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Jahrestag des russischen AngriffskriegsDas ist keine Solidarität

Eine Friedensbewegung, die ukrainische Stimmen ausblendet, ist nicht viel wert. Besser wäre es, Ge­nos­s:in­nen vor Ort ernstzunehmen.

Vielleicht sollte man erst die Ukrai­ne­r:in­nen fragen, welchen Frieden sie überhaupt wollen Foto: dpa

A m Freitag wird es genau ein Jahr her sein, seitdem Putin mit seinen ausgewachsenen Angriffskrieg begann, der ein unvorstellbares Maß an Tod und Zerstörung über die Ukraine brachte. Doch auch ein Jahr nach Beginn des Krieges haben viele Linke in Deutschland immer noch Schwierigkeiten, sich gegenüber Russlands Aggression zu positionieren. Angesichts des festgefahrenen Stellungskriegs, der täglich hunderte Tote auf beiden Seiten fordert, wachsen Zweifel, ob die immer größer werdenden Waffenpakete den Krieg nicht nur unnötig in die Länge ziehen.

Dementsprechend klingen die Forderungen nach Verhandlungen und einem Ende der Waffenlieferung, wie sie Sarah Wagenknecht und Alice Schwarzer in ihrem „Manifest des Friedens“ stellen zunächst einmal verständlich. Kritisieren sollte man Schwarzer und Wagenknecht nicht, weil sie Frieden durch Verhandlungen wollen, so realistisch oder unrealistisch das auch sein mag, sondern weil sie einen anderen kapitalen Fehler begehen: Sie blenden die ukrainische Stimmen, die die am meisten unter dem Krieg leiden, komplett aus.

Gerade in geopolitisch unübersichtlichen Situation hilft es, einfach mit den Ge­nos­s:in­nen vor Ort zu sprechen und auf ihre Einschätzung der Lage zu vertrauen: „Viele Linke in Westeuropa scheitern daran, eine klare Position gegen den Aggressor Russland einzunehmen und Solidarität mit den Menschen in der Ukraine zu zeigen. Forderungen nach einem Stopp der Waffenlieferungen oder dass,beide Seiten ihre Waffen niederlegen' sollen sind eine grobe Fehleinschätzung der Umstände des russischen Angriffskriegs“, heißt es in dem Aufruf des antiimperialistischen und antikapitalistischen Blocks der „Full-Scale Freedom“ Solidaritätsdemo des ukrainischen Diaspora-Vereins Vitsche, die anlässlich des Jahrestages stattfinden wird.

Gerade linke Ak­ti­vis­t:in­nen, ethnische Minderheiten und LGBTQI hätten unter russischer Besatzung alles zu verlieren und seien deshalb aktiver Teil des Widerstands, den es zu unterstützen gilt, so die In­itia­to­r:in­nen (Freitag, 24. Februar, 16 Uhr, Karl-Marx-Allee 34).

Imperialistische Flashbacks

Es ist wenig überraschend, dass es in Wagenknecht und Schwarzers Manifest in erster Linie um die Sorge der deutschen Bevölkerung über einen möglichen Atomkrieg geht und wie man diese Gefahr mit territorialen Zugeständnissen über die Interessen der Ukrai­nie­r:in­nen hinweg abwenden kann. Eine Friedensbewegung, die ernst genommen werden will, muss mit der ukrainischen Zivilgesellschaft zusammenarbeiten.

Russlands imperialistische Ambitionen wecken Erinnerungen an das 19. Jahrhundert, in dem es für die europäischen Nationalstaaten selbstverständlich war, sich fremde Territorien durch militärische Gewalt anzueignen. Einen Höhepunkt dieser Machtspiele stellt die Kongokonferenz von 1885 in Berlin dar, bei der die Grundlage für die Aufteilung Afrikas durch die europäischen Kolonialmächte gelegt worden ist. Die koloniale Unterwerfung des Kontinents war geprägt von Sklavenhandel, Unterdrückung und Genozid und forderte zahllose Opfer – auch Deutschland war maßgeblich am kolonialen Projekt beteiligt.

Trotz der unvorstellbaren Gewalt mit der das Kaiserreich seine Gebiete beherrschte, findet diese Epoche kaum Beachtung in der deutschen Erinnerungskultur. Das Komitee für ein Afrikanisches Denkmal in Berlin (KADIB) ruft deshalb jährlich zum Jahrestag des Endes der Kongokonferenz zu einem Gedenkmarsch für die Hel­d:in­nen und Opfer der Mafaa auf. Der Begriff kommt aus dem Kiswaheli und bedeutet “Die große Zerstörung“ und bezeichnet die mehrere Jahrhunderte andauernde Gewaltherrschaft (Samstag, 25. Februar, 11 Uhr, Wilhelmstraße 92).

Während die direkte Kolonialherrschaft in den meisten Ländern Geschichte ist, dauert die wirtschaftliche Ausbeutung weiterhin an. Ein zentrales Instrument dafür sind Schulden. Unter der erdrückenden Schuldenlast sind viele afrikanische Staaten kaum handlungsfähig, während die Schuldner im globalen Norden sich die Rohstoffvorkommen des Kontinents im Austausch gegen weitere Kredite sichern. Dabei erfordert die Klimakrise nicht nur den Schutz der letzten intakten Ökosysteme, sondern auch einen fossilfreien Umbau der Wirtschaften der Länder des globalen Südens. Beides wäre durch einen radikalen Schuldenschnitt zu erreichen, fordert die Kampagne Debt for Climate.

Am Montag findet ein Aktionstag der Kampagne in Berlin statt, der mit einer Kundgebung vor dem Bundesfinanzministerium beginnt (Montag, 27. Februar, 11 – 13 Uhr, Leipziger Straße 124). Informativ wird es dann noch einmal am Abend bei der Paneldiskussion „Schuldenstreichung – 1953 für Deutschland möglich, heute für den Globalen Süden nicht?!“. (Montag, 27. Februar, 19 Uhr, Mehringhof, Gneisenaustraße 2A).

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Jonas Wahmkow
Redakteur für Arbeit und Soziales im Berlin Ressort.
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11 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Entschuldigen Sie bitte die Frage, Herr Wahmkow, aber was hat die erste Hälfte Ihrer Kolumne mit der zweiten zu tun?

    Ich fühle mich wie bei Monty Python ("And now for something completely different:..."). Ist Ihnen zu den Friedens-Manifestierern nichts mehr eingefallen, oder wollten Sie einfach schon immer mal wieder was über die mangelnde Bewältigung der kolonialistischen Untaten des deutschen Kaiserreichs und ausgegebeneem Anlass über die Lobbyarbeit für mehr Geld für den globalen Süden schreiben und dachten "So ein imperialistischer Krieg in Osteuropa mit abertausenden Toten ist doch ein super Aufhänger"?

    Im zweiten Fall: Gelungene Demontage - sowohl Ihrer vorherigen Kritik an den "Friedensaktivisten" alsauch Ihrer moralischen Autorität, hier über die korrekte Rücksichtnahme auf die Betroffenen zu rechten.

  • Jede Menge Argumentationshilfen für S.Wagenknecht und Anhang!



    "Führen keinen Krieg gegen das ukrainische Volk"



    Putin betonte in seiner Rede, Russland führe keinen Krieg gegen das ukrainische Volk. Der Westen habe das Land besetzt, das "Neonazi"-Regime in Kiew dort installiert, das die Menschen in der Ukraine unterdrücke. ....



    www.tagesschau.de/...an-nation-101.html



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    weact.campact.de/p...Nop2VtltgkeBiT4TJs

  • Die zentrale Forderung der zwei Frauen ist nicht, dass es Frieden geben soll, sondern, dass die Ukraine keine Waffen mehr bekommt. Das durfte sich übrigens heute auch die amerikanische Botschafterin anhören, als sie in den Kreml einbestellt wurde. Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass Putin eine Doppelstrategie fährt und in Deutschland willfährige Helfer dafür findet.

