„Judensau“-Relief in Wittenberg: Weltkulturerbe für Antisemitismus
Die Stadtkirche Wittenberg hält an dem obszönen Relief einer Sau, an deren Zitzen jüdische Kinder saugen, fest. Das ist Antisemitismus in Reinkultur.
D ie Lutherstadt Wittenberg ist einerseits trotz ihres eigenen ICE-Halts eine kleine Provinzstadt, baulich und mental. Sie ist aber andererseits das „Rom“, das religiöse Zentrum der lutherischen Kirchen in Deutschland und weltweit. Denn die Stadtkirche in Wittenberg war die Predigtkirche von Martin Luther, und wurde dadurch zum evangelischen „Petersdom“, Pilgerziel, Kundgebungsort, Devotionalien-Handel rundherum, bis heute als „Mutterkirche der Reformation“.
Doch die Stadtkirche hat einen aufschlussreichen Makel: An ihrer Außenwand propagiert ein Relief mit einer Sau, an der sich jüdische Kinder nähren und ein Rabbiner obszön betätigt, einen abgrundtiefen Hass gegen jüdische Menschen und ihren Gott. Theologisch geadelt wurde diese „Judensau“ durch Martin Luther selbst. Rechtzeitig zum großen Reformationsjubiläum 2017 wurde dieses Relief saniert und das darüber eingefügte Luther-Zitat vergoldet.
Doch seit 2017 gab es auch zunehmend Protest gegen diese Schmähplastik, was immerhin zur Folge hatte, dass sich der verantwortliche Gemeindekirchenrat mit dem Thema beschäftigen musste. Hinzu kam der kircheninterne Druck auch aus der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Ein vom Gemeindekirchenrat selbst eingesetztes Expertengremium kam zu der Empfehlung, die Sau abzunehmen und an einem anderen Ort und kritisch kontextualisiert zugänglich zu machen.
Trotz allem beschloss der Gemeindekirchenrat einhellig: „Die als „Judensau“ bekannte mittelalterliche Schmähplastik an der Fassade der evangelischen Stadtkirche Wittenberg wird nicht entfernt.“ Ebenso standhaft wie blind folgen die Wittenberger LutheranerInnen ihrem populären Ortsheiligen: Hier stehen wir, wir können nicht anders. Sollte mensch diese Sturheit nur noch als Provinzposse abtun? Das wäre nicht ratsam.
Zynisches Mahnmal
Die Gemeinde verweist als Rechtfertigung für das Festhalten am Schmährelief auf ein „Mahnmal“, das in der Größe eines Gullydeckels unterhalb der „Judensau“ eingelassen ist. Damit war sie bei drei deutschen Gerichten erfolgreich. Das ist fahrlässig und zynisch, denn auf dieser Bodenplatte befindet sich neben einem vieldeutigen Kreuzes-Symbol ein auf hebräisch formuliertes, also direkt an jüdische Menschen gerichtetes Zitat aus dem Psalm 130, der in seiner Anrufung Gottes die Sünden des Beters bekennt.
Auschwitz kann so nur verstanden werden als Folge der Sünden des jüdischen Volkes. Dass die Juden selbst schuld sind an allem, was ihnen an Bösartigkeit und Verfolgung widerfährt, gehört zu den Standards antisemitischer Einstellungen. Was also nun? In der evangelischen Kirche gebe es keinen Platz für Antisemitismus, heißt es gern und oft.
Das ist Schönrednerei, denn einen prominenteren Platz für hasserfüllte Judenfeindschaft als an der Geburtskirche des Luthertums kann es gar nicht geben. Die lutherische Bischöfinnen und Bischöfe sowie der Rat der evangelischen Kirche in Deutschland sollten sich an die Stadtkirche wenden und dort handfest ihren Worten Glaubwürdigkeit verleihen.
Nicht mehr nur die Schmähplastik an der Außenwand der Kirche, sondern die ganze Stadtkirche mit ihrem Vorstand und ihren Pastoren legen stand- und dauerhaft ein lebendiges Zeugnis dafür ab, dass Judenfeindschaft und Antisemitismus trotz aller gegenteiligen Bekundungen fortwirken. Das Weltkulturerbe Stadtkirche St.Marien Wittenberg wird jetzt weltweit berühmt als Weltkulturerbe für deutsch-kirchlichen Antisemitismus vom Mittelalter über Martin Luther bis heute.
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