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Judentum in HamburgLiberale wollen gleiche Rechte

Hamburgs liberales Judentum fühlt sich benachteiligt. Die Gemeinde fordert mehr Respekt, die Rückgabe eines Grundstücks und eine eigene Synagoge.

Bröckelnder Backstein: die denkmalgeschützten Überreste des ersten Tempels des liberalen Judentums aus dem Jahr 1844 Foto: Tim Vogel/dpa

Hamburg taz | Dass es schlecht stehe um das liberale Hamburger Judentum, dafür wären sie ein gutes Symbol: Lange vernachlässigt, stehen die Reste eines einst neuartigen jüdischen Tempels in einem Hinterhof im Stadtteil Neustadt. 1944 von Bomben getroffen, später Jahrzehnte lang der Witterung ausgesetzt, ist in erbärmlichem Zustand, was manchen doch als Keimzelle für das liberale Judentum gilt, wie es sich insbesondere in Nordamerika erhalten hat.

Einen konkreten Vorschlag für die Zukunft der geschichtsträchtigen Immobilie hat Hamburgs liberale jüdische Gemeinde gemacht: einen Wiederaufbau. Und stellte am gestrigen Montag gleich eine Machbarkeitsstudie vor.

Dass es schlecht stehe um ihre Gemeinde, das wollten Galina Jarkova und Eike Steinig gar nicht behaupten, als sie per Videokonferenz vor die Presse traten: Nein, die Gemeinde wächst, davon erzählten die beiden Vorstandsvorsitzenden: 342 Mitglieder hat der „Israelitische Tempelverband“ derzeit.

Auf 2.300 beziffert die größere jüdische Einheitsgemeinde die Zahl ihrer Gläubigen. Jüdische Menschen indes gibt es in Hamburg bis zu 10.000, da bilden also nicht mal beide Gemeinden zusammen auch nur annähernd das Ganze ab.

Grundstück ist nicht gleich Grundstück

„Beide jüdische Gemeinden müssen gleichberechtigt und gleichwertig behandelt und gefördert werden“, unterstrichen Jarkova und Steinig nun. Das betrifft auch die Ruine in der Hamburger Neustadt: Seit 2020 gehört das Areal in der Poolstraße der Stadt, die es aber „entwickelt“ sehen möchte; der Tempelverein verweist auf Aussagen des Hamburger Finanzsenators Andreas Dressel (SPD), wonach sich das ganze „wirtschaftlich selbst tragen müsse“.

Hamburger Reformen

1817 Aus der Reformbewegung heraus gründen 65 jüdische Hausväter den „Neuen Israelitischen Tempelverein“. Erste Gottesdienste reformierten Typs dann 1818, noch in der Ersten Brunnenstraße, Hamburg-Neustadt.

1819 Den Streit mit den Orthodoxen darüber, wer berechtigt ist Hamburgs Jüdinnen und Juden zu vertreten, schlichtet der Senat, indem er eine Trennung der jüdischen Gemeinde verbietet. Es gibt nun eine Deutsch-Israelitische Gemeinde mit mehreren Kultusverbänden – das „Hamburger Modell“.

1844 Der Tempel in der Poolstraße wird fertiggestellt. Eigentümer ist der liberale Tempelverein, was erst seit kurzem möglich ist. Zuvor mussten das Privatpersonen sein.

1931 Einweihung der liberalen Synagoge in der Oberstraße im Stadtteil Harvestehude: Hier finden 1.200 Gläubige Platz, das ist vergleichbar mit der orthodoxen Synagoge auf dem Bornplatz.

1937 Zwangsverkauf der Synagoge in der Poolstraße.

1938 Verwüstung und Schließung der Synagoge Oberstraße, die nach 1942 zwangsweise verkauft wird, 1953 erwirbt sie der NDR.

Jarkova und Steinig beklagten am Montag, dass der Senat den liberalen Jüdinnen und Juden nach wie vor echte Anerkennung vorenthalte. Das meint etwa die Einstufung der Gemeinde als Körperschaft öffentlichen Rechts, was allerlei Vorteile hätte. Derzeit als Verein, also privatrechtlich organisiert, hat die Gemeinde Mitte 2021 einen Antrag auf „Statusfeststellung“ gestellt. Der liegt seither beim Senat.

