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Jewish Chamber Orchestra MunichEminent wichtiges Lebenswerk

Seit 15 Jahren existiert das Jewish Chamber Orchestra in München. Unter Leitung von Daniel Grossmann ist sein Ziel, jüdische Kultur hörbar zu machen.

Mächtig was los: Das Orchester JCOM Foto: Thomas Dashuber

Die Kamera wandert entlang an den Elektro- und Stacheldrahtzäunen der ehemaligen Konzentrationslager, es sind Bilder aus den fünfziger Jahren, sie wechseln sich ab mit Archivmaterial aus Zeiten, als die Lager noch Lager waren. Es sind schockierende Bilder, krass, nichts für schwache Nerven.

„Nacht und Nebel“ heißt der Dokumentarfilm von Alain Resnais aus dem Jahr 1956; im Moment läuft er auf dem Laptop, den Daniel Grossmann vor sich aufs Pult gestellt hat. Dazu spielt Musik von Hanns Eisler, dem jüdischen Komponisten, der auch die DDR-Nationalhymne komponiert hat. Die Musik jedoch kommt nicht aus den Lautsprechern, das Orchester sitzt live und leibhaftig vor Grossmann. „Könnt ihr noch mehr espressivo spielen“, bittet er, „trotz dem dreifachen Piano.“

Es ist das Jewish Chamber Orchestra Munich, das hier in der Aula der Samuel-Heinicke-Real­schule im Münchner Stadtteil Nymphenburg an einem Samstagnachmittag ihr nächstes Konzert probt. Stummfilme live musikalisch zu begleiten ist inzwischen schon zu einer Spezialität des Orchesters geworden. „Nacht und Nebel“ ist dabei jedoch eine Besonderheit, der Film ist ja eigentlich gar kein Stummfilm. Grossmann und seine Musiker behandeln ihn jedoch so, auch der originale Sprechertext – in der deutschen Fassung von Paul Celan – kommt nicht von der Tonspur, sondern wird von einem jungen Schauspieler live gelesen. Auch er hat einen Monitor vor sich. Der eingeblendete Timecode ist Richtschnur, für den Dirigenten, für den Sprecher.

Leidenschaftlicher Dirigent

Daniel Grossmann ist ein schlaksiger Typ, Brille mit kleinen Gläsern, die Haare stehen ihm etwas zu Berge. Der 41-Jährige ist der Dirigent des Jewish Chamber Orchestra Munich, aber wahrscheinlich würde man den übrigen Orchestermitgliedern noch nicht einmal zu nahe treten, wenn man sagen würde: Daniel Grossmann ist das Jewish Chamber Orchestra Munich.

Aus dem Projekt ist längst ein Lebenswerk geworden

Vor 15 Jahren hat Grossmann das Orchester gegründet, Orchester Jakobsplatz München hieß es damals noch. Passte ja auch gut. Zu dieser Zeit stand gerade die Eröffnung des Jüdischen Gemeindezentrums mit der neuen Hauptsynagoge am Jakobsplatz an. Ein guter Anlass also. Und heute ein guter Grund, Jubiläum zu feiern. Das Jubiläum eines kleinen, aber längst etablierten Münchner Orchesters.

Kurz zuvor im Büro des Orchesters. Es befindet sich im Souterrain, allerdings in der besten Gegend. Nördliche Auffahrtsallee, hier geht es direkt zum Schloss Nymphenburg. Grossmann erzählt, wie das alles gekommen ist mit dem Jewish Chamber Orchestra Munich, kurz: JCOM. „Jay-Com“ sprechen sie den sperrigen Namen aus, als wäre es ein schickes Start-up. An der Wand hängt ein sehr münchnerisches Poster, das von einer gewissen Selbstironie zeugt. In großen Buchstaben steht darauf: „Viel schlimmer ist, dass wir in München ein Publikum haben, das jeden Reinfall zu einem einmaligen Erlebnis hochjubelt.“ Es ist ein Zitat aus einer der bekanntesten Münchner Fernsehserien, dem „Monaco Franze“.

Faszination „Othello“

Es muss ziemlich genau zu der Zeit gewesen sein, Anfang der Achtziger, als die Szene gedreht wurde, in der dieser Satz fiel, dass Daniel Grossmann beschloss, Dirigent zu werden. „Ich war drei Jahre alt. Mein Onkel Adam Fischer hat in der Oper,Othello' dirigiert, und ich war dort. Und das hat mich so fasziniert, dass ich gesagt hab: Das mach ich auch.“ Grossmann ist Münchner, stammt aus einer jüdisch-ungarischen Familie.

JCOM-Dirigent Daniel Grossmann Foto: Thomas Dashuber

Das Elternhaus ist nicht religiös, der Sohn wächst auf, ohne viel mit der jüdischen Gemeinde in Berührung zu kommen. „Aber es hat mich sehr gestört, dass es in München kaum jüdisches Leben gab. Hier kam das gefühlt alle paar Jahre vor, dass man einen Juden trifft.“ Als Jugendlicher beschäftigt sich Grossmann mit Komponisten, die Opfer im Holocaust wurden, und Werken, die sich mit dem Thema auseinandersetzten. Es wird immer mehr sein Wunsch, jüdische Kultur als selbstverständlichen Teil der Gesellschaft sichtbar – und im besonderen natürlich auch hörbar – zu machen.

So kommt es, etliche Jahre und Erfahrungen später und nach einer Dirigentenausbildung, unter anderem in New York und Budapest, zur Gründung des JCOM. Anfangs war es noch der Gedanke, ein Jugendorchester aus der jüdischen Gemeinde heraus zu gründen, doch der zerschlug sich bald. Stattdessen ist es nun ein hochprofessionelles Orchester, das jedes Jahr 20 bis 30 Konzerte gibt. Selten wird ein Konzert mehrmals aufgeführt. 2.000 bis 3.000 Partiturseiten müsse er im Jahr lernen, sagt Grossmann.

Schweizer „Tatort“

Auch auf Tournee waren die Musiker bereits: Israel, Schanghai, USA, Usbekistan... Einmal haben sie auch in einer Folge des Schweizer „Tatort“ mitgespielt. „Die Musik stirbt zuletzt“ hieß der Film, der größtenteils im Konzerthaus in Luzern angesiedelt war und in einer einzigen Einstellung gedreht wurde.

Konzerte des JCOM

Nächste Konzerte des JCOM: 8. 3., „Kinderkino“, Jüdisches Zentrum München; 19. 3., Philip Glass, „The Fall of the House of Usher“, Münchner Kammerspiele; 25. 3., Philip Glass, „The Fall of the House of Usher“, Stadttheater Aschaffenburg; 3. 4., Philip Glass, „The Fall of the House of Usher“, Stadt­theater Landsberg

Jüdisch sind die wenigsten der insgesamt etwa 40 Musiker. Auch Bratschistin Charlotte Walterspiel nicht, die neben Grossmann an einem kleinen Holztisch sitzt. Walterspiel, Jahrgang 1960, hatte schon eine beachtliche Karriere hinter sich, als sie zu dem Orchester stieß, war rund 20 Jahre mit dem Chamber Orchestra of Europe in aller Welt unterwegs. „Für mich ist die Erfahrung der völkerübergreifenden Bedeutung von Musik extrem wichtig“, sagt die Bratschistin. Als sie vor rund zehn Jahren nach München kam, wurde sie Grossmann empfohlen. Er benötigte keine großen Überredungskünste, Walterspiel war sofort begeistert.

Was sie an dem Orchester besonders schätzt: „Wir spielen immer Stücke, die sehr interessant sind, die man zum großen Teil auch noch nicht kennt und in der Form auch in Deutschland nicht oft hören kann.“ Überhaupt sei Grossmanns Ansatz sehr mutig. „Denn viele Veranstalter sagen: Wenn ihr nicht einen berühmten Solisten oder Dirigenten habt, dann laden wir euch schon mal gar nicht ein. Und bitte spielt nur die und die Stücke – damit der Saal voll wird.“

Gesellschaftlicher Auftrag

Aber was ist es denn nun, was das Orchester jüdisch macht? „Die Thematik“, sagt Grossmann. „Ich kenne kein anderes Orchester, das sich explizit so einem inhaltlichen Thema widmet und es so verfolgt.“ Was die Sache nicht unbedingt leichter macht. Nicht fürs Orchester, aber auch nicht fürs Publikum. „Wir bieten nicht Genuss, bei uns muss man schon irgendwie auch mitdenken“, erklärt der Dirigent. „Meistens haben unsere Konzerte auch eine thematische Idee, eben einen Ausschnitt aus dem Judentum.“

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Da reiche es nicht zu sagen: „Hier habe ich ein interessantes Werk von einem jüdischen Komponisten, und das spielen wir jetzt mal.“ Und Walterspiel assistiert: „Kunst muss immer auch einen gesellschaftlichen Auftrag erfüllen. Mir ist das im Kulturbetrieb oft zu sehr abgelöst vom richtigen Leben.“

So hat das JCOM in dieser Saison eine Wiederaufführung der Oper „The Fall of the House of Usher“ von Philip Glass ebenso im Programm wie ein Konzert zum 75. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau, die im Rahmen einer Opernschule entstandene Oper „Noahs Flut“ von Benjamin Britten und Stummfilmkonzerte, etwa Musik zu Ernst Lubitschs 1919 entstandenem Werk „Die Puppe“. Dazu kommen dann auch noch sogenannte Gesprächskonzerte, zu denen auch „Nacht und Nebel“ zählt: Dem Film geht ein Gespräch voraus, das Grossmann mit der Psychotherapeutin Eva Umlauf führt, die als Zweijährige Auschwitz überlebt hat.

Aus dem Projekt ist längst ein Lebenswerk geworden. „Wenn ich mal was anderes machen sollte, dann was völlig anderes, nichts mehr mit Musik“, sagt Grossmann, denkt kurz nach und fügt hinzu: „Aber das kann ich mir schwer vorstellen.“ Die Musik stirbt eben zuletzt.

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