Jagd auf HSV-Profi Bakery Jatta: Wie die Besessenen
Die Staatsanwaltschaft Hamburg und die „Bild“ wollen die Identität von HSV-Profi Bakery Jatta klären. Ihr Eifer hat fast obsessive Ausmaße.
Aus dem Hause Springer wurde auch die Vermutung, Jatta habe sich eine falsche Identität zugelegt erstmals via Sport Bild im August 2019 in die Welt gesetzt. Der Vorwurf: Jatta habe im Sommer 2015 eine andere, jüngere Identität angenommen, um sich als minderjähriger Flüchtling aus Gambia eine Aufenthaltsgenehmigung zu erschleichen.
Es war der Start einer kampagnenhaften Verdachtsberichterstattung. Es folgte eine anonyme Strafanzeige „besorgter Bürger“. Die Beweislage war jedoch nicht zwingend. Zwei Trainer aus Gambia bezeugten die Bild-These. Die taz wiederum machte zu dieser Zeit Sulayman Kuyateh, einen Trainer von Jatta in Gambia, ausfindig, der erklärte: „Ich kannte ihn als Jatta, nicht als Daffeh.“
Im September 2019 stellte das Bezirksamt Hamburg-Mitte die Ermittlungen gegen Jatta ein, die „aufgekommenen Zweifel“ hätten sich nicht bestätigt. Die Bild legte nach, berichtete von einer Mailadresse mit dem Namen Daffeh, die Jatta nach seiner Einreise im Austausch mit den Bremer Behörden benutzt haben soll. Aber auch die Bremer Staatsanwaltschaft fand bei der Überprüfung des Sachverhalts keinen Ansatz für Ermittlungen.
„Völlig unverhältnismäßig“
Umso eifriger hat sich die Hamburger Staatsanwaltschaft an den Fall geheftet. Ein Vorermittlungsverfahren gab es bereits nach dem Brief der „besorgten Bürger“. Die Staatsanwaltschaft Hamburg schreibt: „Hintergrund waren sowohl Hinweise aus der Bevölkerung als auch Medienberichte, in denen Beweismittel genannt wurden.“
„Völlig unverhältnismäßig“ nennt Thomas Bliwier, Jattas Anwalt, den Aufwand, den die Behörde seither betreibt. Sogar eine Durchsuchung der Google-Zentrale in Kalifornien sei in Erwägung gezogen worden, um an E-Mail-Daten heranzukommen; das sei in den Akten vermerkt. Zudem wurde ein Gutachten bei einer LKA-Beamtin in Auftrag gegeben, die ein Lichtbildvergleich zwischen Bakary Daffeh und Bakery Jatta vornahm.
Das Ergebnis der internen Untersuchung posaunte damals die Bild-Zeitung hinaus. Über 90 Prozent, hieß es damals, betrage nach dem Vergleich die Wahrscheinlichkeit, dass Daffeh und Jatta identisch seien. Wie die Bild auf die wissenschaftlich fundiert erscheindende Zahl kommt, will der Autor des Artikels auf Anfrage der taz nicht verraten. Er beruft sich auf den Quellenschutz.
Bliwier sagt: „Das ist Unsinn. Prozentzahlen tauchen in dem Gutachten nicht auf.“ Es sei lediglich von einer „hohen Wahrscheinlichkeit“ die Rede. Es werde sogar ausdrücklich darauf hingewiesen, dass man nicht numerische Wahrscheinlichkeitsgrade benenne. Ihm erschließe sich allerdings die Qualifikation der LKA-Beamtin nicht. Ihr Schreiben weise große Mängel auf. „Für mich ist das kein Gutachten, sondern eine Stellungnahme.“ Diese sei aber Grundlage für den Hausdurchsuchungsbeschluss bei Bakery Jatta im Juli 2020 gewesen. Die Bild-Zeitung war wieder einmal bestens informiert, hatte sich vor Jattas Haus postiert und streamte das Geschehen live ins Internet.
Aus Bild erfahren
Vom jüngsten Auftrag an die Uni Freiburg hat Thomas Bliwier über die Bild-Zeitung erfahren. Ein Verfahrensfehler, sagt er, „ich hätte direkt informiert werden müssen und man hätte mir die Möglichkeit der Stellungnahme einräumen müssen“. Er vermutet, dass das mangelhafte Gutachten der LKA-Beamtin Anlass dafür ist, ein neues in Auftrag zu geben.
Ihn erstaunt aber, dass die ermittelnde Staatsanwältin ihm erklärte, über den Inhalt des Auftrages an die Uni Freiburg nicht Bescheid zu wissen, weil das Landeskriminalamt in dieser Angelegenheit initiativ gewesen war. Die Pressestelle der Staatsanwaltschaft Hamburg wiederum erklärt gegenüber der taz: „Die Staatsanwaltschaft hat aufgrund der gebotenen Sachverhaltsaufklärung die Erstellung eines anthropologischen Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben.“
Dass die Untersuchungen in Freiburg zweifelsfreie Ergebnisse zutage fördern, scheint eher unwahrscheinlich. Ob das den fast schon obsessiv anmutenden Ermittlungseifer der Bild-Zeitung und der Hamburger Behörden ausbremsen wird, ist wiederum eine ganz andere Frage.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Spiegel-Kolumnist über Zukunft
„Langfristig ist doch alles super“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Nachtcafé für Obdachlose
Störende Armut
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus