgerinnen und Bürger dürften über diesen Aspekt ihrer Stadtgeschichte aber kaum etwas wissen. Obwohl es seit Jahrzehnten zivilgesellschaftliche Initiativen gibt, die die Spuren jüdischen Lebens in der Stadt wieder ins Bewusstsein rücken wollen, ist es auch heute noch problemlos möglich, in Detmold zu leben, ohne von diesem jüdischen Erbe je etwas mitzubekommen.
Versteckt im Hinterhof
Etwas versteckt im Hinterhof einer kleinen Einkaufspassage befindet sich zwar ein Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus, und wo einst die in der Reichspogromnacht zerstörte, 1907 eröffnete prächtige Reformsynagoge stand, ist heute eine Gedenktafel angebracht. Aber man muss schon sehr aufmerksam durch die Straßen schlendern, um etwa die hebräische Inschrift am einstigen Vorsängerhaus in der Exterstraße zu entdecken oder die Gedenkplakette für den berühmtesten jüdischen Sohn der Stadt, den Philologen Leopold Zunz.
Noch unscheinbarer ist ein kleines, vom Zerfall bedrohtes Fachwerkhäuschen in der Bruchmauerstraße, das vor 1742 als Synagoge der Gemeinde fungierte. 1633 möglicherweise bereits als Bethaus errichtet, handelt es sich um eine der ältesten nachgewiesenen Synagogen in Norddeutschland.
Schülerinnen und Schüler des örtlichen Grabbe-Gymnasiums haben vergangenes Jahr eine digitale Stadtführung „Jüdische Spuren in Detmold“ entwickelt und im Zuge dieses Projekts direkt gegenüber dem Bethaus an der alten Stadtmauer Informationsbanner angebracht, die auf die Geschichte des Gebäudes hinweisen. Aber kaum jemand verirrt sich hierher. Und so erregt es bislang auch wenig Aufsehen, dass der Rechtsanwalt Hendrik Schnelle, dem das Gebäude gehört, seit Jahren versucht, dieses Denkmal jüdischen Lebens abreißen und stattdessen Parkplätze bauen zu lassen. Ein „Schandfleck im Stadtbild“ sei die ehemalige Synagoge, sagte er der Lippischen Landeszeitung.
Tatsächlich ist der Anblick der maroden Holzfassade mit den zugenagelten Fenstern wenig erbaulich. Doch die umliegenden, hübsch restaurierten Fachwerkhäuser in der Nachbarschaft zeigen, dass sich an dem Zustand des historischen Gebäudes mit ein wenig gutem Willen und öffentlichen Mitteln durchaus etwas machen ließe. Die Jüdische Gemeinde Herford-Detmold sähe am liebsten eine Begegnungsstätte oder ein kleines Museum in dem Gebäude untergebracht, wie der Vorsitzende Matitjahu Kellig berichtet. Zweifellos ließe sich an diesem Ort die faszinierende Geschichte der lippischen Juden gut erzählen – eine Geschichte zwischen urbanem und dörflichem Raum, eine Geschichte von Tradition und Moderne in der Provinz, eine Geschichte auch der jüdisch-christlichen Nachbarschaft.
Die Stadt will kaufen
Doch der Plan, in der einstigen Synagoge die jüdische Geschichte Detmolds zu vermitteln, scheint auf absehbare Zeit nicht realisierbar zu sein. Zwar will die Stadt das Gebäude kaufen und hat dem Eigentümer auch ein marktgerechtes Angebot unterbreitet, wie Pressesprecher Marius Roll betont, aber Schnelle beharrt auf seiner Parkplatzidee. Immer wieder zieht er vor Gericht, um den Abriss des denkmalgeschützten Gebäudes einzuklagen. Zuletzt war es das Verwaltungsgericht in Minden, das seinen Antrag ablehnte, doch Schnelle, der sich vor Gericht selbst vertritt, will zur Not bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ziehen, wie er in einer Mitteilung verkündete. Offenbar lässt ihm das Thema keine Ruhe.
Wer etwas genauer hinschaut, ahnt warum. Schnelle tummelt sich seit mindestens zwei Jahrzehnten in der rechten Szene. 2002 wurde er vom Landgericht Detmold wegen Volksverhetzung verurteilt, weil er öffentlich gefordert hatte, Homosexuelle zu „vergasen wie damals die Juden“. Seither tritt er immer wieder als Szeneanwalt in Erscheinung, leistete etwa Beate Zschäpes Brieffreund Robin S. und dem rechtsextremen Youtuber Tim K. vor Gericht juristischen Beistand. Schnelle stellte den ersten Antrag auf Abriss zwar bevor die historische Bedeutung des Gebäudes bekannt war, das lange Zeit fälschlich für ein Gartenhaus aus dem Jahr 1770 gehalten wurde, aber dass er nach den Erkenntnissen der Baudenkmalbehörden weiter an seinem Vorhaben festhält, wirft zumindest Fragen auf.
Ob Schnelle mit seinen Plänen zur Zerstörung eines einzigartigen historischen Denkmals Erfolg haben wird, ist nicht entschieden. Die lokalen Medien berichten zwar über den Fall, doch eine größere öffentliche Debatte ist bislang ausgeblieben.
Die Stadt betont weiterhin, das Gebäude kaufen zu wollen, aber die Verhandlungen liegen auf Eis. Könnten die strikten Auflagen zur Erhaltung historischer Gebäude ein Hebel sein, um den Eigentümer entweder zum Verkauf oder zur Sanierung zu zwingen?
Alle zwei, drei Monate schaue das Denkmalamt nach dem rechten, lässt die Stadt wissen, aber es sei da wenig zu machen. Nicht einmal das Privatgelände, das Schnelle videoüberwachen lässt, dürfen die Beamten eigentlich betreten. Als es für jeden erkennbar durch die kaputten Fenster und das Dach in das Gebäude regnete, ließ Schnelle zwar die Fenster notdürftig mit Brettern zunageln, aber Bestandsschutz im eigentlichen Sinne leistet er nicht. Eines steht fest: Je länger der Streit sich hinzieht, desto mehr verfällt das alte Bethaus. Matitjahu Kellig warnt: „Das Gebäude könnte jederzeit zusammenstürzen, wenn einmal ein Sturm oder ein heftiges Gewitter aufzieht.“
Es gibt Widerstände
Deshalb gelte es nun, schnell zu handeln und den Erhalt der ehemaligen Synagoge langfristig zu sichern. Als engagierter Bürger setzt sich Kellig, passionierter Konzertpianist und emeritierter Professor der Musikhochschule der Stadt, für dieses Ziel ein. Er kennt Detmold gut, lebt seit 30 Jahren hier, ist angesehen und bestens vernetzt. Er weiß, dass er zwar nicht allein ist mit seiner Sorge, dass es aber auch Widerstände gibt.
Vor einigen Jahren attackierte ihn der Neonazi Sascha Krolzig von der Partei Die Rechte öffentlich als „frechen Judenfunktionär“. Krolzig wurde wegen Volksverhetzung zu sechs Monaten Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt, doch Kellig wurde trotzdem weiterhin so massiv bedroht, dass er eine Zeit lang unter Polizeischutz stand. All das hat ihn verändert, sagt er, aber zugleich bestärken ihn die Anfeindungen auch in seiner Haltung. Der Erhalt der ehemaligen Synagoge und ihre Umwidmung zur Begegnungsstätte würden ihn glücklich machen, verrät er.
Doch ob es dazu kommt, hängt auch vom öffentlichen Interesse ab. Marius Roll von der Stadt Detmold freut sich über die Berichterstattung, ihm ist der momentane Zustand des historischen Gebäudes peinlich. Was sollen israelische Touristen denken, wenn sie in Detmold zu Besuch sind und erfahren, dass so mit dem jüdischen Kulturerbe umgegangen wird? Dass diese möglicherweise die richtigen Schlüsse ziehen könnten, dass nämlich die Spuren jüdischen Lebens in Detmold noch immer nicht die Aufmerksamkeit erhalten, die sie verdienen, will Roll nicht akzeptieren. Die Zukunft wird zeigen, was mit dem historischen Synagogengebäude passiert – es ist ein Wettlauf gegen die Zeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Erderwärmung und Donald Trump
Kipppunkt für unseren Klimaschutz