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Jane Austens Roman „Northanger Abbey“Catherine und die Geister

Auch in „Northanger Abbey“ wird am Ende geheiratet. Aber bis dahin parodiert Jane Austen kunstfertig und liebevoll den damals populären Schauerroman.

Bebilderung aus der Originalausgabe von Jane Austens “„Northanger Abbey“ Foto: The Print Collector/picture-alliance

Zwischen E. T. A. Hoffmann und H. P. Lovecraft: Als Folgen 40 und 41 erschien im Jahr 2010 in der deutschen Hörspielreihe „Gruselkabinett“ eine dramatisierte Bearbeitung von „Northanger Abbey“. Ja, Jane Austens erstem fertiggestellten, dann aber erst nach Überarbeitungen und postum veröffentlichten Roman. Ausgerechnet diese Autorin also hat ein „Meisterwerk der Schauer-Romantik“ verfasst, wie die Reihe lange Zeit für sich in Anspruch nahm? Nein, hat sie nicht – aber.

Auch hier geht es um eine junge Frau auf der Suche, und am Ende wird geheiratet. Zwischen 1798 und 1803 geschrieben und im Dezember 1817 schließlich herausgekommen, ist „Northanger Abbey“ aber ein Spiel mit den Konventionen der seinerzeit enorm populären Gothic novel. Austen greift auf, variiert, überzieht und ironisiert. Das Objekt der kompliziert-doppelbödigen Verarbeitung ist insbesondere eine erfolgreiche Kollegin: Ann Radcliffe, bekannt vor allem durch ihren einflussreichen Roman „Udolphos Geheimnisse“ von 1794.

Schatten werfende Gemäuer

Die Abtei oder, je nach Übersetzung, das Kloster von Northanger nimmt als Schauplatz gar nicht genug Raum ein, als dass es Austen den Titel stiften müsste. Aber es ist doch die Art von altem Gemäuer, ohne die damals kein Schauerroman auskam; die Northanger Abbey werfe ihren Schatten ja merklich über die Handlung, so hat der in Australien lehrende irische Literaturwissenschaftler Chris Murray die Prominenz einmal zu erklären versucht.

Gleich zu Beginn nimmt Austen den Spielball auf: Über den Vater von Protagonistin Catherine Morland erfahren wir, er „neigte nicht im Geringsten dazu, seine Töchter einzusperren“. In den Schauerromanen, die Austen aufs Korn nimmt, fiele der brave Landpfarrer damit beinahe schon aus dem Rahmen. Von ihrer Mutter heißt es gleich darauf: „Sie hatte bereits drei Söhne, als Catherine geboren wurde, und anstatt zu sterben, als sie Letztere in die Welt setzte […], lebte sie weiter, bekam noch sechs Kinder, sah diese heranwachsen und erfreute sich bester Gesundheit.“ Die früh verstorbene, auch gemordete Mutter aber: gleich noch so ein Standard der damaligen horrid novels. (So etwas erfährt, wer die schmucke Büchergilden-Jubiläumsausgabe zur Hand nimmt: Die vielleicht maßgebliche Übersetzung von Andrea Ott begleiten hier auch sehr informative Anmerkungen.)

Foto: imago
Die Jane-Austen-Woche der taz

Am 16. Dezember gibt es den 250. Geburtstag der Autorin Jane Austen zu feiern, die als Frau zunächst nur heimlich schreiben konnte und eine große Klassikerin der Weltliteratur wurde. Die taz begeht dieses Jubiläum mit einer Jane-Austen-Woche: Täglich beleuchten wir einen Aspekt ihrer Werke. Alle erschienenen Texte finden Sie hier.

Die horrid novels treten sogar selbst auf: Neben „Udolpho“ unterhalten sich die anfangs arg naiv gezeichnete Catherine und ihre neue Freundin Isabella Thorpe über einen ganzen Schwung dringend zu lesender Romane. „Sind sie auch wirklich alle schön schaurig?“, fragt eine aufgeregte Catherine. „Bist du sicher, dass sie alle schaurig sind?“

Schundbücher vor dem Vergessen bewahrt

Es sind reale Bücher, darunter ein weiteres von Radcliffe und zwei aus dem Deutschen übersetzte. Für einige der Titel dürfte ihre Erwähnung in „Northanger Abbey“ die Rettung vor dem Vergessen bedeutet haben: Eine 1968 herausgegebene „Gesamtausgabe“, sieben teils für Austen’sche Erfindungen gehaltene Titel, findet sich, Stand Anfang Dezember, im Internet für gut 600 Euro angeboten.

Die „wirklich schön schaurigen“ stehen dabei für den Roman an sich, für eskapistisches Glücksversprechen und einen mahnenden Diskurs um Realitätsverlust und, überhaupt, schickliches Benehmen: Der Clou von „Northanger Abbey“, auch im parodistischen Sinn, ist ja, dass Catherine die Realität zum Spukstück überhöht, Geheimnis sieht, wo keines ist, verheimlichte Verbrechen wähnt, wo keine begangen wurden – ganz unter dem Einfluss der heißgeliebten, nun, Schundliteratur.

Man ersetze Schauerroman durch Horrorvideo oder Ego-Shooter, und lande in höchst heutigen Debatten; eine vielleicht überraschende Facette Austen’scher Aktualität. Als ihr englischer Verlag vor ein paar Jahren, zu einem anderen Jubiläum, heutige Au­to­r:in­nen mit „Rewrites“ des Austen-Katalogs betraute, gelangte „Northanger Abbey“ in die Hände der schottischen Thriller-Queen Val McDermid. Die machte daraus eine Young-Adult-Spannungs-Version, eng am Original, aber nun wurden halt auch sehnsüchtige SMS geschrieben.

Neben zwei erwartbaren Verfilmungen, 1987 und 2007, wurde Catherine Morland zur Heldin zweier Web-Serien, und in dem Jugendbuch-Pastiche „Northanger Alibi“ schwärmt die Hauptfigur dann statt für gotischen Grusel für den „Twilight“-Zyklus. Auch eine queere Graphic-Novel-Variante gibt es und sogar mehrere erklärte Fortsetzungen: „Murder at Northanger Abbey“ von Shannon Winslow oder „Woodston“ von Kate Westwood.

Vielleicht ist diese Geschichte um die Macht der Medien und die Selbstbehauptung junger Frauen noch längst nicht auserzählt?

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