piwik no script img

Israel-Palästina-KonfliktNeue Generation der Wut

Die neue Eskalation zeigt: Nur wenn die Sicherheit Israels mit den Rechten der Palästinenser verbunden wird, kann es eine Lösung des Konflikts geben.

Bild der Zerstörung – Ruinen nach den jüngsten Raketenangriffen in Gaza-Stadt Foto: Khalil Hamra/ap

Kairo taz | Fast hatte man ihn vergessen, den Nahostkonflikt. Nach außen hin hatte sich kaum etwas verändert, wenngleich sich die Situation der Palästinenser mit jedem Jahr weiter verschlechtert hat. Aber das fand jenseits der Schlagzeilen statt. Selbst als Donald Trump und sein Schwiegersohn Jared Kushner letztes Jahr die von ihnen initiierte Normalisierung zwischen Israel und den Arabischen Emiraten sowie Bahrain als große neue Friedensinitiative zelebrierten, waren die Palästinenser noch nicht einmal als Statisten dabei.

In den letzten Tagen hat die internationale Gemeinschaft gelernt: Es geht nicht um die Beziehungen, die Israel mit einigen Golfstaaten unterhält. Der Kern des Problems ist der Konflikt mit den Palästinensern. Und deren Unmut und Frust über den Status quo drückt sich in dem aus, was wir nun erleben. Die jüngsten Unruhen haben eine neue Qualität. Bisher ging es immer um den vom Rest der Welt abgeschnitten Gazastreifen oder um die Rechte der Palästinenser in Ostjerusalem oder im Westjordanland, die unter israelischer Besatzung leben. Nun treten alle Palästinenser, auch jene, die innerhalb Israels leben, gemeinsam zu Protesten an – mit einer noch nie dagewesenen Vehemenz.

Hier geht es nicht um eine Zweistaatenlösung oder um Territorium, sondern um gleiche Rechte als Bürger in einem israelischen Staat

Welche Brisanz in den Aufstands-Newcomern steckt, den sogenannten 48er-Arabern, also jenen Palästinensern, die im israelischen Staatsgebiet leben und ein Fünftel der Staatsbürger Israels ausmachen, wurde deutlich durch die Lynchmorde und gegenseitigen Jagdszenen. Die Grenzen zwischen den von Israel besetzten Gebieten und dem israelischen Staatsgebiet verschwimmen dieser Tage. Der Konflikt mit den Palästinensern ist diese Woche zu allen Israelis nach Hause gekommen. Mit dem Eintreten der 48er-Palästinenser in den Konflikt, verändert sich auch die palästinensische Perspektive: Hier geht es nicht um eine Zweistaatenlösung oder um Territorium, sondern um gleiche Rechte als Bürger in einem israelischen Staat.

Neu ist auch, dass die Proteste in Ostjerusalem nicht mehr mit der Hamas oder Fatah verbunden sind. Die Jugendlichen, die in Ostjerusalem auf die Straße gehen, stellen eine neue Generation dar, die nicht nur von der täglich gelebten Diskriminierung genug hat. Sie ist auch desillusioniert gegenüber der eigenen politischen Führung – egal, ob sie Fatah oder Hamas heißt.

Verheerende Bilder für das kollektive arabische Gedächtnis

Nein, die Hamas-Raketen werden hier nicht ausgeblendet. Als die israelische Polizei die Al-Aksa-Moschee in Jerusalem stürmte und verheerende Bilder lieferte, die sich in das kollektive arabische Gedächtnis eingebrannt haben, witterte die Hamas ihre Chance, auf die neue Protestbewegung aufzuspringen. Über tausend Raketen wurden Richtung Israel abgeschossen, terrorisierten die Bevölkerung und kosteten unschuldige zivile Opfer.

Das hat einen doppelten Effekt: Die Raketen bieten Israels Premier Netanjahu die Gelegenheit, den Konflikt dorthin zu ziehen, wo er den längeren Hebel hat: auf die militärische Ebene. Und schon hat sich die internationale Aufmerksamkeit abgewandt von den drohenden Zwangsräumungen im Ostjerusalemer Stadtteil Sheikh Jarrah.

Aber auch der Hamas-Logik ist die internationale Gemeinschaft gefolgt. Als die Palästinenser in Ostjerusalem von Siedlern terrorisiert wurden und einigen die Räumung drohte, hatte sie unbeteiligt zugesehen. Sie schreckte erst auf, als die ersten Raketen flogen. Das ist das Traurigste: Die Palästinenser werden international erst wahrgenommen, wenn sie die Schwelle der Gewalt überschreiten.