Gut möglich, dass mit einer öffentlich-rechtlich verfassten liberalen jüdischen Gemeinde anders umgegangen worden wäre, seit der rot-grüne Senat im Herbst 2019 sein Herz für die Vielfalt jüdischen Lebens entdeckte: Sichtlich unter dem Eindruck des antisemitischen Attentats in Halle kam damals ein Synagogenbau gleich neben dem Universitätscampus auf die Agenda, da, wo bis 1939 Norddeutschlands größte – orthodoxe – Synagoge stand. Inzwischen haben Stadt und Bund rund 130 Millionen Euro für einen Neubau bewilligt.

Freude darüber haben die liberalen Gemeinde­vertreter:innen immer wieder bekundet. Aber auch darauf hingewiesen, dass sie nie mit an den Tisch gebeten werden. In Sachen Bornplatz spricht die Stadt vielmehr exklusiv mit der größeren Einheitsgemeinde. Die wiederum nimmt gern für sich in Anspruch, das Hamburger Judentum in seiner ganzen Breite zu repräsentieren: Immerhin hat sie ja auch einen reformierten Flügel.

Ruf nach Rückgabe

Echte Gleichbehandlung, das hieße aus Sicht der liberalen Jüdinnen und Juden aber die Restitution des 1937 unter Zwang verkauften Grundstücks – so wie die Stadt auch am Bornplatz Grund zurückgegeben hat an die Einheitsgemeinde. In der Poolstraße könnte für vergleichsweise wenig Geld ein neuer Tempel entstehen, respektive der einst dort bestehende rekonstruiert werden.

Konkrete Entwürfe, wie das aussehen könnte, präsentierte nun der Berliner Architekt Jost Haberland, der gerade ein vergleichbares Synagogenprojekt in Potsdam zu Ende gebracht hat. Neben der religiösen Nutzung erwähnt das Konzept unter anderem einen liberalen Kindergarten, einen jüdischen Buch-, Souvenir- und Lebensmittelladen sowie ein koscheres Besucher:innencafé. „Die kalkulierten Gesamtkosten“ heißt es da, beliefen sich auf knapp unter 20 Millionen Euro.

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1 Kommentar

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Die Finanzierung des Synagogenprojektes in der Poolstraße für 20. Millionen Euro durch die Stadt Hamburg ist eine Selbstverständlichkeit!

    Denn: Vor der Flucht ins Exil oder der Deportation in ein Vernichtungslager verloren Hamburger Juden meist ihr gesamtes Eigentum. Die Behörden des NS-Staats kassierten über eine Vermögensabgabe, eine "Reichsfluchtsteuer", eine Devisenbesteuerung und über sogenannte Sicherungsanordnungen wirtschaftliches Vermögen.

    Spinne im Netz bei der Ausraubung der Hamburger Juden war die Hamburger Finanzverwaltung.



    Großbanken oder die Allianz-Versicherung halfen dabei, jüdisches Vermögen zu rauben, die Stadt Hamburg, Großunternehmen, die Universität Hamburg und sehr viele Hamburger Kaufleute und Privatleute profitierten davon und entschädigten nach dem 2. Weltkrieg jüdische Rechtsnachfolger der ermordeten Juden nicht oder nur in viel zu geringen Maß.

    Christian Pross räumte 1988 mit der Legende von der "Wiedergutmachung" auf, bezeichnete sie als bürokratischen und juristischen Kleinkrieg gegen die jüdischen Opfer.

    taz.de/Die-Legende...tmachung/!1759102/

    Benno Nietzel zitiert Ralf Ahrens, der in Bezug auf die Entschädigung der Juden durch die Dresdener Bank nach dem 2. Weltkrieg schrieb:

    "Das Verhalten der Bankakteure zeigt sich darüber ein spannungsreiches Nebeneinander zweier Muster: auf der einen Seite eine äußerst professionelle Routine bei der juristischen Abwicklung von Ansprüchen, welche den verhandelten Schicksalen der Betroffenen keinerlei Aufmerksamkeit gewährte, auf der anderen Seite eine ausgesprochene persönliche Erregung gegenüber jeglichen



    konkreten Schuldvorwürfen".

    Schuldabwehr, Verdrängung und völliges Fehlen von Unrechtsbewusstsein prägte demnach das Verhalten der Dresdener Bank.

    Wieviel davon prägt das Verhalten der Stadt Hamburg, ihrer Parteien, Unternehmen und Bürger bei der Entschädigung Hamburer Juden und Religionsgemeinschaften bis heute?