Jagd auf Wölfe in Niedersachsen: „Ausrottung kommt nicht infrage“

Wolfsabschüsse sind unsinnig, sagt Biologe Holger Buschmann, weil auch Zäune gegen die Tiere helfen. Die muss man nur bauen wollen.

Ein Wolf auf einer Nachtsichtaufnahne

Umkreist nachts die Weide, bis er eine Schwachstelle im Zaun findet: Wolf Foto: dpa

taz: Herr Buschmann, lässt sich ein Wolf, der weiß, wie lecker ein Schaf ist, von einem Zaun abhalten?

Holger Buschmann: Ja. Man muss dem Wolf nur den Weg deutlich erschweren, dann überlegt er sich, ob er so viel Energie einsetzt, um an ein Schaf zu kommen. Ist es schwierig, entscheidet er sich um und jagt stattdessen ein Wildtier.

Und wann ist es schwierig für den Wolf, über den Zaun zu kommen?

Dass Wölfe über einen Zaun springen, ist eine ganz große Seltenheit. Das liest man zwar immer wieder, ist aber kaum belegt. Wölfe versuchen stattdessen, unter dem Zaun hindurch zu kommen. Deswegen ist der Untergrabeschutz das Wichtigste. Bei festen Zäunen ist das ein erster stromführender Draht auf 20 Zentimetern Höhe. Unter dieser Litze kommen die Wölfe nicht durch. Man muss aber sicher sein, dass man nirgends Schlupfstellen hat, etwa an Bachrändern oder dem Tor.

Das heißt, der Wolf schleicht nachts um den Zaun und findet jede Lücke.

Die sind sehr schlau. Wenn sie Schwachstellen finden, dann erbeuten sie die Schafe auch.

Können Schäfer:innen, die mit ihren Herden unterwegs sind, überhaupt für einen solchen Schutz sorgen?

„Wenn Sie in ein Rudel eingreifen, kann es passieren, dass Jungtiere nicht mehr richtig erlernen, Wildtiere zu erlegen und dann auf Nutztiere gehen“

Das ist tatsächlich ein deutlich erhöhter Aufwand. Es gibt mobile Zäune, die müssen aber unten sehr gut mit dem Boden verbunden sein. Auch bei Festzäunen ist der Aufwand höher, weil der Bewuchs immer wieder entfernt werden muss, damit nicht der Strom abgeleitet wird. Der Boden muss also häufiger gemäht und gepflegt werden. Dieser Aufwand wird vom Land Niedersachsen bisher nur in Teilen erstattet. Dabei müssen die Weidetierhalter noch besser unterstützt werden.

Dennoch bekommen die Tier­hal­te­r:in­nen ja zumindest den Bau der Zäune voll erstattet. Warum gibt es dann so eine starke Lobby gegen den Wolf?

Die starken Emotionen kann ich gut verstehen. Die Schafhalter:in­nen stehen eh mit dem Rücken zur Wand, weil die Schafpreise so niedrig sind. Jeder zusätzliche Aufwand ist schwer zu bewältigen. Der Wolf hat dann das Fass zum Überlaufen gebracht. Außerdem ist es kein schöner Anblick, wenn ein Wolf Tiere gerissen hat. Da habe ich großes Verständnis.

Wie sieht es denn auf der Weide aus, wenn der Wolf da war?

Wenn Wölfe in eine Herde eindringen, töten sie oft möglichst viele Tiere. Das ist eine Art Vorratshaltung. Sie wollen in Zukunft immer wieder zurückkommen und die restlichen Tiere fressen können. Wölfe haben aufgrund ihrer sehr starken Magensäure die Möglichkeit, auch vergammeltes Fleisch zu fressen. Von daher ergibt es für sie tatsächlich Sinn, gleich mehrere Tiere zu töten. Das wirkt dann, als wären sie einfach heiß aufs Töten.

Ist die Forderung nach dem Wolfsabschuss für Sie auch nachvollziehbar?

Es gibt nur zwei Möglichkeiten: Den Wolf ausrotten oder sich auf den Herdenschutz einstellen und mit dem Wolf leben. Die Ausrottung kommt nicht infrage, weil sich die europäischen Staaten dazu entschlossen haben, den Wolf zu schützen. Das macht auch Sinn, weil der Wolf sehr wichtig ist für unsere Ökosysteme.

49, ist seit 2009 der Landesvorsitzende des Nabu Niedersachsen. Er ist Diplom-Biologe.

Könnte die Ausbreitung von Wölfen das Problem mit der Überpopulation von Rehen lösen?

Genau. Das hat im Yellowstone-Nationalpark mit Weißwedelhirschen funktioniert. Die Biodiversität ist dort enorm hochgegangen. Einzelabschüsse von Wölfen ergeben nur dann Sinn, wenn es Tiere sind, die wirklich Menschen gefährden könnten oder wenn sie gelernt haben, die empfohlenen Schutzmaßnahmen zu überwinden. Das haben wir als Nabu in Niedersachsen noch nicht festgestellt. Es wird allerdings behauptet vom Ministerium. Deswegen sind Abschussgenehmigungen erteilt worden.

Wenn Sie mit Wolfsrissen zu tun hatten, waren die Herden dann also zu wenig geschützt?

Wir haben ein Herdenschutzprojekt, in dem die Zäune exzellent gemacht werden. Also genau so, wie es vorgeschrieben ist. Dort gab es nicht einen einzigen Fall des Überwindens oder Untergrabens. Dort, wo Risse passiert sind, waren die Zäune statt 1,20 Meter teilweise nur 90 Zentimeter hoch. Fast immer ist am Zaun oder der Stromführung etwas nicht in Ordnung gewesen.

Haben Sie die Hoffnung, dass jetzt, nachdem das Verwaltungsgericht Oldenburg die Abschussgenehmigungen teilweise als rechtswidrig bezeichnet hat, ein Umdenken in der niedersächsischen Politik stattfinden wird?

Ehrlich gesagt nicht. Der Minister weiß auch, dass die Abschüsse von einzelnen Tieren überhaupt nichts bringen, sondern eher kontraproduktiv sein können, handelt aber nicht danach. Wenn Sie in ein Rudel eingreifen, kann es passieren, dass Jungtiere nicht mehr richtig erlernen, Wildtiere zu erlegen und dann auf Nutztiere gehen.

Wenn man in der Landschaft immer mehr Zäune baut, ist das ein Problem für die Lebensräume?

Wir haben heute viel weniger Zäune in der Landschaft als früher, weil Nutztierhaltung vor allem in Massentierhaltungsställen stattfindet. Auch die Höhe der Zäune ist nicht ungewöhnlich – die muss man bei Bullen oder Pferden auch haben.

Wenn der Wolf draußen bleibt, werden auch andere Tiere gestoppt?

In unserer Feldstudie konnten wir zeigen, dass Rehe sehr leicht durch die Zäune kommen, Feldhasen, Igel, alle Kleinsäuger auch. Die einzige Ausnahme waren Wildschweine, das ist aber für die Nutztierhalter eher ein positiver Nebeneffekt.

Wie kommen denn Rehe durch den Zaun, wenn Wölfe abgehalten werden?

Das Reh springt oben zwischen den Litzen des Zauns durch. Es nimmt Anlauf, berührt sogar ein bisschen den Zaun im Sprung, kriegt aber keinen Schlag, weil es nicht auf dem Boden steht.

Da sagt man immer, der Wolf sei so intelligent, aber der schafft das nicht?

Nein, Wölfe springen einfach nicht. Auch einem Hund müssen Sie das erst beibringen.

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