Israelin über jüdisch-orthodoxe Bademode: „Mein Körper soll kein Thema sein“
Die Designerin Michal Siv lebt in einer orthodox-jüdischen Gemeinde und verkauft keusche Bademode. Sie bedecke sich, um weniger sexuelles Objekt zu sein.
taz: Frau Siv, was halten Sie von der Debatte über das Burkiniverbot in Frankreich?
Michal Siv: Die Diskussion ist schrecklich chauvinistisch, ganz egal aus welcher Richtung argumentiert wird. Ich empfinde es als eine Art chauvinistische Liberalität, wenn ein Politiker meint, dass eine Frau, die einen Burkini trägt, unfrei sei. Das Thema ist der Körper der Frau. Sie allein entscheidet, was sie trägt und was nicht.
Dann sind die Frauen also nicht dazu gezwungen, ihre Körper zu verhüllen?
Wenn religiöse Gründe dafür vorliegen, also die Halacha [jüdisches Recht; Anm. d. Red.], oder auch wenn muslimische Regeln vorschreiben, wie sich die Frau zu kleiden hat, dann kann darüber nicht gestritten werden. Es geht nicht um unsere Meinung, sondern Gott entscheidet darüber. So ist es jedenfalls nach Auffassung frommer Juden und Muslime. Diese Mode ergibt sich aus unserem Glauben.
Es ist nicht der Mann, der sagt: Du musst das und das tragen?
Es mag von außen oft so erscheinen, dass die Frauen benachteiligt werden im orthodoxen Judentum. Ich empfinde es genau umgekehrt. Ich bin heute viel weniger sexuelles Objekt, denn der Körper der Frau ist hier nicht mehr das Thema. Ich verhülle meinen Körper, damit er nicht Thema wird.
Was unterscheidet den Burkini von den keuschen Bademoden für fromme Jüdinnen?
Beim Burkini müssen Kopf und Nacken verdeckt sein. Diese Nuance macht für mich den ganzen Unterschied aus. Ich könnte so etwas nicht tragen.
Die 48-jährige ehemalige Kostümbildnerin vermarktet keusche Bademode für fromme Jüdinnen auf www.csuta.com
Warum nicht?
Ich empfinde das schon auf den ersten Blick als schrecklich.
Und der keusche Badeanzug für jüdische Frauen ist nicht schrecklich?
Die an das Oberteil festgenähte Kappe macht es für mich viel schwerer. Trotzdem sage ich, wenn ich bereit bin, nach bestimmten religiösen Regeln zu leben, kann ich andere nicht verurteilen, wenn sie nach den Regeln ihres Glaubens handeln. Von außen zu urteilen und Vorschriften zu machen, wäre furchtbar arrogant. So geht das nicht.
Haben Sie auch muslimische Kundinnen?
Ja, ab und zu fragen arabische Frauen hier aus Israel an. Leider noch nicht sehr viele.
Es gibt Abstufungen beim Grad der Frömmigkeit. Wie schlägt sich das auf die Modelle nieder?
Nach der Halacha müssen Ellbogen und die Knie bedeckt sein, das Oberteil hoch abgeschlossen und die Haare verdeckt. Viele Frauen kaufen aber auch Modelle mit kürzeren Ärmeln und Tights. Manche fragen mich, ob das geht. Die schicke ich zu ihrem Rabbi. Das muss der entscheiden.
Was hat sie motiviert, keusche Bademode zu nähen?
Ich bin in Tel Aviv aufgewachsen. Das Meer ist ein Teil von mir. Wir waren als Kinder und Jugendliche immerzu am Meer. Ich liebe es. Als ich zum Glauben kam, habe ich anfangs versucht, mit einem indischen Kleid zu baden, aber das ging überhaupt nicht. Für mich ist es eine Berufung, keusche Badeanzüge zu kreieren. Ich bekomme Briefe von Kundinnen, die so glücklich sind, dass sie endlich ins Meer gehen können und sich wohl dabei fühlen.
Was haben Sie gedacht, als Sie die Bilder von den französischen Polizisten gesehen haben, die eine muslimische Frau dazu zwingen, ihren Burkini auszuziehen?
Dieses Bild ist erschreckend und es sagt auch etwas über die Franzosen aus. Als hätten sie völlig den Verstand verloren. Das Problem ist die riesige kulturelle Kluft. Mein erstes Gefühl war das eines großen Verlustes und dann der Versuch, sich an etwas festzuhalten, um sich zu retten. Am Burkini? Absurder könnte es nicht sein.
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