„James Bond 007: Keine Zeit zu sterben“: Retter der Kernfamilie
Im neuen Film „James Bond 007: Keine Zeit zu sterben“ trifft Daniel Craig noch mal auf Christoph Waltz als Gegner – und seine schwarze Nachfolgerin.
Was ist das größte Abenteuer eines Lebens? Für einen loyalen „Agenten“, der unzählige Male die Welt rettete, dem Tod von der Schippe sprang, Rennwagen fuhr, in den Alpen und unter Wasser kämpfte, in Raketen („Moonraker“) die „final frontier“ erkundete, mannigfach Gegner tötete und Frauen verführte?
Der von einer kleinen britischen Insel stammende, durch seine harte Kindheit traumatisierte MI6-Beamte James Bond war in den letzten 60 Jahren überall. Er hat alles gesehen und getan. Er hat sich als harter Hund bewiesen, hat das Konzept der „dunklen Triade“ (so nennt man in der Psychologie die für einen Licenced-to-kill-Agenten relevanten Persönlichkeitsmerkmale von Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie) durch seinen Charme attraktiv gemacht. Er hat sogar dreimal (Tracy, Vesper und, seit neulich, Madeleine) geliebt. Und er hat Wodka Martinis gekippt. Während der Arbeit.
Vielleicht krankte das Bond-Prinzip in letzter Zeit darum auch an einer gewissen Endlichkeit: Schon dieser Bond, wie er vor zwei Jahren konzipiert wurde, stand – unabhängig von Brexit und Coronakrise – der neuen Zeit etwas ratlos gegenüber. Seine langjährigen Produzent:innen Michael Wilson und Barbara Broccoli versuchten demzufolge, ihren Helden durch moderne Ideen zu aktualisieren.
Zum seit 1999 bewährten Drehbuchteam Purvis & Wade wurde die radikal-humoristische Autorin/Regisseurin Phoebe Waller-Bridge als Vertreterin einer neuen Generation und, zumindest in dieser Funktion, eines neuen Geschlechts gestellt. Der einfallsreiche Regisseur Cary Joji Fukunaga sollte bei „Keine Zeit zu sterben“ da weitermachen, wo der nachdenkliche, erzählerisch ausgefuchste Sam Mendes nach „Skyfall“ (2012) und „Spectre“ (2015) mit seiner Idee, der „plot-driven“ Action eine Heldenreise mitzugeben, aufgehört hatte.
„James Bond 007: Keine Zeit zu sterben“. Regie: Cary Joji Fukunaga. Mit Daniel Craig, Rami Malek u. a. Großbritannien/USA 2021, 163 Min.
Und so war man immer neugieriger geworden auf diesen neuen Bond, den letzten mit dem alten weißen Mann Daniel Craig, dem letzten potenziellen Blockbuster, dessen Konzeption aus der Prä-Corona-prä-Brexit-Zeit stammte. Dem Film über den Retter des Planeten und des Kinos, für den die Bekundung der Bond-Macher:innen, auch nach der Übernahme des Filmstudios MGM durch Amazon die „künstlerische Kontrolle“ über die Bond-Idee einzubehalten, elementar sein könnte.
Bond könnte Vater geworden sein
Also wie ist er, der neue Bond? Ohne spoilern zu wollen, denn diese Info wird nach dem Embargo eh an die Oberfläche dringen: Bond könnte Vater geworden sein. Womit die Frage nach dem größten Abenteuer eines Lebens auf eine so simple wie konventionelle Art beantwortet wird.
Und auch wenn das mitnichten Windeln und Kita-Eingewöhnung bedeutet, Bond wurzelt schließlich in der genderstarren Heldenerzählung: James Bond bekommt im 25. Abenteuer eine für ihn neue Motivation für sein Handeln.
Nach einem fünf Jahre zurückliegenden Mix aus Liebe, Auftrag und angeblichem Vertrauensbruch hat Bond enttäuscht die normschöne, aus „Spectre“ bekannte Madeleine (Léa Seydoux) verlassen und fristet ein einsames Leben als pensionierter Geheimagent auf Jamaika (das er immerhin aus den Anfängen seiner Karriere kennt, war er doch 1962 in „Dr. No“ dort).
Mikroskopisch kleine Waffe
Doch als die Geheimorganisation „Spectre“, dessen Chef Blofeld (Christoph Waltz) eigentlich sicher im Knast sitzt, sich wieder formiert, muss Bond zurück in den Sattel. Es geht um eine von der britischen Regierung entwickelte und vom Super-Bösewicht Lyutsifer (!) Safin (Rami Malek) entwendete, mikroskopisch kleine Waffe, die per DNA-Bestimmung auf bestimmte Menschen gelenkt werden kann – ursprünglich, gibt M (Ralph Fiennes) zu, stamme die Idee aus der „humanen“ Überlegung, nicht mehr flächendeckend und damit inklusive Kollateralschaden töten zu müssen.
Das Thema DNA deutet somit bereits auf das familiäre Grundmotiv hin. Doch Bond geht zunächst nichtsahnend und gewohnt couragiert ans Werk, und lernt seine legitime 007-Titel-Erbin Nomi (Lashana Lynch) kennen (es wurde spekuliert, ob die afrobritische Schauspielerin Bond auch in den folgenden Filmen beerben könne, das verneinten die Verantwortlichen jedoch: man suche noch nach dem oder der neuen Bond).
Die Double-Double-O-Sevens ermitteln gar ein bisschen gemeinsam und kabbeln sich um den Titel in absurden Szenen, deren temporeichen Wortwitz, wie ein paar andere Bonmots, man getrost dem Einfluss von Waller-Bridge zuschreiben kann.
Gibt er ihr seinen Pullover?
Doch dann trifft Bond wieder auf Madeleine. Und die hat inzwischen eine zirka fünfjährige Tochter, mit leuchtend blauen Augen, die der leuchtend blauäugige Bond argwöhnisch registriert – „She’s not yours“, sagt Madeleine. Aber stimmt das? Schält der Martinischüttler, der Herzensbrecher und Flachleger, der eiskalte Killer dem Mädchen nicht gerade einen Apfel zum Frühstück? Gibt er ihr seinen Pullover? Macht Bond „Bonding“?!
Empfohlener externer Inhalt
Trailer „James Bond 007: Keine Zeit zu sterben“
Bond ist damit ab der Hälfte des mit 163 Minuten sehr langen Films mit einem ihm unbekannten Thema konfrontiert: der Verantwortung für ein Kind, für eine Figur, die bislang beim Actionspaß keine Rolle spielte – Kinder passen nicht zu Action, wären in 60er-Jahre-Konvention ohnehin Frauensache gewesen und halten einen Weltretter nur von seiner Mission ab. Denn Film-Eltern handeln in erster Linie nicht für die Allgemeinheit, sondern für ihr Kind. Und angreifbar sind sie überdies.
„Keine Zeit zu sterben“ ist also anders – wenn die Entwicklung auch zaghaft vor sich geht. Billie Eilishs emotional gehauchter Liebeskummer-Titelsong lässt es erahnen, ihre Erzählhaltung ist die des verletzten Liebenden, also die Bonds. Zudem wurde, verbal und musikalisch, „We have all the time in the world“ aus der ersten Bond-Lovestory „Im Geheimdienst Ihrer Majestät“ eingebaut. Und mit dem schwedischen Kameramann Linus Sandgren, der neben „La La Land“ auch für Damien Chazelles „First Man“ arbeitete, hat man sich für persönliche und nahe Bilder entschieden.
Viele Explosionen und noch mehr Tote
Zwar ist Bond noch immer in wunderschönen Gegenden unterwegs, er schießt und prügelt kaltblütig und präzise. Im Gegensatz zu früher ist er in seinen „Gewalt-Binges“, den klassischen Actionszenen mit vielen Explosionen und noch mehr Toten, jedoch oft allein: Man schaut auf ihn, nicht auf diejenigen, die er erschießt. Das macht seine Taten umso sinnloser – und nimmt ihnen den verächtlichen Stolz, der in älteren Bond-Filmen vorherrschte, in denen jeder tote Gegner den Heldenkanon stärkte.
In „Keine Zeit zu sterben“ kämpft sich Bond zudem sichtbar angeschlagen durch Settings, die frühere Filme zitieren (einsame Insel mit irrem Labor), und absorbiert die Accessoires eher widerwillig (anachronistische Renn-Benziner).
Denn obwohl die Gefahr allgegenwärtig wirkt, ist Bonds heimliches Hauptproblem eben nicht die Rettung der Welt, sondern seiner etwaigen Kernfamilie: Es ist ein kleines, langweiliges, nur für ihn interessantes Motiv, eines, das mit (der auch ein bisschen langweiligen) Madeleine zusammenhängt. Bond droht bürgerlich zu werden, die größte Mission gegen die spießige Keimzelle der Gesellschaft auszutauschen.
Auf diesem Spannungsfeld tanzt der neue Bond, und er tut das humorvoll, unterhaltsam und menschlich: Sogar sein Alkoholhabit ist nicht mehr trinken und nüchtern wirken. Stattdessen kippt er fast verzweifelt einen nach dem andern. Er ist nicht mehr der Held, den er seit 60 Jahren verlässlich darstellte. Ein emotional zufriedener Mensch ist er auch nicht. Aber sogar Bond kann dazulernen.
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