Italiens Dauerbrenner Berlusconi: Er ist mal wieder da
Bei der Neuwahl in Italien führt mal wieder kein Weg vorbei an Berlusconi. Trotz verfehlter Politik, Skandalen, Mafiaverbindungen. Warum?
Der Korrespondent der taz in Rom – und Autor dieses Textes – gehörte immer zu jenen, die nichts hielten von den vorschnellen Abgesängen auf den politisierenden Medien-Tycoon, die über die Jahre immer wieder angestimmt wurden, doch auch er vermeldete im Oktober 2013: „Silvio ist wohl erledigt.“ Und er legte im November nach, berichtete vom „Ende einer Ära“ mit dem mehr als eindeutigen Urteil: „Jetzt ist Schluss.“
Schluss war ja auch, wenigstens dem Anschein nach. Gerade, am 1. August 2013, hatte Berlusconi eine letztinstanzliche Verurteilung zu vier Jahren Haft kassiert, wegen Steuerhinterziehung im großen Stil, gerade hatte er daraufhin seinen Sitz im Senat verloren, gerade war ihm von der Justiz bescheinigt worden, er habe auch für die folgenden Jahre das passive Wahlrecht verloren, sprich: er könne nicht mehr bei Wahlen kandidieren.
Zwar musste er die Haftstrafe nie antreten; drei der vier Jahre wurden ihm aufgrund einer Generalamnestie erlassen, das vierte durfte er mit Sozialstunden in einem Altenheim verbüßen. Doch der Milliardär und frühere Ministerpräsident Italiens, der Alzheimerkranken in einem Hospiz vor den Toren Mailands Breichen löffeln musste: Er wurde zum Sinnbild des komplett Gescheiterten.
Schlaff gewordenes Stehaufmännchen
Dabei hatte er sich doch über die Jahre den Ruf des Stehaufmännchens erworben, dem seine Skandale, seine juristischen Wirrungen sowie sein miserabler Ruf im Ausland nie etwas anhaben konnten. Zum ersten Mal war er im Jahr 1994 als Sieger aus den Wahlen hervorgegangen – und wurde nach bloß sieben Monaten gestürzt. Doch im Jahr 2001 hatte er ein glänzendes Comeback, eroberte er für die folgenden fünf Jahre die Macht.
Der rechtskonservative Journalist Indro Montanelli dekretierte seinerzeit, das sei wohl gut so – die Italiener müssten ihre Erfahrungen mit diesem Polit-Hallodri, der vor allem seine eigenen Interessen auf dem Schirm hatte, sammeln, um gegen ihn gefeit zu sein: „Berlusconi ist eine jener Krankheiten, die man per Impfung kuriert“, befand Montanelli, „und um von ihm zu genesen, bedarf es einer hohen Impfdosis.“
Man mochte glauben, Montanelli habe recht, auch wenn das Impfprogramm sich recht lange hinzog. In den gut zehn Jahren vom Mai 2001 bis zum November 2011 regierte Berlusconi mit einer 18-monatigen Unterbrechung praktisch ununterbrochen.
Ununterbrochen aber auch protestierte Italiens Zivilgesellschaft, brachte der Gewerkschaftsbund CGIL zum Beispiel im Jahr 2002 drei Millionen Menschen auf die Straße, um gegen die (am Ende gescheiterte) Arbeitsmarktreform zu protestieren, demonstrierten Massen gegen den Irakkrieg, gegen Justiz- und Medien-„Reformen“. In jenen Jahren war Italien „Berlusconiland“ – war aber zugleich Heimstatt all derer, die ihm Widerstand entgegensetzten, ihn aufhielten, seine Projekte stoppten.
Über Europa gestolpert
Und am Ende schien ja auch alles gut zu werden. Im Jahr 2008 hatte Berlusconi erneut einen triumphalen Wahlsieg davongetragen, doch nur ein Jahr später flogen ihm seine Sexskandale, erst mit der minderjährigen Noemi aus Neapel, dann mit der ebenfalls minderjährigen Karima El Marough und den vielen anderen jungen Frauen, die ihm und ausgewählten Gästen auf seinen Partys zu Verfügung standen, um die Ohren.
Den Rest besorgte dann die Eurokrise im Herbst 2011: Als Italiens Spread Richtung 6 Prozent marschierte, kam das Aus für den Schönwetterpolitiker, der zur Wirtschaftslage nur zu sagen hatte, es gebe keine Krise, „die Restaurants sind voll, und die Flugzeuge sind immer ausgebucht“.
Schnee von gestern. Der Rücktritt im November 2011, dann die Verurteilung im August 2013, zwischendrein dauernd die Negativschlagzeilen über die nicht enden wollenden Sexskandale: Berlusconis Ruf war so gründlich ruiniert, wie es eben nur geht. Montanelli schien recht behalten zu haben, Italien – und damit Europa – endlich zur Berlusconi-freien Zone geworden zu sein.
Wahr ist nun das Gegenteil. Am 29. und 30. März 2017 tagte auf Malta die Europäische Volkspartei, in der sich die Christdemokraten und Konservativen des Kontinents versammeln. Und wer darf sich über ein Tête-à-tête mit Kanzlerin Merkel freuen? Niemand anderer als der Vorbestrafte aus Italien, Silvio Berlusconi, der die „Signora Merkel“ als „europäischen Leader mit der höchsten Autorität unter allen“ abfeiert – und der sich gleich auch noch selbst als Garanten dafür anpreist, dass „Italien nicht populistische Wege geht“.
Keinen juckt's
Dabei hätte die Kanzlerin weiterhin gute Motive gehabt, Abstand zu halten. Nur ein paar Tage später wurde gegen Berlusconi ein neuer Prozess eröffnet, diesmal wegen Zeugenbestechung: Rund um seine Sexpartys mit „Ruby“, der Marokkanerin Karima El Marough, soll er drei jungen Frauen reichlich Bares zukommen lassen haben, um ihm genehme Aussagen zu erreichen. Doch keinen juckt es, keiner meldet es, keiner auch im römischen Politikbetrieb findet den x-ten Prozess gegen Berlusconi noch weiter der Aufregung wert.
Im Gegenteil: Auch wenn seine Partei Forza Italia mittlerweile in den Umfragen auf 12-13 Prozent abgestürzt ist, und er selbst gegenwärtig keine eigene Machtperspektive hat, bleibt er doch weiter heiß umworben. Matteo Renzi, Chef der gemäßigt linken Partito Democratico (PD) mit Hoffnungen, nach den nächsten Wahlen wieder Ministerpräsident zu werden, mag auf den Dialog mit Berlusconi einfach nicht verzichten.
Angeblich geht es nur um das neue Wahlrecht für die nächsten Wahlen – doch im Gespräch ist mehr. Auch über eine Große Koalition zwischen PD und Forza Italia, zwischen Renzi und Berlusconi nach dem spätestens im Frühjahr 2018 anstehenden nächsten Urnengang wird in Rom mittlerweile ganz selbstverständlich diskutiert. Ganz selbstverständlich auch lesen die Italiener, im Juni 2017, von den mitgeschnittenen Gesprächen des Mafiabosses Giuseppe Graviano, der sich in den letzten Monaten im Knast beim Hofgang immer wieder über Berlusconi beschwerte.
Einen „Gefallen“ habe Cosa Nostra dem „Gehörnten“ in den Jahren 1992–1993 getan, mit den blutigen Anschlägen erst auf die Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, dann mit den 1993 gezündeten Bomben in Rom, Florenz und Mailand. Doch Berlusconi habe sich dann an der Macht kein Stück dankbar gezeigt, und er, Graviano, versauere seit nunmehr 23 Jahren in Haft, während „der Gehörnte seine Huren bezahlt“.
Zu Gast: die Mafia
Völlig ausgedacht klingt das nicht – immerhin sitzt einer der engsten Mitarbeiter Berlusconis, Marcello Dell’Utri, eine siebenjährige Haftstrafe als Verbindungsmann der Mafia ab.
Und immerhin ist bei den Gerichten aktenkundig, dass Berlusconi 30 Jahre lang die Mafia bezahlte, um mit seinen Unternehmen Ruhe zu haben; dass er sogar einen Mafiaboss auf seinem Anwesen beherbergte und beschäftigte. Doch als die ungeheuerlichen Abhörprotokolle – die immerhin nahelegen, Berlusconi habe eine Serie blutiger Attentate in Auftrag gegeben – jetzt bekannt wurden, geschah: nichts.
Das ist die schlechte, auf ihre Weise ein wenig kränkende Nachricht für Berlusconi. Auch übelste Anschuldigungen gegen seine Person produzieren schier kein Echo mehr: keinen Aufschrei der Medien, keine Kontroversen, kein Proteste.
Doch es ist zugleich die gute Nachricht: Mittlerweile fliegt er einfach unter dem Radar durch, was immer auch geschieht. Um Italiens Immunstatus ist es schlechter bestellt denn je in den letzten 25 Jahren.
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