Jochen König über Elternschaft: „Mit Vätern kann ich kaum reden“
Seine Tochter Fritzi nennt ihn Mama und Papa. Das ist ungewöhnlich. Aber Jochen König fand das gut. Mit den Zweimonatspapis kann er nichts anfangen.
taz: Herr König, Sie haben zwei Töchter. Was sind Sie für die beiden – Vater oder Mutter?
Jochen König: Die meisten würden sagen, ich bin der Vater dieser Kinder. Aber in mancherlei Hinsicht habe ich nun mal die Mutterrolle. Ich bin für meine Tochter Fritzi die Hauptbezugsperson, die im Alltag da ist, die tröstet und sie ins Bett bringt. Deswegen sagt Fritzi Mama zu mir – wie alle Kinder die Person nennen, die diese Rolle einnimmt.
Wie kommt es, dass das in Ihrer Familie Sie sind?
Fritzi hat von Anfang an bei mir gewohnt, mit ihrer Mutter habe ich nie zusammengewohnt. Sie war damals gerade mit dem Studium fertig, ich hingegen hatte keine Lust mehr auf Lohnarbeit und Lust, mit dem Kind zu Hause zu bleiben. Aber natürlich haben auch feministische Überlegungen eine Rolle gespielt. Nur weil es diese Rollenzwänge scheinbar gibt, wollten wir nicht auch so leben.
Und da haben Sie die Zwänge einfach über Bord geworfen?
Seh' ich gut aus? Bin ich nett genug? Wie finden mich andere? Fragen, die das Leben vieler Frauen bestimmen. Oder anders formuliert: das innere Korsett. Damit beschäftigt sich die Sonderausgabe zum diesjährigen Internationalen Frauentag am 8. März. Unter anderen mit Laurie Penny, der Muslimin Sineb El Masrar, der Modebloggerin Katrin Lange, der Autorin Gabriele Häfner, den Soziologinnen Cornelia Koppetsch und Sarah Speck, dem Vollzeitpapa Jochen König und dem AutorInnen-Duo Almut Schnerring und Sascha Verlan. Die komplette Ausgabe finden sie gedruckt am Kiosk oder digital am eKiosk.
Auch ich bin mit einer klassischen Vorstellung von Familie aufgewachsen. Ich habe aber auch schon immer gesehen, dass diese nicht alle Menschen glücklich macht. Väter sind oft unzufrieden, weil sie gerne mehr Zeit mit den Kindern verbringen würden. Mütter sind manchmal unzufrieden, weil ihnen so wenig Zeit und Freiheit für anderes bleibt. Ja, irgendwie war es für mich eine Befreiung, eher danach zu schauen, was ich eigentlich will, als danach, was die Gesellschaft von mir erwartet.
Fritzi ist also zu Ihnen gezogen, Ihre Freundin ist in ihrer Wohnung geblieben. Warum nicht eine Fifty-fifty-Aufteilung?
Für mich geht es bei gleichberechtigter Elternschaft nicht darum, dass jede Person dieselbe Anzahl von Windeln wechseln muss. Es sollten alle beteiligten Parteien die Freiheit haben, zu tun, worauf sie Lust haben.
34, ist Pädagoge und Kulturwissenschaftler. Der Vater von zwei Töchtern lebt in einer Regenbogenfamilie mit zwei lesbischen Frauen. Seine erste Tochter Fritzi hat er allein betreut. Diese Erlebnisse hat er im Buch „Fritzi und ich. Von der Angst eines Vaters, keine gute Mutter zu sein“ veröffentlicht. 2015 erschien sein neues Buch, „Mama, Papa, Kind? Von Singles, Co-Eltern und anderen Familien“.
Hat das immer geklappt?
Grundsätzlich würde ich sagen, ja, klar, aus dem Kind ist ja bisher einigermaßen was geworden. Aber natürlich war es für mich auch schwierig. Dinge anders zu machen, ohne wirkliche Vorbilder zu haben, ist nicht immer das Einfachste.
Was war für Sie als Vater denn anders als für eine Mutter?
Ich glaube, eigentlich war es gar nicht so anders. Ich verstehe mich total gut mit anderen Müttern, weil wir exakt dieselben Probleme haben. Das sind keine Geschlechterprobleme, sondern sie hängen nun mal mit der Rolle zusammen. Ich war unausgeschlafen, habe mir wegen irgendwelcher Kleinigkeiten Sorgen um das kleine Baby gemacht und wusste nicht, was dieses Kind jetzt hat und ob es todkrank ist oder nicht – da ging es mir genauso wie anderen Müttern auch.
Wie wird Ihnen als sorgendem Vater begegnet?
Vor allem positiv. Alle finden es unglaublich toll, dass ein Vater sich so engagiert. Mir wird auf die Schulter geklopft, alle loben mich für Dinge, die Hunderttausende Mütter auch tun. Die bekommen aber kein Lob, weil es von ihnen so selbstverständlich erwartet wird. Das ist angeblich ihre Aufgabe, das, wofür sie auf dieser Welt sind.
Sie haben sich bewusst für die Mutterrolle entschieden, Fritzis Mutter entschied sich dagegen. Wie ist es ihr ergangen?
Genau wie ich das ganze Lob abkriege, hat sie das Unverständnis abbekommen. Wie kann es sein, dass sie ihr Kind alleinlässt – allein bei mir, wohlgemerkt. Weil Fritzi bei mir gewohnt hat, hat ihre Mutter nicht lange gestillt. Dass ein Vater das Kind mit der Flasche füttert, während die Mutter danebensitzt, hat oft große Empörung hervorgerufen.
Was hat sich in Ihrem Leben durch die Vaterschaft verändert?
Ich bin wirklich nicht naiv an das Vatersein herangegangen. Aber wie krass dieser Einschnitt in das eigene Leben ist, hat mich schon überrascht. Monatelang nicht wirklich schlafen können, diese ganzen Sorgen, die man sich macht – es wird nicht so viel darüber gesprochen, was für eine große Belastung das sein kann. Allerdings betrifft mich das ja nicht, weil ich ein Vater bin, sondern weil ich in der Rolle des sorgenden Elternteils bin.
Immer mehr Väter nehmen Elternzeit. Es geht also bergauf, oder?
Es gibt auf jeden Fall eine Entwicklung. Das ist aber nicht die große, essenzielle Veränderung, als die es manchmal dargestellt wird. Der Vater nimmt die zwei Vätermonate, den Rest der Zeit ist wie selbstverständlich die Mutter die Person, die zu Hause bleibt und die ganze Last zu tragen hat. Am Ende übernimmt der Vater die Eingewöhnung in den Kindergarten und damit den ersten Kontakt zur Öffentlichkeit. Die klassische Rollenaufteilung.
Die Väter müssen also nicht so viel aufgeben wie die Mütter.
Genau. In Prenzlauer Berg, wo viele Familien mit Kindern leben und der zum Inbegriff familiärer Opulenz geworden ist, gibt es ein Väterzentrum mit Frühstückscafé. Die Gespräche drehen sich dort darum: was der Chef dazu gesagt hat, dass sie für zwei Monate aussteigen, oder um die Freizeit, die sie immer noch haben, weil die Frau trotz allem die meiste Zeit das Kind übernimmt. Oder sie erzählen, dass sie auf dem Sofa schlafen, damit sie nachts nicht geweckt werden – während die Mütter schlaflose Nächte haben. Meine Sorgen waren völlig jenseits der Vorstellungskraft der meisten Väter, die sonst so da waren. Mit Vätern kann ich eigentlich kaum reden.
Oft ist die ökonomische Situation der Grund dafür, dass die Väter weiterarbeiten. Männer verdienen häufig immer noch mehr als ihre Partnerinnen.
Es müssen in jedem Fall finanzielle Abstriche gemacht werden, egal wer zu Hause bleibt. Aber Väter sind nicht bereit, ihre Sicherheiten aufzugeben. Aus dem Job auszusteigen, für die Kinder zu sorgen, jahrelang nur Teilzeit zu arbeiten – das ist so schlecht geregelt, dass es für viele zwangsläufig in die Armut führt. Das auf die Frau abzuwälzen ist ja sehr bequem.
Aber für die Frau wäre es doch auch bequem, diese Abstriche nicht zu machen.
Frauen haben die Wahl nicht, die Gesellschaft erwartet von ihnen, dass sie zu Hause bleiben. Diesen Druck gibt es bei Vätern nicht. Väter sind super, so wie sie sind. SPD-Chef Sigmar Gabriel wird gefeiert, wenn er einen halben Tag bei seiner kranken Tochter bleibt. Bei Familienministerin Manuela Schwesig hingegen werden ihre Kompetenzen infrage gestellt, wenn sie zu lange nicht im Ministerium ist.
Sie verbringen also lieber Zeit mit anderen Müttern?
Was heißt lieber? Das sind eben die Leute, die sich an denselben Orten aufhalten wie ich. Wenn ich auf dem Spielplatz bin, sind da eben 90 Prozent Mütter. Irgendwann nach 17 Uhr oder am Sonntag tauchen auch Väter auf dem Spielplatz auf. Aber das ist ja nicht die einzige Zeit, in der ich mich um die Kinder kümmere.
Ihre jüngere Tochter Lynn hat einen Vater und zwei Mütter. Wie kommt das?
Ich wollte gerne ein zweites Kind. Die Erfahrung mit Fritzi hat mir gezeigt, wie schwierig es ist, gleichzeitig Paar und Eltern zu sein. Auch eine Trennung ist nicht so einfach, wie ich mit Fritzis Mutter erleben musste; eigentlich will man sich aus dem Weg gehen, aber man muss am nächsten Tag das Leben mit diesem Kind weiter organisieren. Ich wollte das Kind mit einer Frau bekommen, die nicht meine Partnerin ist. Die gemeinsamen Eltern von Lynn sind ein befreundetes lesbisches Paar und ich.
Machen Sie jetzt andere Erfahrungen?
Es gibt viel mehr negative Reaktionen. Für viele Leute ist Familie immer noch diese klassische Vorstellung von Mama, Papa, Kind. Mir wird außerdem vorgeworfen, ich hätte „ein Kind ohne Liebe“ gezeugt. Das ist Quatsch, natürlich gibt es viel Nähe zwischen mir und Lynns Müttern. Wir haben uns ja zusammen entschieden, dieses Kind zu kriegen und mindestens zwanzig Jahre lang gemeinsam für es zu sorgen. Während ich beim ersten Kind der absolute Held war, ist es jetzt eher so, dass in meiner Familie der Anfang vom Untergang des Abendlandes gesehen wird.
Fritzi ist jetzt sechs Jahre alt. Gibt es Momente, in denen sie damit konfrontiert wird, dass ihre Familie anders aussieht als die der meisten Kinder?
Auf jeden Fall. Wie ihre Schwester gezeugt wurde, hat für viel Gesprächsstoff gesorgt. Sie versucht immer wieder, anderen Kindern zu sagen, dass es natürlich möglich ist, dass ein Kind nicht nur eine Mama und einen Papa hat, sondern eben zwei Mamas und einen Papa. Fritzi muss außerdem immer wieder erklären, warum sie mich Mama nennt.
Wie reagieren Erwachsene darauf, dass Fritzi Sie so nennt?
Viele suchen erst mal nach der Mutter. Andere fragen, warum ich Fritzi nicht korrigiere. Das habe ich aber nie getan, sie darf mich nennen, wie sie will. Ich habe da auch kein Problem mit meiner Männlichkeit – was auch immer „Männlichkeit“ überhaupt bedeuten soll.
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