Joe Bidens TV-Performance: Der Schlaf des Gerechten
Nach dem misslungenen Meeting mit Trump sagte US-Präsident Joe Biden, sei er müde gewesen. Wer könnte das nicht nachvollziehen – bei dem Gegenüber?
Ob Haushaltsstreit, Ukrainehilfen, Frauenrechte oder der nun wirklich lange Zeit vollkommen unlösbar erscheinende Fall Assange – Joe Biden gehört zweifellos zu den erfolgreichsten Präsidenten der US-Geschichte. Ein charmanter Problemabräumer par excellence, der nun, wenn man ihm denn glauben will, über die banalste aller zeitgenössischen Malaisen gestolpert sein soll: die Müdigkeit.
Im TV-Duell mit einem notorischen Bullshit-Verbreiter, dem vernünftige Menschen noch nicht mal einen Gebrauchtwagen abkaufen würden, tat Biden nach eigener Aussage das als Privatperson einzig Richtige: Er nickte fast weg, auch, weil er in den Wochen zuvor – beschäftigt mit der Erledigung für die Menschheit wirklich wichtiger Aufgaben – schlicht zu wenig Schlaf bekommen hatte.
Biden sagte auch, das sei natürlich keine Entschuldigung für sein Verhalten, nur eine Erklärung. Auch das ist in einem Diskursverhalten von Politikern, die sich sonst gar nicht schnell genug entschuldigen können, immer mit dem Zusatz „falls ich jemanden verletzt/beleidigt/verstört haben sollte“, eine rhetorisch-moralische Wohltat.
Um es klar zu sagen: Es ist richtig dumm, dass Biden im Moment der Konfrontation mit dem Erzschurken Trump müde war. Vielleicht ist es sogar eine Katastrophe. Selbst seine Parteifreundin Nancy Pelosi nahm ihn nur insofern in Schutz, als er nun zeigen müsse, dass es sich um ein „one time issue“ gehandelt habe. Da wird Druck aufgebaut von gewogener Seite, mit dem der mächtigste Mensch der Welt wird umgehen müssen, wenn er denn in seiner Position bleiben will, was sich jeder vernünftige Mensch nur wünschen kann.
Hiesige Bullshit-Topscorer
Und doch, wenn wir uns kurz in den nickerchenähnlichen Zustand des Träumens absetzen dürfen: Wer würde nicht Verständnis, ja Bewunderung etwa für einen Robert Habeck aufbringen, wenn der im „Gespräch“ mit dem hiesigen Bullshit-Topscorer Markus Söder einfach mal einen kurzen Tagschlaf einlegte?
Und wenn wir die Meldungen zum außer Rand und Band geratenen Kokainkonsum der Deutschen ernst nehmen, dann scheint man hier ein Gegenmittel zu suchen gegen die Großversuchung, den privat wie im öffentlichen Raum drängelnden, immer schrecklich ausgeschlafenen Fatzkes einfach mal wegzuschlafen, wenn man schon nicht vor ihnen weglaufen kann.
Der (angeblich) müde, der unfitte demokratische Politiker ist dabei natürlich auch ein rechtsradikales, lustvoll besetztes Meme. Die Rechercheplattform correctiv etwa hat im Januar 21 eine AfD-Kampagne gegen Anton Hofreiter unter die Lupe genommen. Dem war mit einem in den sozialen Medien geteilten Foto unterstellt worden, im Bundestag eingeschlafen zu sein. Die überaus pingelige correctiv-Recherche zeigte, dass es „keinerlei Hinweise“ gebe, dass Hofreiter geschlafen habe.
Und der britische Independent überschrieb einen Beitrag über die Spekulationsberichterstattung zu Hillary Clintons Gesundheitszustand während des US-Wahlkampfs 2016 mit der Zeile: „Hillary Clinton is so unwell, it’s a wonder she is still alive“.
Sind das müde Ausreden zur Verteidigung von „Sleepy Joe“, wie Trump während seiner Amtszeit und insbesondere im Wahlkampf 2020 sich angewöhnt hatte, Biden zu nennen, um gegen ihn zu verlieren und einen Putsch anzuzetteln?
Man kann nur hoffen, dass die US-amerikanischen Wähler:innen ausgeschlafen agieren, wenn es am 5. November 2024 tatsächlich darum geht, eine wichtige Entscheidung zu treffen: Zwischen einem dann fast 82-Jährigen, der zwar nicht immer sich, aber dafür die Weltpolitik im Griff hat. Und einem gerade 78 Gewordenen, der schon sein ganzes, auch nicht gerade kurzes Leben lang ein Totalausfall ist.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich