Judentum und Popkultur in den USA: Sich das Hakenkreuz aneignen
Bob Dylan, Lou Reed und die Beastie Boys: Der Pop in den USA wurde und wird von zahlreichen jüdischen KünstlerInnen geprägt.
Ist Pumpernickel jüdisch? Glaubt man Lenny Bruce, lautet die Antwort: definitiv. In einer seiner bekanntesten Stand-up-Nummern erdachte der einst berüchtigte Komiker eine Typologie des Jüdischen, indem er die Welt ganz einfach in „jewish“ und „goyish“, in jüdisch und nichtjüdisch, einteilte. Fruchtsalat? Für Lenny Bruce jüdisch. Brüste? Jüdisch. Ray Charles? Jüdisch. Makronen? Superjüdisch! Zitronenlimo und Trailerparks hingegen: goyish hoch zehn. Alles klar?
Natürlich nicht. Denn was Bruce mit seiner eigenwilligen Aufzählung leistete, war etwas Unerhörtes: Er löste den Begriff des Jüdischen aus dem bekannten Zusammenhang. Ob etwas „jüdisch“ ist, hatte nunmehr nichts mit Chanukka oder Israel zu tun; Bruce’ respektlose Typologie orientierte sich weder an ethnischen noch an religiösen, sondern allein an (pop-)kulturellen Aspekten, wie der Kulturwissenschaftler Caspar Battegay in seinem Essay „Judentum und Popkultur“ feststellte. Man könnte sagen: Bruce überführte in seinem Sketch jüdische Identität in Pop – und befreite sie von Zuschreibungen. Auch über 50 Jahre nach Bruce’ Tod klingt das noch reichlich unerhört. Denn wenn in Deutschland eines schlecht zusammenpasst, dann Juden und Pop.
Und das aus mehreren Gründen: Zuerst ist da das Unbehagen. Jüdische Themen, stellt Battegay fest, werden in Deutschland mit heiligem Ernst und größter Vorsicht behandelt. Die Traditionen von Jüdinnen und Juden (also: Klezmer und Volkslieder) gelten im Land der TäterInnen als unbedingt schützenswert, während die Existenz vitalen jüdischen Lebens den Deutschen einschüchtert – denn es erinnert ihn daran, was hätte sein können, wäre die Schoah nie passiert.
Zugleich ist das hässliche Gegenstück zum Opfer-Narrativ, das Stereotyp vom machtgeilen, kriegslüsternen Juden, im Pop derzeit lebendig wie lange nicht. Im obszönen Hass der Rechtsrockbands, in der antizionistischen Symbolsprache von Rappern wie Kollegah, im Schnulzenpop von Xavier Naidoo, der von „Baron Totschilds“ Umtrieben raunt, aber auch in der unreflektierten Globalisierungskritik mancher Punkbands lebt das Bild vom niederträchtigen Strippenzieher mit Hakennase fort. Zudem erklärt das israelfeindliche Bündnis BDS der Regierung von Benjamin Netanjahu für seine Siedlungspolitik den Kulturkrieg, indem es KünstlerInnen von Auftritten in Israel abzuhalten versucht. Und überhaupt den internationalen Kulturbetrieb gegen den angeblichen Schurkenstaat aufbringt – damit die alte Mär vom kulturlosen Juden, vom „wurzellosen Kosmopoliten“, wie es Stalin formulierte, weiterleben kann.
Pop wäre ohne jüdischen Einfluss schwer denkbar
Antisemitismus ist fester Bestandteil der Popkultur. Und das ist reichlich paradox, denn die Popkultur des 20. Jahrhunderts, ob Mainstream oder Underground, Pop oder Punk, wäre ohne jüdischen Einfluss schwer denkbar.
Im frühen 20. Jahrhundert bis in die 20er hinein war auch in Deutschland der Einfluss jüdischer Intellektueller groß gewesen; nach den Gräueltaten der Nationalsozialisten, nach der Flucht jener Juden, die der Schoah entkommen konnten, verlagerte sich das jüdische Kulturleben hauptsächlich in die USA. Beat-Literat Allen Ginsberg und Bob Dylan, der nobelpreisgekrönte Songwriter-Gott; Produzent Phil Spector und Sängerin Carole King, die Stars der legendären New Yorker Produktionsstätte Brill Building, die Beastie Boys: Dutzende Pop-Ikonen waren und sind jüdisch.
Auch das Werk des kanadischen Musikers Leonard Cohen steckt voller Verweise auf jüdische Identität, etwa sein Song „Who By Fire“, der zum Teil auf der Liturgie für die Feiertage Jom Kippur und Rosch ha-Schana basiert. Filme wie Woody Allens „Annie Hall“ und Sitcoms wie „Seinfeld“, aber auch die Zeichentrickserie „South Park“ verhandelten Fragen jüdischer Identität teilweise unerhört bissig und polemisch; die Comedienne Sarah Silverman spielte mit dem Bild der verwöhnten Göre aus wohlhabendem jüdischen Hause. Und der Rapper Matisyahu stiftete nachhaltig Verwirrung, als er traditionelles wie modernes Judentum mit Reggae und HipHop verband.
Es mag im aktuellen Pop keine jüdische Beyoncé geben, keine internationale Lichtgestalt, die jüdische Identitätspolitik so öffentlichkeitswirksam in den Mainstream trägt, wie es „Queen Bey“ mit Blackness schaffte – „Aber hey, wir haben Barbra Streisand, wir können uns also nicht beschweren“, sagt Steven Lee Beeber. Der US-Amerikaner ist Publizist und Autor des Buchs „Die Heebie-Jeebies im CBGBs“, ein Standardwerk über die jüdische Geschichte des Punks im New York der 70er, das zeigt, dass ohne die New Yorker Juden die Geschichte des US-Punks nicht geschrieben worden wäre. Lou Reed war jüdisch, ebenso Richard Hell, Jonathan Richman, zwei von vier Ramones, fünf der sechs Dictators – und viele mehr.
Mittelfinger an alle VerschwörungstheoretikerInnen
Juden als Erfinder einer radikalen Subkultur, die sich gegen das Establishment richtet: Beebers Werk ist ein ausgestreckter Mittelfinger an alle VerschwörungstheoretikerInnen. „Die frühen Punks hatten den Wunsch, sich jenseits von Zuschreibungen zu bewegen“, sagt Beeber. „Die Idee, sich neu erfinden zu können, ist eine sehr amerikanische. Und besonders Juden waren für diese Idee sehr empfänglich, eben weil sie als Außenseiter gesehen wurden.“
Im Punk lag die Chance, sich von seiner Geschichte zu emanzipieren. Lou Reed fantasierte in seinem Song „I Wanna Be Black“ spöttisch darüber, es den Juden „so richtig zeigen zu wollen“. The Dictators gingen sogar noch einen Schritt weiter, sangen vom „Master Race Rock“ („Herrenrassen-Rock“) und nahmen die Swastika in ihr ästhetisches Repertoire auf. Indem man sich das Hakenkreuz aneignete, so zitiert Beeber die Blondie-Sängerin Debby Harry, wollte man zeigen, dass „die Juden gewonnen haben“.
Während die Punks der 70er Jahre jüdische Identität noch dekonstruieren wollten, identifizieren sich die Künstler der „Punk Jews“-Bewegung, die sich vor etwa einer Dekade in New York City formierte, explizit religiös, zentrieren jüdischen Stolz und Spiritualität. In Zeiten der Identitätspolitik findet auch in der jüdischen Community eine Hinwendung zum Glauben statt. „Für Gruppen wie The Shondes ist es kein Widerspruch, jüdisch und queer, lesbisch und anarchistisch zu sein“, sagt Beeber.
Aber was soll nun eigentlich jüdisch sein an Künstlern wie Bob Dylan, den Beastie Boys oder eben The Shondes? „Jüdisch zu sein ist eine ziemlich eigenwillige Sache“, sagt Beeber. „Ich selbst fühle mich einerseits sehr jüdisch, andererseits völlig jenseits solcher Labels. Und ich denke, so geht es vielen Juden.“ Jüdische Identität birgt eine Art Paradoxon: Weil die Geschichte des Judentums von Katastrophen geprägt sei, so Caspar Battegay, kann es in der jüdischen Kulturgeschichte nie um Kontinuität gehen, sondern um die Darstellung von Ambivalenz.
Ist Deutschland ist man skeptisch
In Deutschland aber steht man diesem Spiel mit Uneindeutigkeit noch immer skeptisch gegenüber. Comedians wie Oliver Polak oder neuerdings Shahak Shapira heben jüdische Identität aufs Tableau, setzen aber auf einen eher robusten Humor. Zugleich, stellt Caspar Battegay stellt, werden hierzulande in der Synchronisation von US-Filmen wie „Meine Braut, ihr Vater und ich“ Witze, die auf die jüdische Identität von Charakteren abzielen, oft schlicht nicht übersetzt.
Auch Leonard Cohens Songs werden hier als geniale Studien menschlicher Abgründe rezipiert – nicht aber als Abhandlungen über jüdische Identität. In Deutschland greift man also auf eine Poptradition zurück, die von Jüdinnen und Juden geprägt ist, befreit sie jedoch noch immer von allem Jüdischen.
Und das ist zumindest erstaunlich. Denn vermutlich würde alle Israel-FeindInnen, alle BDS-Fans und „Baron Totschild“-AlarmistInnen nichts so sehr ärgern wie ein zweiter Lenny Bruce: ein unmöglicher Kerl, der dreist verkündet, Kartoffelbrei sei „goyish“, Schokolade hingegen jüdisch, Kirschlimo und Münder obendrein – und noch nicht mal daran denkt, eine Erklärung anzubieten.
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