Journalismus im Vatikan: Was nach draußen dringt
Kirchen-Berichterstatter aus Rom haben es nicht leicht. Um Neues zu erfahren, müssen sie unglaublich viele Kaffees trinken gehen.
Das Restaurant L’Eau Vive in der römischen Straße Via Monterone ist nicht nur wegen seines guten Essens bei Kirchenleuten beliebt. Betrieben wird es seit Jahrzehnten von den Nonnen eines französischen Ordens. Eine Attraktion sind auch die Tanzeinlagen der Ordensfrauen.
Diese ironisch-lebensfrohen Sister-Acts locken auch Vatikan-Journalisten. Doch die „Vaticanisti“ kommen nicht nur deshalb: Im L’Eau Vive“ griff man lange Zeit, so man trinkfest war, recht zuverlässig Insider-Informationen von dort speisenden Kardinälen ab. Das war noch reizvoller als tanzende Nonnen.
Ein Vatikan-Experte zu sein ist ein harter Job. Die katholische Kirche, vor allem aber der Vatikan gelten für Journalisten als ähnlich verschlossen wie der Kreml zu Sowjetzeiten – „Kreml-Astrologie“ nannte man das, was Journalisten damals aus Moskau meldeten, „Vatikan-Astrologie“ trifft es noch heute.
Das wird derzeit wieder deutlich bei der Synode der Bischöfe der Welt im Vatikan, die sich gerade dem Ende neigt: Die Diskussionen der Oberhirten über die Haltung der katholischen Kirche zur Familie und Sexualität gelten als vertraulich. So will es Papst Franziskus, um eine offene Diskussion zu ermöglichen. Dennoch dringt natürlich ein wenig nach draußen. Die Frage ist nur: was und wie?
Schmutziges Geheimnis
Der US-amerikanische Vatikan-Experte John L. Allen der katholischen, etwas nerdigen Internet-Plattform „crux“ hat das „dirty little secret“, „das kleine schmutzige Geheimnis“, über die Synode offenbart: Im Grunde könne er über sie gar nicht berichten. Denn er sei, anders als etwa bei Debatten im US-Kongress, schlicht nicht dabei.
Alle Informationen erhalte er von Kurienmännern, die eigens dafür abgestellt werden, Journalisten ihrer Sprachgruppe zu berichten, was denn nun angeblich diskutiert werde. Kaum besser sind die täglichen 13-Uhr-Pressekonferenzen mit drei oder vier Bischöfen im Pressesaal des Vatikans. Die dort gestreuten Andeutungen sind spärlich und gehen oft unter in den Eitelkeiten und Witzchen der meist betagten Kirchenführer, die sich freuen, mal was vor der Weltpresse sagen zu dürfen.
Fragt man „Vaticanisti“ nach ihrer Arbeitsweise und ihren Quellen in Rom, werden die meisten eher einsilbig. Denn über so etwas redet kein Journalist gern. Aber es entsteht ein Bild, und das gleicht dem der Berichterstattung, die etwa politische Journalistinnen und Journalisten aus den Hauptstädten der Welt zeichnen: Informationen kriegt man fast nur, wenn man schon lange dabei ist, viele Quellen hat – und als vertrauenswürdig gilt.
Mit vielen Kurienleuten, so erzählt es ein „Vaticanista“, müsse man regelmäßig einen Kaffee trinken, bis bei dem ein oder andern irgendwann das eigene Erstaunen über das Geschehen im Vatikan nach außen drängt: „Ist das nicht irre?!“ Öffentlich sei schon viel: Etwa 15 Zentimeter hoch soll der Stapel der Synoden-Papiere sein. Und dann werden natürlich auch Sachen durchgestochen.
Durchstecherei
Sandro Magister etwa, ein großer „Vaticanista“, gilt als „Todfeind“ des Papstes und wird regelmäßig von reaktionären Kirchenleuten mit Informationen gefüttert. Er veröffentlichte zu Beginn der Synode einen Brief, den dreizehn konservative Kardinäle an den Papst geschrieben hatten. Angeblich „privat“: Sie beschwerten sich, die vorgesehene Arbeitsweise der Synode begünstige reformbereite Kräfte.
Absurd war, was folgte: Manche Kardinäle stritten ab, den Brief unterschrieben zu haben – oder ließen ihre Autorenschaft im Unklaren, wie etwa der konservative Cheftheologe im Vatikan, der Präfekt der Glaubenskongregation, Gerhard Ludwig Müller.
Der Papst sah sich gedrängt zu betonen, dass er an der Lehre der Kirche grundsätzlich nichts verändern wolle. War das das Ziel dieser Durchstecherei, ein zweites „Vatileaks“, wie sich ausgerechnet Müller empört äußerte?
Magister hatte schon zuvor seine Akkreditierung beim Vatikan verloren, als er jüngst die Papst-Enzyklika „Laudato Si“ als einziger Journalist weltweit vor Ende der Sperrfrist veröffentlichte – offensichtlich, um den Papst zu schaden, ihm den großen Auftritt zu versauen.
Strategische Kontakte
Das aber sind nur die Highlights. Das tägliche Brot von „Vaticanisti“ ist es, sich sowohl an die bigheads in der Kurie zu halten (“Den Kardinal Kasper rufe ich an, Kardinal Tagle habe ich auf der Straße angesprochen.“), vor allem aber strategisch Kontakte in der zweiten Reihe zu knüpfen.
Dort müsse man Quellen aufbauen, weil diese Hinterbänkler manchmal mehr erzählen oder später wichtig werden. Es sei wie ein Mosaik, das man langsam aus vielen Steinen zusammenlege. Und immer neue Kontakte müsse man knüpfen, auch auf neutralem Grund, etwa nach Vorträgen an der Papst-Universität Gregoriana.
Auch die Persönlichkeit des „Vaticanista“ spiele eine Rolle: „Leer“ dürfe man nicht sein, sondern selbst etwas zu sagen und zu erzählen haben. Atheisten hätten langfristig keine Chance. Da fehle die gemeinsame Grundlage – im Kern Vertrauen. Und: „Ich muss auch was für mich behalten können“, sagt ein „Vaticanista“. Dann ergänzt er selbstkritisch, auch das bekannt im politischen Journalismus: „Man wird auch viel ausgenutzt.“
So ist das Spiel in Rom, und vielleicht ist es am erträglichsten, wenn man dabei gut isst. Der frühere Erzbischof von Köln, Joachim Kardinal Meisner, quatschte mit Journalisten, immer am gleichen Platz sitzend, am liebsten in einer schlichten römischen Trattoria mit sardischen Wirtsleuten. Gekocht haben sie vorzüglich. Getanzt aber nie.
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