Jakob Blasel in der Boulevardpresse: Wer mit dem Hund Gassi geht, kann ein Arschloch sein
Die „Bild“ hat den neuen Chef der Grünen Jugend Jakob Blasel als „Welpenfeind“ bezeichnet. Haustierhasser sind der neue Lieblingsfeind der Politik.
W ozu braucht man Haustiere? Klammern wir mal diejenigen domestizierten Tiere aus, die, problematisch genug, eine klar erkennbare Funktion haben: Kühe, die Milch geben, braucht man, wenn man Milch und Milchprodukte haben will – ob das nun ethisch vertretbar ist oder nicht. In vielen landwirtschaftlichen Betrieben dämmen Katzen die Mäusepopulation ein. Bei Blinden-, Wach- und Assistenzhunden ist klar, wozu sie dienen sollen. Aber im Alltag oder in der Politik, wozu braucht man sie da?
Okay, in der Politik ist das leicht zu beantworten: Tiere binden Emotionen, also zumindest diejenigen, die nur zum Kuscheln da sind, und weder in Produktions- noch Dienstleistungszusammenhänge hineingezwungen sind. Wer mit Ressentiments Politik betreiben will, oder genauer: wer Empörung, blinde Wut und Hass auf Einzelpersonen und Menschengruppen schüren will, der braucht – oder missbraucht – solche Tiere.
Er wird beispielsweise dem Zielobjekt seiner Menschenverachtung unterstellen, Hunde und Katzen zu essen, wie Donald Trump im TV-Duell den Schutzsuchenden aus Haiti. Oder er wird ihn als „Welpenfeind“ brandmarken.
Das hat mit Jakob Blasel nun anlässlich seiner Wahl zum Bundessprecher der Grünen Jugend die Bild getan. Streng genommen, und man sollte es durchaus ab und zu mal streng nehmen, ist das wahrheitswidrig. Denn das Wort „Feind“ bezeichnet laut Akademie-Wörterbuch zunächst einmal jemanden, „dessen persönliches Verhältnis zu einer bestimmten anderen Person durch Feindschaft bestimmt ist“, oder auch jemanden, dessen Verhalten den Interessen einer bestimmten Gruppe zuwiderläuft, und schließlich noch jemanden, der etwas entschieden bekämpft.
Die staatsrechtliche Ebenen klammern wir mal aus, denn von einem Welpenstaat fabuliert selbst der Bild-Autor Jan Schumann nicht, der seine berufliche Karriere nach eigenen Angaben als ebay-Powerseller begonnen hat.
Auch in der Bild verramscht er Gebrauchtwaren: Das Zitat, mit dem er dem 24-jährigen Blasel ein problematisches Verhältnis zu Junghunden andichten will, stammt aus einem 5 Jahre alten Interview. Über Haustiere sagt Blasel darin, dass sie liebenswürdig seien – was jetzt nicht sonderlich feindselig klingt.
Zugleich verweist er auf die Tatsache, dass Hunde und Katzen eine problematische Klima- und Umweltbilanz haben: Einem Zehn-Kilo-Hund müssen in Deutschland pro Jahr etwa eine Tonne CO2-Emissionen zugerechnet werden. Das ist mehr, als ein Mensch beispielsweise in Dschibuti verbraucht. Insofern ist Blasels Einschätzung, dass Haustiere klima- und umweltpolitisch Luxus sind, sachlich richtig.
Seine politische Forderung damals: Es sollte verboten werden, „Tiere unnötig zu züchten“. Läge die unnötige Zucht von Hunden etwa im Interesse von Welpen? Wenn überhaupt, dann könnte die Äußerung als Mikro-Aggression gegen Züchter*innen feindlich gedeutet werden. Wäre die Bild etwa schon so woke, dass sie auf so etwas reagiert?
Verrückt allerdings ist, wie stark diese reaktivierte beiläufige Äußerung nicht nur in den Social-Media-Echokammern weitergetragen wird, sondern auch zum Beispiel von Neuer Osnabrücker Zeitung und von Medien der Funke Gruppe. Dabei sind Blasels jüngere Äußerungen noch viel leichter zu recherchieren, zum Beispiel seine vor zwei Jahren auf derselben Welle veröffentlichte Kritik am Kleidungskonsum – ist der Chef der Nachwuchsgrünen ein Kleidungshasser?
Kommt jetzt die Nacktpflicht bei den Jung-Grünen? Oder sein Hinweis darauf, dass der Umgang mit der Klimakatastrophe eine Frage der Menschenrechte ist. Beides hat allemal mehr politisches Gewicht, gerade auch in der aktuellen Diskussion ums Lieferkettengesetz.
Aber die Tiere fehlen: Wahrscheinlich sind sie genau deshalb so wichtig, weil sie ermöglichen, das menschliche Bedürfnis auszuleben, Gefühle und Zuwendung zu zeigen, ohne dass man viel soziale Energie oder gar Zeit dafür benötigen würde. Ein, zwei Stunden Gassi gehen reichen ja schon, um sich wie ein Mensch zu fühlen. Danach hat man wieder den Kopf frei, um ganz Arschloch zu sein. Das ist, wozu wir Haustiere brauchen. Und wer uns das wegnehmen will, ist der Feind.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste