piwik no script img

Israelische Siedlungen im WestjordanlandDer Nachbarschaftsterror

Vergangene Woche wurden ein palästinensisches Kleinkind und sein Vater ermordet. Wie reagieren die Siedler? – Ein Besuch in der Westbank.

Bilck auf die israelische Sieldlung Maale Adumim im Westjordanland. Foto: dpa

KOCHAV HASCHACHAR taz | Die Spielzeugpistole auf dem hölzernen Gartentisch wirkt echt. „Die liegt noch seit Purim hier“, sagt Avi, seit dem jüdischen Faschingsfest also. Er ist 64 Jahre alt, trägt Kippa und einen weißen Bart. Seinen Nachnamen will er nicht nennen. Am Gürtel steckt eine echte Waffe.

Seit 25 Jahren lebt Avi mitten im Westjordanland, auf besetztem palästinensischen Gebiet. Kochav Haschachar heißt seine Siedlung, „Stern der Dämmerung“, sie liegt nordöstlich von Ramallah. „Diese Gegend hat biblische Bedeutung. König David hat hier seine Kindheit verbracht“, sagt Avi.

Das palästinensische Dorf Duma, in dem Ende letzter Woche der 18 Monate alte Ali Dawabscheh lebendig verbrannte, ist keine 10 Kilometer entfernt. Inzwischen ist auch der Vater des Kindes seinen Verletzungen erlegen. Alle bisherigen Indizien deuten auf einen jüdischen Täter.

„Was dort passiert ist, ist eine Katastrophe“, sagt Avi.

Auch die anderen Bewohner seiner Siedlung sehen das so, sagt er. „Dies ist ein friedliches Dorf.“ Rund 400 Familien, die ohne Ausnahme dem nationalreligiösen Lager angehören, leben hier. Die Siedlung wurde 1979 gegründet. Man isst koscher, lässt am Sabbat das Auto stehen und wählt im Allgemeinen „Das jüdische Haus“, Israels Siedlerpartei. Die Leute diskutieren darüber, ob es schon in den Kindergärten eine Geschlechtertrennung geben soll oder erst in der Schule. Außerdem halten manche die vom staatlichen Oberrabbiner festgelegten Koscherheitsregeln für nicht streng genug. „Jeder muss seinen eigenen Dialog mit Gott führen“, kommentiert Avi gelassen.

Kommunikation ist schwierig

Die Siedlung liegt eine halbe Stunde Autofahrt von der nächsten israelischen Stadt entfernt. Arbeit ist knapp und auch für Avi, der gelernter Ingenieur ist, gibt es keine feste Stelle. Er beaufsichtigt den Bau neuer Häuser in der Siedlung und verdient sich so zu seiner Rente ein Taschengeld. Das Bauunternehmen gehört einem Drusen aus Israel, der palästinensische Arbeiter beschäftigt – auch aus Duma. Die Siedlung schickte nach dem Anschlag eine Delegation zur Beileidsbekundung in das palästinensische Dorf. Avi war nicht dabei. Auch angerufen hat er nicht. Die Kommunikation sei so schwierig, sagt er. „Die Araber sprechen kaum Hebräisch.“ Sie kommen, um zu arbeiten, wollen ihre Familien ernähren, „über Politik reden wir nicht“.

Die Siedlung ist umzäunt, Besuchern öffnet ein Wachmann an der Einfahrt per Knopfdruck ein eisernes Tor. Das soll die Siedlung auch vor Beduinen schützen, die „andauernd klauen und in unsere Häuser einbrechen“. Mit den „Arabern aus der Umgebung“ habe man keine Probleme, meint Avi, „die Terroristen kommen nicht von hier“. Er persönlich habe nichts gegen „die Araber“. „Sie sollen ruhig bleiben. Hier ist genug Platz für alle.“

Auch Kochav Haschachar hat Terror erlebt. „Schuli ist bei einem Anschlag getötet worden und Esthi“, sagt er. Sie wurden 2002 und 2003 während Autofahrten unweit der Siedlung erschossen. „Vor vier Wochen starb auch der Sohn meines besten Freundes bei einem solchen Anschlag“, fügt Avi hinzu.

Malachie Rosenfeld kam mit seinem Basketballteam gerade von einem Spiel. „Wir hatten mit zwei Punkten gewonnen“, berichtet sein Teampartner Shay Maimon, der in einem illegalen Siedlervorposten direkt vor Kochav Haschachar lebt. „Malachie war so begeistert, fand, dass wir toll gespielt hatten.“ Sie waren zusammen mit dem Auto auf dem Rückweg in die Siedlung. Als die Schüsse fielen, „war es, als kämen sie aus einer ganz anderen Welt“. Malachie Rosenfeld starb. Auch Maimon wurde getroffen, in beide Beine.

War der Brandanschlag ein Vergeltungsakt?

taz.am wochenende

Als Sozialpädagoge kümmerte er sich im Berlin der Achtziger um sexuell missbrauchte Jungen. Heute gerät ein Gespräch mit Christian Spoden zur Zeitreise – in ein Kreuzberg, von dem bis heute viele zu wenig wissen wollen. Das Titelgeschichte „Kreuzberg war ein Jagdrevier“ lesen Sie in der taz.am wochenende vom 8./9. August 2015. Außerdem: Das Binnen-I stört. Und jetzt machen ihm auch noch Sternchen, Unterstrich und x Konkurrenz. JournalistInnen, Feminist_innen und Expertx streiten über die neuen Versuche, gendergerecht zu schreiben. Und: Viele empören sich über den Vorwurf des „Landesverrats“ gegen die Blogger von Netzpolitik.org. Wofür würden Sie ihr Land verraten? Die Streitfrage – mit einem Gastbeitrag des Netzaktivisten Jacob Appelbaum. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im praktischen Wochenendabo.

Möglich ist, dass der Brandanschlag in Duma ein Vergeltungsakt für den Schussüberfall und den Tod Rosenfelds war. „Die Aktionen sind oft spontane Reaktionen“, sagt Schlomo Fischer, Soziologe an der Hebräischen Universität in Jerusalem und Experte für jüdischen Extremismus. Fischer vergleicht das Phänomen der frommen Radikalen mit der europäischen Protestbewegung der sechziger Jahre. Ein Bild, das auch auf die äußerliche Erscheinung der Leute gut passt, die zwar Kippa und Schläfenlocken tragen, aber sonst wie Hippies herumlaufen.

„Das sind junge Leute, Anfang 20, manche noch jünger, die einem romantischen religiösen Nationalismus folgen“, sagt Schlomo Fischer. Das Profil, das Fischer von den „jüdischen Terroristen“ zeichnet, wie sie neuerdings im offiziellen Wortlaut heißen, ist das von Aussteigern. „Wir haben es mit Leuten zu tun, die sich weder im orthodoxen noch im weltlichen Leben zurechtfinden. Sie sind antiklerikale Anarchisten.“ Ihre Netzwerke entstehen über Kontakte aus Siedlungen oder aus der Schule.

Bislang bekannt sind zwei Manuskripte, die aus der Feder jüdischer Terroristen stammen: eine Art Handbuch zur Brandstiftung und eine ideologische Hetzschrift. Die Autoren, die inzwischen beide im Gefängnis sind, nähren sich ideologisch aus Veröffentlichungen radikaler Rabbiner, vor allem aus der rechtsradikalen Siedlung Yizhar. Die Rabbiner Yizhak Shapira und Jossef Elitzur sind Verfasser der „Lehre des Königs“, die man online findet. Unter Kapitel 1, Punkt 4 heißt es über die Nichtjuden: „Sie müssen ihren Götzendienst beenden oder sie werden getötet.“ Die Autoren gelangen zu dem Fazit, dass das Gebot „Du sollst nicht töten“ nicht zwingend Nichtjuden einschließt.

Shay Maimon, der im illegalen Vorposten Mitzpe Kramim lebt, findet, dass die jüdischen Extremisten „Hooligans“ sind, wie man sie auch aus Europa kennt. Trotzdem gibt er zu, dass es unter den Siedlern „ein Problem“ gibt. „Immer mehr junge Leute fallen raus aus dem sozialen Rahmen, und wir verlieren die Kontrolle über sie“, sagt er. Von Zeit zu Zeit laufe er den Jugendlichen über den Weg, wenn sie in seinen Vorposten kommen, um etwas einzukaufen. Sie leben in Zelten und ziehen jedes Mal weiter, wenn die Armee Wind von ihnen bekommt, erzählt Maimon. Er selbst ist 33, verheiratet und Vater von drei kleinen Jungen.

Angefangen mit ein paar Zelten

Mit ein paar Zelten hat Mitzpe Kramim auch mal angefangen. Vor 13 Jahren zogen die ersten Siedler auf den Hügel. Zuerst wohnten sie in provisorischen Unterkünften, später in Wohnmobilen, die nach und nach durch richtige Häuser ersetzt wurden.

Israels Regierung hat sich im Friedensprozess mit der Palästinensische Befreiungsorganisation dazu verpflichtet, keine komplett neuen Siedlungen zuzulassen, und zögert mit einer rückwirkenden Legalisierung des „Vorpostens“. Die Banken hindert das nicht daran, Familien Kredite für den Bau ihrer Häuser zu gewähren. Weder Strom- und Wasserwerke noch Telefon- und private Fernsehfirmen haben ein Problem mit ihren illegalen Kunden.

Maimon erzählt von dem biblischen König Saul, der einst den Esel seines Vaters suchte. Wenn man über die kargen Felder geht, auf denen alte Olivenbäume stehen, habe man Saul und seinen Esel buchstäblich vor Augen, sagt er.

Die Idylle von Mitzpe Kramim, die Maimon so liebt, könnte jedoch bald ein Ende haben. „Irgendeine linke israelische Organisation hat einen Palästinenser aufgetrieben, der behauptet, das hier sei sein Land.“ Jesch Din war das, eine israelische Organisation, die Palästinensern Rechtshilfe gibt. Seit vier Jahren schon läuft das Verfahren. Maimon glaubt nicht, dass es wirklich zum Räumungsbefehl kommt. „Wir werden mit allen legalen Mitteln versuchen dagegen anzugehen, aber nicht mit Gewalt.“

Ende Juli wurden zwei illegal errichtete Siedlerhäuser bei Bet El geräumt. Regierung und Siedlervertretung einigten sich darauf, einige hundert Meter von den Abrissgrundstücken entfernt dreihundert neue Häuser zu errichten.

Schlicht aber gemütlich

Maale Schlomo ist der zweite illegale Siedlervorposten bei Kochav Haschachar. Die Unterkünfte der zehn jungen Familien sind noch deutlich provisorischer als in Mitzpe Kramim.

Ein Paar Anfang 30, das seinen Namen nicht nennen will, hat sich aus Holzlatten eine Terrasse vor sein Wohnmobil gezimmert. Es ist schlicht, aber mit dem bunten Hängestuhl und einem alten Sofa sehr gemütlich.

Die beiden Eheleute sind braun gebrannt, sie mit buntem Kopftuch und langem Rock, er mit dunklen Locken und tadellos weißem Hemd, unter dem die geknoteten Fäden seines Tallits hervorschauen, des Gebetshemds, das fromme Juden gewöhnlich tragen.

„Wir sind vor zwei Jahren hergezogen, weil wir die Ruhe suchten, eine schöne Aussicht und Natur“, erzählt sie. Ihre vier Töchter sind hier „unabhängiger“ als in der Stadt.

Mitten auf der Straße sitzt ein schwarzblauer Hahn. Auf einem Hügel reiten zwei Jungen auf einem Esel. Sie will nicht glauben, dass es so weit kommen konnte, dass Juden ein Haus in Brand stecken. „Das ist einfach schrecklich. Wir Juden sind nicht so.“ Eine kleine Hoffnung hat sie, dass es vielleicht doch anders war.

In rechtsextremen Siedlerkreisen kursieren Gerüchte über eine arabische Familienfehde in Duma oder auch die Möglichkeit, dass das Attentat vom Schin Bet, dem israelischen Geheimdienst, lanciert worden sei. Solche Konspirationstheorien gab es auch im letzten Jahr, als ultraorthodoxe Fanatiker den palästinensischen Jungen Mohammed Abu Khdeir entführten und lebendig verbrannten. Mohammad sei homosexuell gewesen und von seiner Familie ermordet worden, hieß es damals in radikalen Siedlerkreisen.

Zwei vielleicht 17-Jährige nähern sich in einem alten Auto dem unerwünschten Besuch in Maale Schlomo. „Was machst du hier?“, fragen sie und fordern mich zum Gehen auf. Sie sind kurz angebunden, weigern sich zu diskutieren. „Du haust jetzt sofort von hier ab“, sagt einer. Dann zünden sie sich eine Zigarette an.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!