    • 0G
      04405 (Profil gelöscht)
      @jens richter:

      das ist ein bisschen unfair aus einem simplen Grund: Putin springt auf jede schiefe Formulierung oder auch nur gute Gelegenheit auf, Propaganda und Lügen in seinem Sinne zu verbreiten. Sich vorher zu überlegen, was Putin daraus wohl machen könnte, wäre der falsche Weg.

      Man kann das, was Schwarzer und Wagenknecht beigetragen haben, auch rein auf Basis der Fakten ausreichend kritisieren.

  • Es gibt jetzt das Manifest gegen das Manifest:

    "Hiermit möchten wir alle aufrufen, sich gegen das sogenannte "Manifest für Frieden" von Wagenknecht und Schwarzer zu stellen!

    Wagenknecht und Schwarzer geben 1:1 die Propagandalügen von Putin wieder.

    Sie schüren, genau wie der Kreml, Ängste vor einem Atomkrieg/Weltkrieg.

    Beides ist absoluter Unsinn!

    Putin weiß, dass er und sein Regime einen Atomkrieg gegen die gesamte NATO keine 5 Minuten überstehen würden.

    Dennoch nutzen Wagenknecht/Schwarzer diese Angst, um daraus die Begründung abzuleiten, der Ukraine Waffenlieferungen zu verweigern.

    Sie fordern weiterhin "Verhandlungen", obwohl Putin nicht verhandeln will."

    weact.campact.de/p...Nop2VtltgkeBiT4TJs

    Guru so:

    "These are the words that I manifest, I manifest"

    www.youtube.com/watch?v=LVsuyMvgjKY

    • @Jim Hawkins:

      Gezeichnet!



      Und immer gilt: Wer mit den Faschisten marschiert, der kann nicht mehr mein Genosse sein!

      • @Schytomyr Shiba:

        Das muss dann aber genauso für Bandera- und Asow-Verehrung gelten. Problem: Es ist offizieller Standpunkt der ukr.Regierung.

        Melnyk, ehem.Botschafter, wurde abgerufen, nachdem er wegen seiner Bandera-Äußerungen hier und bei den Polen nicht mehr zu halten war.

        Jetzt ist er stellv.Aussenminister...

    • @Jim Hawkins:

      Russland hat 1500 aktive Atomwaffen - der Rest ist einlagert müsste erst mal aktiviert werden dafür braucht es eine Menge Experten, Aufwand etc. Deutschland hat mehr als 2000 Städte. Wieviele der 1500 russischen Atomwaffen wirklich einsatzbereit wären weis keiner, manch U-Boot, Bomber oder Rakete würde auch abgefangen werden bevor sie ihr Ziel erreichen etc.

      D.h. Russland ist nicht in der Lage einen vernichtenden Schlag zu führen. Der Westen würde aber in Russland jedes größere Dorf mindestens einmal treffen.

      Selbst wenn alle 1500 Atomwaffen zum Einsatz kommen und alle treffen, der Westen würde noch existieren. D.h. ein Nuklearschlag stellt schlicht keine Lösung da für Russland. Dementsprechend ist die Gefahr eines Atomkrieges äußerst gering wenn die russische Führung nicht komplett irrational ist. Atomwaffeneinsätze sind grausam aber sie folgen einer Logik die dieser Waffe innewohnt. Das ist in diesem Fall nicht gegeben.

      • @Machiavelli:

        Also, dann sind wir uns doch eigentlich einig, oder?

        • @Jim Hawkins:

          Wie so oft beim Thema Ukraine ;)

          • @Machiavelli:

            Okidoki, hasta la victoria siempre.