JOBABBAU, DAX-ABSTURZ – DIE MACHT DER POLITIK WIRD ÜBERSCHÄTZT: Zwei Ebenen der Macht
Sich über die vermeintlich Mächtigen aufregen zu können, sie beobachten und über sie schimpfen zu können – das hat immer auch sein Gutes. Die Welt erscheint klar strukturiert. So ist es auch jetzt: Noch bis Sonntag machen die Spitzenkandidaten der Parteien ihre Show, umgeben von einem Journalistenpulk, der jede ihrer Kleinstbewegungen durchleuchtet hat – weil man schließlich wissen will, wie die Macht so funktioniert.
Doch während Schröder, Fischer und Stoiber als Projektionsfläche für Heldenverehrung und Heldenverachtung durch die Lande fahren, vollzieht sich in der Alltagswelt der Wähler ironischerweise gerade jetzt ein Wandel, der mal wieder zeigt, wie die wirklichen Machtverhältnisse liegen. Nicht Schröder & Co, sondern die Wirtschaft entscheidet über die Einkommen, über Lebens-, oft genug auch Liebeschancen der Leute. Das Tamtam der Kandidaten erscheint im Vergleich dazu wie eine Unterhaltungsshow, die nur ablenken soll.
Massenentlassungen, der Pleiterekord, die Einbrüche in der vermeintlichen Zukunftsbranche Telekommunikation, der Absturz des DAX – all das sind Anzeichen dafür, dass man sich hierzulande auf härtere Zeiten einstellen muss. Man muss darüber nachdenken, was sich verändert, wenn diese depressive Phase länger dauert als angenommen. Es gibt noch keine Politik für die Depression und für das Durchhalten, weil jeder Verkünder einer solchen Politik keine Wahlchance hätte.
Was also passiert, wenn das Antidepressivum des Wahlkampfgetöses schon in wenigen Wochen nicht mehr wirkt? Der öffentliche Blick wird sich ganz direkt richten auf chancenlose Jobeinsteiger, gekündigte Belegschaften und auf abgestürzte Selbstständige. Also auf die Wirkungen der zweiten Ebene der Macht. Nach dem 22. September geht es nicht mehr so sehr um die Frage, welche Partei oder welche Politiker groß rauskommen. Sondern wie die meisten Bürger am besten durchkommen. Das ist übrigens auch eine spannende Frage – und sie erweitert wieder den Blick auf die Strukturen der Macht, der sich im Wahlkampf vorübergehend so verengt hat. BARBARA DRIBBUSCH
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