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Jahresbericht von SipriAtomare Bedrohung wächst

Das Friedensforschungsinstitut Sipri prognostiziert eine Zeit der nuklearen Aufrüstung. Besonders China vergrößert sein Arsenal rapide.

Ein Soldat der indischen Armee im indisch kontrollierten Kaschmir-Sektor Akhnoor Foto: Channi Anand/ap/dpa

Die globale Gefahr durch Atomwaffen wird in nächster Zeit wohl zunehmen. Das geht aus dem neuen Jahresbericht des Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri hervor. „Die Ära der Verringerung der weltweiten Atomwaffenzahl, die seit dem Ende des Kalten Krieges andauerte, geht zu Ende“, sagt der Sipri-Experte Hans Kristensen. „Stattdessen beobachten wir einen klaren Trend hin zu wachsenden Atomwaffen­arsenalen, verschärfter nuklearer Rhetorik und der Aufkündigung von Rüstungskontrollabkommen“.

Zu den Hoch-Zeiten des Kalten Krieges lag die Zahl der Atomwaffen mehr als fünfmal so hoch wie heute, seitdem demontierten Russland und die USA alte Sprengköpfe. Doch in den letzten Jahren hat die Rüstungskontrolle gelitten, schon 2019 zog US-Präsident Donald Trump die USA 2019 aus dem INF-Vertrag über landgestützte atomare Kurz- und Mittelstreckenraketen zurück.

Sipri rechnet jetzt mit einem Anstieg der Zahl der Atomwaffen. Bei Russland, indem es seine Streitkräfte so modernisiert, dass die Raketen mehr Sprengköpfe tragen können und bereits geleerte Silos wieder befüllt. Die USA dagegen werden wohl vermehrt Abschussgeräte reaktivieren und diese mit Sprengköpfen ausstatten, sagen die Friedensforscher.

Megr als 100 zusätzliche Sprengköpfe jährlich in China

Sipri schätzt, dass von einem weltweiten Gesamtbestand von 12.241 Atomsprengköpfen sich 9.614 für einen Einsatz in Lagerbeständen befinden. Eine riesige Mehrheit der Sprengköpfe entfallen auf die USA und Russland. Doch dieses Duopol könnte bald durch eine andere aufstrebende Macht ergänzt werden – denn kein Land rüstet so schnell auf wie China. Sipri schätzt Chinas Bestand auf etwa 600 Atomsprengköpfe, also mehr als Frankreich (290) und Großbritannien (225) zusammen. Seit 2023 kommen dem Bericht zufolge mehr als 100 Sprengköpfe jährlich dazu.

Man darf nicht vergessen, dass Atomwaffen keine Garantie für Sicherheit sind.

Matt Korda, Experte bei Sipri

Auch in Europa verändert sich die Diskussion. So schlug Frankreichs Präsident Macron vor, dass die französische atomare Abschreckung eine „europäische Dimension“ haben sollte. „Man darf nicht vergessen, dass Atomwaffen keine Garantie für Sicherheit sind“, sagte Matt Korda von Sipri. Das zeigten auch die jüngsten kriegerischen Handlungen zwischen den atomar bewaffneten Staaten Indien und Pakistan.

Auch darüber hinaus habe sich die globale Sicherheitslage 2025 verschlechtert, schreibt Sipri. Die Forscher verweisen auf Kriege wie in Gaza, Myanmar, Sudan und der Ukraine. Gleichzeitig wuchsen die Militärausgaben laut Sipri das zehnte Jahr und Folge und überstiegen vergangenes Jahr 2,7 Billionen US-Dollar. Ebenfalls angestiegen ist die Gesamt der Todesopfer, Sipri zufolge von 188.000 im Jahr 2023 auf 239.000 vergangenes Jahr.

Sipri-Direktor Dan Smith wirft den Blick auch auf den geopolitischen Kontext: Sowohl China, Russland als auch die USA wollten sich von den Auflagen der vereinbarten internationalen Regeln befreien, wenn die ihnen gerade nicht passen. Smith schlägt vor, dass kleine und mittelgroße Staaten trotzdem zusammenarbeiten können. „Kooperation ist wertvoll, selbst wenn sie nicht allumfassend ist. Es ist ein pragmatischer, umsetzbarer Ansatz: der neue Realismus.“

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4 Kommentare

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  • China vergrößert sein Arsenal rapide. Stimmt nicht hoffnungsfroh, jedoch liegt ein gewisser Unterschied zwischen einigen hundert und einer Zahl im hohen vierstelligen Bereich (RUS und USA). Gut, dass auch europäische Ambitionen erwähnt werden…

  • Leider nicht wirklich überraschend, dass überall ausgerüstet wird, wenn rund um die Welt davon geredet wird. Da macht Deutschland momentan keine Ausnahme.



    Ob dadurch jetzt wirklich die allgemeine Sicherheit steigt ist zu bezweifeln. In den USA ist es ja auf den Strassen auch nicht sicherer, nur weil viele Menschen dort eine Waffen besitzen.

  • Die Zahl der Atomwaffen wächst. Aber ob die Bedrohung damit auch zunimmt, ist fraglich. Man muss es von Fall zu Fall bewerten.



    Z.B. "...die jüngsten kriegerischen Handlungen zwischen den atomar bewaffneten Staaten Indien und Pakistan." Dass aus dem Handgemenge zwischen den beiden Staaten kein heißer Krieg wurde, ist möglicherweise dem Umstand zu verdanken, dass jeder vom A-Waffen-Arsenal des anderen weiß. Also: Eher haben die A-Waffen den Krieg verhindert.



    Ob es einen russ.-ukrain. Krieg gegeben hätte, wenn die Ukraine nicht auf ihre A-Waffen verzichtet hätte, ist unklar. Hr. Putin hätte vielleicht auf den Einfluss der Nato auf die Ukraine. vertraut und angegriffen. Ohne russ. A-Waffen hätte Russland sicher nicht angegriffen. Da Hr. Putin in der Rationalität eines Mafia-Bosses denkt, wäre ihm klar gewesen, dass der "Westen" ihm eher früher (endgültig) das Licht ausgeblasen hätten.



    Im Nahost-Konflikt spielten die A-Waffen Israels bisher nur im Hintergrund eine Rolle. Den aktuellen Krieg gibt es, weil es die (iranischen) A-Waffen (noch) gar nicht gibt. Wieder eine andere Version.



    Und Europa kann ruhig schlafen, weil es den US-amerikanischen atomaren Schutzschild (noch) gibt.

  • Nicht ist wirklich undenkbar



    Über Herostraten und die atomare Erpressung:



    "Stellen wir uns vor, auf der politischen Bühne taucht ein Herostrat auf. Ein „Herostrat“ wäre ein Machthaber, der bereit ist, extrem destruktive Handlungen zu begehen, um Berühmtheit oder Aufmerksamkeit zu erlangen. Ähnlich wie Herostratos, der im Jahr 356 v. Chr. den Artemistempel in Ephesos niederbrannte, um mit seinen Namen in die Geschichte einzugehen.



    Nach Hitler, Stalin oder Pol Pot (jenem kambodschanischen Machthaber, der seine eigene Bevölkerung massakrierte) dürfte niemand ernsthaft bezweifeln, dass Herostraten in der Politik eine Rolle spielten oder in Zukunft spielen könnten. Was geschieht, wenn ein Herostrat über Atomwaffen verfügt und damit droht, sie einzusetzen?"



    In overton-magazin.de



    Auch aus Versehen kann's knallen, Banalität kann Bombeneinsatz bedeuten, Fehlinterpretationen können Fehlalarm auslösen.



    Bei spiegel.de



    "Militärstrategien



    Noch 72 Minuten bis zum Weltuntergang



    Könnte eine aus Nordkorea abgefeuerte Interkontinentalrakete versehentlich den Dritten Weltkrieg auslösen? Dieses Szenario beschreibt die US-Sicherheitsexpertin Annie Jacobsen erschreckend realistisch in ihrem neuen Buch."