Israelische Sängerin Netta: Den ESC der Likes schon gewonnen
Der Song „Toy“ der israelischen Kandidatin Netta wird als Kommentar zur MeToo-Debatte gedeutet – auch, weil sie darin wie ein Huhn gackert.
Der ESC ist ein Wettbewerb der klassisch schönen Frauen und Jungs. Sieht man von Guildo Horn ab, den vor zwanzig Jahren die israelische Diva Dana International hinter sich ließ. Nun also schickt Israel eine junge Frau nach Lissabon, die sich ihre extravaganten Kleider von Designern schneidern lässt, weil es in ihrer Größe kaum coole Klamotten von der Stange gibt.
Netta findet sich schön, wie sie ist: „Look at me, I’m a beautiful creature“ lautet die erste Zeile von „Toy“. Die so einfache wie klare Ansage des Refrains: „I’m not your toy. You stupid boy.“ Barbie habe was zu sagen, singt sie außerdem ironisch, um später, in der einzigen hebräischen Zeile des Lieds, klarzumachen: „Ani lo buba.“ – „Ich bin keine Puppe.“ Fans des Gesangswettbewerbs erkennen darin einen Verweis auf „Poupée de cire, poupée de son“, den Eurovisionsbeitrag von France Gall aus dem Jahr 1965. Er handelt von einer Sängerin, die Wachs in den Händen ihrer Produzenten ist, einer der vielen bösen Texte, die Serge Gainsbourg Frauen in den Mund legte.
Am Anfang von „Toy“ gackert Netta wie ein Huhn. Das ist ein Verweis auf die Unsitte, Frauen als Hühner zu bezeichnen, aber auch auf männliche Feiglinge gemünzt. „Toy“ wird daher als Kommentar zur MeToo-Debatte gelesen. Aber Netta beharrt in Interviews darauf, dass ihr Song alle ansprechen soll, die den gesellschaftlichen Standards nicht entsprechen und deswegen schlecht behandelt werden. Ihr gehe es darum, Diversität zu zelebrieren, wiederholt sie unermüdlich. „Wir sind nur eine Minute hier, wir sollten unsere Existenz feiern.“
In der Marine-Band
Barzilai wurde am 22. Januar 1993 in Hod HaSharon, einem Vorort von Tel Aviv, geboren, wo sie immer noch lebt. Als sie klein war, lebte die Familie vier Jahre lang in Nigeria. Ihren Militärdienst leistete sie in der Band der Marine, aus der schon die ersten israelischen Popstars der Sechziger hervorgingen.
Diversität propagiert nicht nur ihr knallbunter Bekleidungsstil, sondern zeigt sich auch in ihrer Musik. Nettas Sound ist eine wilde Mischung aus zeitgenössischem asiatischem Pop und elektronischer Tanzmusik. Bei ihren Auftritten bei „HaKochav HaBa“ zeigte Netta, dass sie ein voluminöses Stimmorgan hat, aber auch, wie perfekt sie mit dem Looper spielt.
Mittels dieser Box stapelt Netta live gesungene Zeilen und rhythmische Geräusche übereinander. Sie versteht es außerdem bestens, Mash-ups aus verschiedenen Songs zu basteln. Ob Netta den Looper in Lissabon benutzen darf, war bis zuletzt unklar.
Pop aus Israel hat eine politische Dimension, weil er aus Israel kommt. Die Tatsache, dass Tel Avivs schwule Partykultur im City Marketing eine wesentliche Rolle spielt, wird Israel und seiner queeren Gemeinde seit vielen Jahren von linken Gruppen zum Vorwurf gemacht: Das sei „Pinkwashing“, mit dem das wegen der Besatzung schlechte Image des Landes aufpoliert werden solle. Warum man einer Gesellschaft zum Vorwurf macht, dass sie ihre Minderheiten nicht unterdrückt, bleibt das Geheimnis der Kritiker. Davon abgesehen, dass man in den Nachbarstaaten, aber auch im Westjordanland und im Gazastreifen, besser nicht als schwul oder lesbisch geoutet wird. Einer der Komponisten von „Toy“, Doron Medalie, hat die schwule Tel-Aviv-Hymne „Tel Aviv Ya Habibi“ geschrieben. So hat man nicht lange darauf warten müssen, bis die bisweilen auch antisemitisch argumentierende BDS-Bewegung die Europäer aufrief, Netta Barzilai beim Televoting null Punkte zu geben. Die absurdeste Begründung des Boykottaufrufs lautete, Nettas Botschaft der Selbstermächtigung richte sich nicht an die Frauen in Gaza, als sei die fehlende Ermächtigung von Frauen im Gazastreifen nicht Folge der Politik der dort regierenden islamistischen Hamas.
Fans in Marokko und Jemen
Israelische Popexporte wie die Frauenband A-Wa sind häufig Anlass für begeisterte Kommentare arabischer Hörer, die sich von der Propaganda in ihren Ländern anscheinend wenig beeindrucken lassen, vielleicht weil man den eigenen korrupten Regimen generell nicht mehr zu glauben bereit ist. Bei A-Wa ist das insofern wenig verwunderlich, als die drei aus einer jemenitischen Familie stammenden Schwestern traditionelle Melodien mit elektronischen Sounds und modernen Beats verbinden und auf Arabisch singen.
Als das israelische Außenministerium den ESC-Clip Nettas auf seiner arabischsprachigen Facebookseite postete, die eineinhalb Millionen Abonnenten hat, zeigte sich ein ähnliches Bild. Die Stimme Nettas und die arabeske Melodie des Refrains, typisch für den orientalischen Misrachi-Sound des israelischen Pops, kam bei vielen Kommentatoren, darunter viele Frauen, aus Marokko, Saudi-Arabien oder Jemen, gut an, wie die israelische Ha’aretz berichtete. Als ein Mitarbeiter des irakischen Innenministeriums namens Achmed der Sängerin Glück wünschte, meldete sich ein anderer Achmed aus Ägypten zu Wort: „Du bist Moslem, aber deine Gefühle sind jüdisch. Du verdienst den Namen Achmed nicht.“ Der irakische Achmed gab zurück: „Was hat die Religionszugehörigkeit mit Musik und Gesangswettbewerben zu tun?“
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