Israels chaotische Sicherheitspolitik: Gefährlich für das Land
Beim Versuch, seine Koalition zufrieden und seine Umfragewerte stabil zu halten, riskiert Netanjahu das Wichtigste: die Sicherheit seiner Bürger.
D er israelische Ministerpräsident Netanjahu hat den geschassten Verteidigungsminister Yoav Gallant zurück in sein Amt geholt. Also den Mann, der vor genau dem Szenario gewarnt hat, das in den vergangenen Tagen eingetreten ist: ein innenpolitisch zerstrittenes Israel, das nach außen geschwächt erscheint. Und tatsächlich: Die Gegner testen die neuen Grenzen. Raketen aus Gaza, Syrien und aus dem Libanon. Terroranschläge im Westjordanland und in Tel Aviv.
Netanjahu dürfte allerdings weniger auf die Sicherheit als auf den Imageschaden und die für ihn frappierenden Umfrageergebnisse geschielt haben.
Seit der Staatsgründung hat Israel zahlreiche Krisen und Kriege erlebt. Doch eine Krise auf so vielen verschiedenen Ebenen gleichzeitig ist bisher wohl beispiellos. Netanjahu trägt einen großen Teil dazu bei.
Die eine Hälfte des Landes fragt sich: Wie weit wird der Ministerpräsident noch gehen in seinem Versuch, sich vor einem drohenden Gefängnisaufenthalt in Sachen Korruption zu retten? Sein bisheriger Weg lässt vermuten: ziemlich weit. Für die religiös-zionistische Siedlerbewegung ist indes völlig klar, dass das oberste Gericht ausgeschaltet gehört. Sie haben weder moralische Skrupel gegenüber den Palästinenser*innen noch sicherheitspolitische. Schließlich, so sehen sie es, handeln sie in Gottes Auftrag.
Netanjahu, der aus einer ganz anderen Richtung kommt, sollte es besser wissen. Nicht nur das: Er schreckt scheinbar nicht davor zurück, das Land in eine Diktatur zu verwandeln. Er verspricht seinem – strafrechtlich verurteilten – Minister für innere Sicherheit, Itamar Ben Gvir, kurzerhand eine Nationalgarde, damit der die Regierung nicht platzen lässt. Er nimmt einen ökonomischen Kollaps angesichts der drohenden Justizreform in Kauf – zahlreiche Unternehmen drohen mit Abwanderung, die Gewerkschaften mit Generalstreik. Und er lässt das Verhältnis zu den USA auskühlen.
Eins steht bei aller Ungewissheit fest: Welchen Charakter auch immer man sich für das Land wünscht – Netanjahu ist gefährlich für Israel.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus