Jahresbericht von UN-Suchtexperten: Zu wenig Schmerzmittel für die Welt
In Europa verbreiten sich synthetische Drogen und der Cannabis-Anbau. Weltweit haben Milliarden keinen Zugang zu Schmerzmitteln.
BERLIN taz | Den weltweit fehlenden Zugang zu Schmerzmitteln vieler Menschen bemängelt der Internationale Suchtstoffkontrollrat der Vereinten Nationen (INCB) in seinem Jahresbericht 2014. Rund 92 Prozent des eingesetzten Morphiums wird von 17 Prozent der Weltbevölkerung konsumiert, hauptsächlich in Nordamerika, Westeuropa und Australien. Dies kritisierte Werner Sipp, der Vizepräsident des INBC, der den Bericht zusammen mit der Drogenbeauftragten der Bundesregierung, Marlene Mortler am Dienstag in Berlin vorstellte. Insbesondere in Krisen- und Konfliktregionen ist die Versorgung mit Schmerzmitteln oft mangelhaft.
Die Bereitstellung von Suchtstoffen für medizinische und wissenschaftliche Zwecke ist nach der internationalen Drogenkonvention eine zentrale Verpflichtung der Staaten. Insbesondere Naturkatastrophen und bewaffnete Konflikte stellen oft ein großes Problem bei der Erfüllung dieser Aufgabe dar. Das humanitäre Völkerrecht verpflichtet die Staaten aber dazu, den Zugang der Zivilbevölkerung zu medizinischer Versorgung sicherzustellen.
Neben dem Mangel an medizinischen Stoffen geht der Bericht des INCB auf die Entwicklung der Produktion, Verbreitung und den Konsum von Suchtstoffen ein. Nicht nur illegale Genussmittel stehen dabei im Fokus, sondern auch Medikamente. Weltweite stieg vor allem die Zahl der sogenannten neuen psychoaktiven Substanzen (NPS) und der Konsum von Methylphenidat. Die Anzahl der NPS oder auch „Legal Highs“, wie sie oft verharmlosend genannt werden, stieg um elf Prozent im Vergleich zum Vorjahr deutlich an. Oft werden sie als „Badesalz“, „Lufterfrischer“ oder „Kräutermischung“ verkauft. Gefährlich sind vor allem die fehlende Informationen über Nebenwirkungen, Toxizität oder Wirkzeit.
Immer öfter Ritalin
Für den Anstieg des Konsums von Methylphenidat weltweit um 66 Prozent macht der INCB hauptsächlich Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) verantwortlich. Immer öfter wird bei Kindern ADHS diagnostiziert und diese vorschnell mit Ritalin, der Handelsname von Methylphenidat, behandelt. Nicht immer ist dies die beste Behandlungsmethode, kritisiert Sipp. Auch als Rauschmittel wird Ritalin immer öfter missbraucht.
In Deutschland stieg der Konsum von neuen psychoaktiven Substanzen, die oft zunächst noch legal erhältlich sind, dann aber häufig verboten werden. Sorgen macht der Drogenbeauftragten Marlene Mortler auch die Methamphetamin-Produktion in Osteuropa. Insbesondere im Grenzgebiet zwischen Deutschland und Tschechien ist der steigende Konsum von Crystal Meth ein ernstes Problem. Mortler will hier vor allem mit Aufklärung gegensteuern.
„Der Jahresbericht des INCB belegt: Deutschland ist vorbildlich im Bereich der Drogen- und Suchtpolitik“ sagte die Drogenbeauftragte. Ein „Krieg gegen Drogen“ gebe es in Deutschland nicht, stattdessen setze man auf Aufklärung und Prävention. Mortler wiederholte nochmal ihr Vorhaben, die Versorgung chronisch kranker Menschen mit cannabishaltigen Medikamenten zu verbessern und diese Therapien auch von den Krankenkassen bezahlen zu lassen.
Keine Cannabis-Freigabe
Auch in den USA wird Cannabis mittlerweile in 29 Staaten zur Schmerztherapie eingesetzt. Sorgen bereiten dem INBC vier Bundesstaaten, in denen Marihuana auch als legales Genussmittel konsumiert werden darf. Gleiches gilt für Uruguay, das als erster Staat gegen die internationalen Drogenkontrollabkommen verstoßen hat. Eine generelle Freigabe von Cannabis zu nicht-medizinischen Zwecken in Deutschland lehnt Marlene Mortler weiter ab.
In West- und Mitteleuropa geht der Konsum von Heroin und damit auch die Zahl der Herointoten zurück. Dafür steigt der Drogenmissbrauch von synthetischen Opioiden wie Methadon oder Fenatyl weiter an.
Der Internationale Suchtstoffkontrollrat ist ein Kontrollorgan der Vereinten Nationen. Er überwacht die Einhaltung der internationalen Drogenkontrollabkommen und veröffentlicht jedes Jahr einen Bericht über den Stand.
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