Jobs für Geflüchtete aus der Ukraine: Der Koch kann sofort loslegen
Viele der Geflüchteten aus der Ukraine können einfach anfangen zu arbeiten. Unter anderem Ärzt:innen brauchen aber vorher eine Genehmigung.
Einerseits wollte der Restaurantbesitzer in der Rhön einfach Hilfe leisten, andererseits brauchte er aber auch einen Koch. Beides kommt nun zusammen. Wenn die Registrierung abgeschlossen sei – „wir warten noch auf die Steuer-ID“ – soll der Kollege aus Kiew seinen Arbeitsvertrag erhalten, „zu tariflicher Bezahlung“.
Glas würde sich freuen, wenn der neue Mitarbeiter bliebe. Aber das muss sich finden. Der Krieg in der Heimat, die Erlebnisse auf der Flucht, die ungewisse Zukunft – mit diesen schmerzhaften Themen will der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer erst mal in Ruhe lassen. Mit Google Translator zwischen Ukrainisch und Deutsch sind solche Gespräche auch kaum möglich.
Unklar, wie lange Ukrainer:innen bleiben
Die Situation in der Kneshecke ist vergleichbar mit der Lage im Land. Es geht um die Unterstützung der Ukraine und ihrer Bürger:innen. Aber Deutschland hat durchaus auch Eigeninteressen, die dabei eine Rolle spielen. Unlängst plädierte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) für die schnelle Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt. Ein Hintergrund dabei: Hunderttausende Stellen für Ärzt:innen, Krankenpfleger:innen, Lehrer:innen oder Ingenieur:innen sind schon jetzt schwer oder gar nicht zu besetzen. Und künftig wird der Fachkräftemangel weiter zunehmen.
Also stellen sich Fragen wie diese: Passen die Ukrainer:innen in den deutschen Arbeitsmarkt? Verfügen Sie über die Qualifikationen, die hier gebraucht werden? Migrationsexperte Thomas Liebig von der Industrieländer-Organisation OECD in Paris warnt zunächst: „Ich halte diese Debatte für zumindest verfrüht.“ Er geht davon aus, dass die meisten Geflüchteten aus der Ukraine bald wieder nach Hause zurückkehren wollen.
„Das Bildungsniveau der Bevölkerung in der Ukraine ist im internationalen Vergleich hoch“, sagt Migrationsforscher Herbert Brücker, „zudem verfügen Frauen in der Ukraine über ein höheres Bildungsniveau als Männer.“ Das scheinen erst mal gute Voraussetzungen zu sein. Allerdings weist der Ökonomieprofessor der Berliner Humboldt-Universität darauf hin, dass bisher zu wenige Informationen über die Zahl der Absolvent:innen bestimmter Ausbildungsgänge, etwa medizinischer Berufe, in der Ukraine zur Verfügung stünden. Auch über die Qualität der Ausbildung dort lasse sich recht wenig sagen. Was ebenfalls bisher fehlt, seien genaue Angaben über die soziale Zusammensetzung derer, die aus der Ukraine fliehen.
Bürokratische Hürden
Ein Problem, das bereits absehbar ist, betrifft die Anerkennung der ukrainischen Berufsabschlüsse und Studienzeugnisse in Deutschland. Denn einige Qualifikationen, bei denen sich hierzulande ein besonderer Mangel abzeichnet, gehören zu den sogenannten reglementierten Berufen. Darunter fallen beispielsweise Ärzt:innen, medizinisches Pflegepersonal, Lehrer:innen, Erzieher:innen, aber auch Ingenieur:innen und manche Handwerksberufe.
In diesen Fällen müssen sich die Bewerber:innen die Gleichwertigkeit ihrer Ausbildungen mit den deutschen Standards anerkennen lassen – eine oft hohe bürokratische Hürde. Aber ohne diese Anerkennung dürfen sie nicht arbeiten. Dass es da eine Schwierigkeit auch im Hinblick auf die Ukraine gibt, hat Arbeitsminister Heil unlängst eingeräumt. „Die Ausbildungssysteme sind nicht eins zu eins vergleichbar“, so der Sozialdemokrat. „Da müssen wir schneller werden.“
Eine gemischte Nachricht kommt in dieser Hinsicht aus dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) in Bonn. Von rund 350 ukrainischen Anträgen auf Anerkennung als Arzt oder Ärztin wurden 2020 etwa drei Viertel genehmigt. Dagegen erhielten „von den rund 300 beschiedenen Verfahren zur Gesundheits- und Krankenpflege nur 38 Prozent eine volle Anerkennung“, sagt Claudia Moravek, die zuständige Expertin beim BIBB. Sie schränkt ein, dass diese Zahlen nicht als repräsentativ für die Berufsbildung in der Ukraine betrachtet werden können.
Bei der Mehrheit der Berufe spielt diese Anerkennungsprozedur keine Rolle – etwa bei Köch:innen. Die können einfach anfangen, wenn sie hier einen Arbeitgeber finden. So hat auch Stefan Faulstich, Chef des Landhotels Rhönblick bei Fulda, einen jungen Koch aus Kiew eingestellt. Wegen einer Ausnahmegenehmigung durfte der die Ukraine verlassen, ähnlich wie der neue Koch in der Kneshecke. Auch Faulstich würde sich freuen, wenn der neue Mitarbeiter bei ihm bliebe.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen