Italien bei der EM: Basta!
Die Hilflosigkeit und Passivität der italienischen Mannschaft gegen Spanien sorgte für Empörung. Am Montag spielt die Squadra Azzurra gegen Kroatien.
Die italienischen Fußballer sehen sich in ihrer Heimat einem Vorwurf ausgesetzt, der schwerer dort wohl kaum wiegen könnte. Es fehlt an Emotionen, heißt es. „Wir fühlten uns zerbrechlich bis hin zur Resignation, ohne auch nur die Wut einer hysterischen Reaktion“, klagte die La Gazetta dello Sport an. Man müsse vor dem entscheidenden Gruppenspiel gegen Kroatien erst einmal nicht über andere Taktiken oder mögliche personelle Veränderungen sprechen. Zuallererst müsse Nationaltrainer Luciano Spalletti den Spielern die Angst aus dem Herzen reißen.
Diese vom Ergebnis so harmlos daherkommende Niederlage gegen Spanien (0:1 durch ein Eigentor von Calafiori) hat so tiefe Spuren hinterlassen, dass deren Aufarbeitung vor dem nächsten Anpfiff am Montagabend um 21 Uhr in Leipzig bei weitem nicht beendet sein kann. „Basta!“, brüllte ein italienischer Journalist stehend auf der Pressetribüne in der zweiten Halbzeit. Die Empörung hatte ihn aus dem Sitz gerissen, als die Abwehr der Squadra Azzurra sich zum gefühlt fünfzigsten Mal übertölpeln ließ.
Nicht nur er empfand diese Partie als Zumutung. Die Hilflosigkeit und Passivität gegenüber den spanischen Angriffswellen führte selbst bei Spalletti zu einer Identifikationsstörung. „Wir müssen weiter an der Mentalität arbeiten. Wir wollen nicht den anderen die Kontrolle überlassen. Diese Art von Fußball gefällt mir nicht. Ich will auf keinen Fall, dass Italien sich in diese Richtung entwickelt, auch weil ich diese Art von Fußball nicht beibringen kann.“
Der 65-Jährige hat dem SSC Neapel mit rauschendem Offensivfußball 2023 die lang ersehnte Meisterschaft beschert. Wobei die Süditaliener damals nicht nur die meisten Tore erzielten, sondern auch die wenigsten kassierten. Seit September letzten Jahres versucht er seine Vorstellungen so gut wie möglich auf das Nationalteam zu übertragen. Gegen Gegner wie Malta (4:0) und Mazedonien (5:2) klappte das dann besser als in vielen anderen Spielen. Ein herber Rückschlag aber, das war den Worten Spallettis zu entnehmen, war die Begegnung gegen Spanien.
Die Mängelliste, die er erstellte, war lang: zu viele Fehlpässe, zu hektisch im Spiel nach vorne, zu wenige Ballgewinne, zu wenig Ballbesitz, zu wenig kompakt in der Defensive. Die Erklärung dafür wiederum überraschte. All dies habe aus fehlender Frische und Spritzigkeit resultiert. Das sei der Hauptgrund der Niederlage. „Daran müssen wir arbeiten. Ich glaube, das ist der Hauptansatzpunkt, um diese Probleme in den nächsten Spielen zu beheben.“
Kein gutes Licht auf den Trainerstab
Es ist ein erstaunlicher Befund. Denn der wirft kein gutes Licht auf den Trainerstab. Es braucht zudem viel Fantasie, um sich vorzustellen, die fehlende Frische werde sich nun innerhalb von vier Tagen einstellen. Und das wiederum ist nicht dienlich, um das angeschlagene Selbstbewusstsein der Squadra Azzurra aufzupäppeln.
Die italienische Presse nahm jedenfalls am Tag nach dem schwachen Auftritt gegen Spanien Matteo Darmian wegen der vom Trainer attestierten fehlenden Frische ins Kreuzverhör. Der 34-Jährige wiegelte erwartungsgemäß ab. „Wir sind fit und in Form.“ Es gehe nun darum, sich mit der richtigen Haltung auf das Spiel gegen Kroatien vorzubereiten. Aus der Niederlage könne man viel lernen und man müsse nun schnell lernen.
Dass der Verteidiger von Inter Mailand in dieser Runde Platz nahm, kann man als Hinweis für wahrscheinliche personelle Veränderungen deuten. Darmian selbst war gegen Spanien nicht zum Einsatz gekommen und auf seiner Position rechts außen ließ sich der bemitleidenswerte Giovanni di Lorenzo ein ums andere Mal vom Spanier Nico Williams narren. Weil Federico Dimarco und Alessandro Bastoni ebenfalls für Inter spielen, könnte Spalletti diesem eingespielten Block den Vorzug geben.
„Ich hätte vielleicht andere Entscheidungen treffen müssen“, hatte Luciano Spalletti vergangen Donnerstagabend selbstkritisch bemerkt. Mit einigen Auswechslungen sei das italienische Spiel besser geworden. Es haben sich nicht gerade wenige für einen Platz auf der Ersatzbank beworben. Doch von einzelnen Spielern hängt Italien, abgesehen vom herausragenden Torhüter Gianluigi Donnarumma, sowieso nicht ab. Darmian sagte, andere Nationalteams würde über stärkere Individualisten verfügen, Italien müsse als Team überzeugen. Andernfalls droht die vorzeitige Abreise des Titelverteidigers am Dienstag dann.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour