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IsraelkritikWie ein Kopfgeldjäger

Kommentar von Rolf Verleger

„Jerusalem Post“-Korrespondent Benjamin Weinthal hat hier Konsequenzen gegen vermeintliche Antisemiten gefordert. Der Psychologe Rolf Verleger widerspricht

Ein jüdischer Staat in Baden-Württemberg wäre vielleicht auch keine Lösung: pro-palästinensische Demo in Stuttgart Foto: Daniel Maurer/dpa

B en Weinthal traf ich vor neun Jahren. Für das jüdische US-Magazin Forward schrieb er damals einen objektiven Bericht über meine Initiative Schalom5767 und zitierte darin ihre Kernaussage: „Das Grundübel ist die seit 1967 andauernde israelische Besetzung palästinensischen Gebiets.“

Danach muss etwas mit ihm passiert sein. Er wirkt jetzt wie ein Kopfgeldjäger. Wo immer Vertreibung und Landraub an den Palästinensern, die Besatzung der Westbank, die Einkesselung Gazas thematisiert wird: Weinthal schwingt sich aufs E-Mail-Ross, schreibt selbst den Haftbefehl „Antisemitismus“ – und schießt gegen die Veranstalter. Nicht ohne Erfolg: Arn Strohmeyer am 26. Januar in Bremen, Abi Melzer am 23. und Nirit Sommerfeld am 30. September, beide in München – abgesagt, verboten. Egal, ob Christ oder Jude, Weinthal fordert: Boykottiert sie, die Verräter und Volksfeinde!

Nun hat er sich in der taz über ein Seminar in Hildesheim verbreitet. Das Seminar hatte zuletzt sechs Teilnehmer, und es gibt längst eine sachverständige Kommission unter Leitung von Prof. Schüler-Springorum, die sich der Sache annimmt. Aber darauf möchte Weinthal nicht warten. Der Skalp der Hochschulpräsidentin muss her. Bekommt er dafür eine Prämie?

Der nächste Skalp an Weinthals Gürtel soll Christoph Glanz aus Oldenburg werden. Glanz habe gefordert, man solle den Staat Israel nach Baden-Württemberg verlegen. Das, so Weinthal, habe auch Ahmadinedschad gesagt, also sei dies antisemitisch. Es ist aber nicht antisemitisch: Es wäre allenfalls anti-schwäbisch. Denn es bedeutet: Die Zeche für die jahrhundertelange Verfolgung und Diskriminierung von Juden in den christlichen Teilen Europas und für die Vernichtung des deutschen und europäischen Judentums durch Deutschland und seine Helfer sollte Deutschland bezahlen, nicht Arabien.

Rolf Verleger

64, Psy­cho­lo­ge an der Uni Lübeck, saß von 2005 bis 2009 im Di­rek­to­ri­um des Zen­tral­rats der Juden in Deutsch­land. 2006 forderte er mit einer On­line­pe­ti­ti­on ein le­bens­fä­hi­ges Pa­läs­ti­na an der Seite Is­raels, 2008 schrieb er das Buch „Der Irr­weg Is­raels – eine jü­di­sche Sicht“. 2016 hat er das „Bünd­nis zur Be­en­di­gung der is­rae­li­schen Be­sat­zung“ mitge­grün­det.

Natürlich ist das eine Utopie, und wir müssen in der realen Welt zurechtkommen. Also kommt es realpolitisch darauf an, Israel dazu zu bewegen, nicht die Palästinenser das jahrhundertelange Unrecht büßen zu lassen, das Europa den Juden angetan hat. Sondern Israel muss die Palästinenser für das seinerseits begangene jahrzehntelange Unrecht um Verzeihung bitten, sie entschädigen und die Besatzung beenden. Dahin muss man Israel bewegen.

Manche Leute, wie Glanz, meinen mit guten Gründen – wegen des bisherigen Versagens der westlichen Politik auf diesem Gebiet –, dass dafür die Graswurzel-Boykottbewegung BDS hilfreich sei. Beim Wort „Boykott“ ruft Weinthal natürlich gleich „Antisemit“, obwohl er selbst alles dafür tut, dass Juden wie Melzer, Sommerfeld und ich boykottiert werden.

Bei meinen Aktivitäten zu Judentum und Zionismus habe ich vielfach erfahren, was die Leute über diese Problematik denken. Die Mehrheit denkt wie Glanz, Strohmeyer, Melzer, Sommerfeld und ich. Das generelle Gefühl ist eine tiefe Enttäuschung über Israel. Viele haben das verständliche Gefühl, dass es Deutschen nicht zustehe, einen überwiegend jüdischen Staat zu kritisieren.

Es kommt realpolitisch darauf an, Israel dazu zu bewegen, nicht die Palästinenser das jahrhundertelange Unrecht büßen zu lassen, das Europa den Juden angetan hat

Aber allen ist auch klar, dass sich die deutsche Politik moralisch falsch verhält: Man kann nicht altes Unrecht dadurch wiedergutmachen, dass man neues Unrecht unterstützt.

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9 Kommentare

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  • Problemgestalten wie Benjamin Weinthal - eigentlich Journalist einer israelischen Zeitung - verhindern die dringend notwendige Normalisierung des deutsch-israelischen Verhältnisses.

  • Die Hauptrede im linken Antizionismus ist die aus der Leninschen Monopolkapital-Theorie abgeleitete Dimitrov-Doktrin, aus der von den DKP-Leuten abgeleitet wird, dass die Zerschlagung Israels ein schwerer Schlag gegen den US-Imperialismus sei.

    Israel als Brückenkopf, und das Bremer Friedensforum lud Leute ein wie Avigail Ababarnel, die auch mit der Parole "Israel has no right to exist" zu finden ist.

     

    Erst einmal geht es darum die Anlässe und Argumente anzuschauen, und sie von den Leuten, die sie vortragen zu lösen. Benjamin Weinthal mag ja vieles propagandistisch darstellen.

    Jemand anderes würde jedoch bei den Seminarinhalten in Hildesheim zu der gleichen Einschätzung kommen - und es geht dabei auch um Juden in Deutschland.

    Okay?

  • Sehen-Hören-Schweigen...

    Um dies zu durchbrechen, können antisemitische Übergriffe,Aktionen etc.

    hier gemeldet werden: http://report-antisemitism.de/

  • Das verstörende Verhalten Weinthals, das im Einzelfall an übler Nachrede, Verleumdung, Volksverhetzung und Nachstellen grenzt (Beweise liegen bei den Betroffenen vor) muss geächtet werden.

  • Kommentar entfernt. Bitte vermeiden Sie Unterstellungen.

    • @Oma Kruse:

      "Alibi-Jude" ist ein von Judenhassern geschaffener, heute nur noch von politisch Inkontinenten und ähnlichen Rechtsauslegern verwendeter Terminus, der Menschen jüdischer Herkunft eine eigene Meinung verweigert, mit dem Hinweis, als Juden seien sie in besonderem Maße käuflich und fernlenkbar.

       

      Auch durch seine Sprache und das dahinter erkennbare Gedankenkonstrukt kann man sich als Antisemit outen.

  • "Es ist antisemitisch, darauf zu bestehen, dass Israel in Deutschland nicht kritisiert werden darf." (Uri Avnery, israelischer Journalist, Schriftsteller und Friedensaktivist, 2012)

  • 7G
    75026 (Profil gelöscht)

    Er denkt also wie Glanz, Strohmeyer usw. Ich denke, damit ist alles gesagt, was man über Herrn Verleger wissen muss. Und auch darüber, auf was für einem - wie sage ich es, ohne gegen die Netiquette zu verstoßen - besch...eidenen Niveau sich die sogenannte "Israelkritik" abspielt.

  • Zitat: "Bei meinen Aktivitäten zu Judentum und Zionismus habe ich vielfach erfahren, was die Leute über diese Problematik denken. […] Das generelle Gefühl ist eine tiefe Enttäuschung über Israel."

     

    Wer soll das sein, "die Leute"? Und wer, bitteschön, ist "Israel"?

     

    Die Nazis hatten zu ihrer Zeit eine Parole: "Ein Volk, ein Reich, ein Führer", hieß es da. Sollen nun etwa "die Juden" gleichbedeutend sein mit "dem Staat Israel" und dieser gleichbedeutend mit seinem Ministerpräsidenten?

     

    Ich gebe zu: Auch ich war schwer enttäuscht, als ich begonnen habe, mich für die Politik im Nahen Osten zu interessieren. Aber wieso eigentlich?

     

    Wie Macht und Menschenpsyche zusammenhängen, weiß ich doch. Warum sollten ausgerechnet "die Juden" (who the fuck…?) keine menschliche Psyche haben? Wieso also sollte ausgerechnet in Israel nicht passieren, was überall sonst auf der Welt passiert, wenn schwer gestörte Egomanen versuchen, sich per Machtausübung selbst zu therapieren?

     

    Nein, es gibt keinen Grund zur Enttäuschung. Eine Nation kann nicht lernen. Auch nicht aus ihrer Geschichte. Lernen kann allenfalls der Einzelne, und selbst dafür braucht es optimale Bedingungen. Gewalt hat noch nie jemanden besser oder auch nur klüger gemacht. Auch keinen Israeli oder Juden.

     

    Das Gefühl, Deutschen stünde es nicht zu, "einen überwiegend jüdischen Staat zu kritisieren" mag "verständlich" sein. Vernünftig ist es nicht. Wer "altes Unrecht dadurch wiedergutmachen [will], dass [er] neues Unrecht unterstützt", erreicht allenfalls, dass der Unterstützte auf sein moralisches Niveaus absinkt.

     

    Das "Geniale" daran ist: Wenn das Opfer ebenfalls Schuld auf sich lädt, ist es moralisch nicht mehr dazu berechtigt, einem die Schuld, die man selbst auf sich geladen hat, vorzuwerfen. Vielleicht war es ja das, was sich viele "Berufsdeutsche" - bewusst oder unbewusst - von der betriebenen Neuausrichtung deutscher (Außen-)Politik erhofft haben nach 1945. Gründe dafür hätten sie gehabt.