Der Raketenbeschuss und die israelischen Bombardements werden wohl in ein paar Tagen nach amerikanischer und ägyptischer Vermittlung beendet werden. Was bleibt, ist die viel größere Herausforderung der Proteste innerhalb Israels. Hier gibt es keinerlei Vermittlung. Das ist der roheste Nerv des Nahostkonflikts.

Verschiebung des palästinensischen Diskurses

Aber noch etwas hat sich verändert: Wir erleben eine Verschiebung des palästinensischen Diskurses und eine neue Generation von Palästinensern, die sich eloquent Raum in der internationalen Wahrnehmung des Konflikts verschafft. Es ist ein Diskurs weg von Territorium und der Zweistaatenlösung hin zu gleichen Rechten zwischen Israelis und Palästinensern. Auch hier verschwimmen die alten Linien der Palästinenser, die im Westjordanland unter Besatzung leben, in Ostjerusalem gegen Zwangsräumung kämpfen, in Gaza isoliert sind oder in innerhalb Israels als Bürger zweiter Klasse leben. Der gemeinsame Appell lässt sich zusammenfassen mit einem „Auch wir haben Rechte“. Sie vergleichen sich mit der Black-Lives-Matter-Bewegung in den USA und machen daraus Palestinian Lives Matter. Statt des Wortes „Besatzung“ macht unter den Palästinensern wie unter Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch immer mehr das Wort „Apartheid“ die Runde. Auch das ist neu.

Alt ist dagegen die internationale Reaktion auf die Ereignisse der letzten Tage. Wir vernehmen erneut die von Inhalten befreite Rhetorik, bei der es nicht wirklich darum geht, den Konflikt zu lösen. Ein erster Schritt wäre ohnehin die Suche nach einem Konsens über die Realität, ohne den es keine echte Lösung geben wird. Sich einseitig auf eine Seite zu schlagen und reflexartig Lippenbekenntnisse zur Zweistaatenlösung von sich zu geben, wird diesen Konflikt nicht lösen. Nur wenn die Sicherheit Israels verbunden wird mit der israelischen Besatzung des Westjordanlands, der katastrophalen Lage in Gaza, der Diskriminierung innerhalb Israels und der schleichenden Vertreibung aus Ostjerusalem, beginnen wir über eine Lösung zu sprechen.

Wir können unseren Kopf weiter in den Sand stecken, was in den letzten Jahren auch gut gegangen ist. Aber in Wirklichkeit war die Situation nie nachhaltig. Und dabei ist völlig egal, ob man sich als proisraelisch oder pro­palästinensisch definiert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

16 Kommentare

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • Sehr guter Kommentar von Karim.

    "Nur wenn die Sicherheit Israels verbunden wird mit der israelischen Besatzung des Westjordanlands, der katastrophalen Lage in Gaza, der Diskriminierung innerhalb Israels und der schleichenden Vertreibung aus Ostjerusalem, beginnen wir über eine Lösung zu sprechen." In der deutschen Öffentlichkeit überwiegt ein einfaches Bild, in dem die bösen Extremisten der Hamas die Israelis mit Raketen terrorisieren. Die Reaktion fast aller deutschen Politiker besteht darin, Solidarität mit Israel zu bekunden. Damit es zu einer dauerhaften Befriedung der politischen Situation kommt, müssten allerdings die im obigen Zitat angeführten Probleme gelöst werden.

  • Leider erfahre ich im aktuellen Journalismus nichts zu den Zwangsräumungen in Ost-Jerusalem, die ja offenbar das Resultat von Gerichtsurteilen sind. Welche Grundlage haben diese Urteile? Wie "neutral" sind sie?



    Die Zwangsräumungen waren dieses Mal der Auslöser für den eskalierenden Konflikt, was wiederum der Hamas bestens passte.



    Wie steht es, zweitens, um den Machtkampf zwischen Hamas und Fatah? Welche Rolle spielen die von Abbas verschobenen Wahlen?

    (Sprachliche Anmerkung noch für den Autor: man ist desillusioniert VON etwas, nicht "gegenüber" etwas).

    • @cazzimma:

      In diesem Interview wird unter anderem über den verschobenen Wahlen gesprochen:



      www.democracynow.o...rtheid_persecution



      Im Mai gab es mehrere Sendungen zum jetzigen Konflikt, vielleicht werden Sie dort die Antworten auf mehrere Ihre Fragen finden.

      • @Don Cojone:

        Danke.

        Ihren Usernamen muss ich nicht toll finden.

        • @cazzimma:

          Müssen Sie nicht, mir reicht es, dass ich ihn toll finde. ;)

  • Guter Artikel, der sich angenehm von der sonst tendenziellen Parteinahme der TAZ für die israelische Regieungsplolitik abhebt und den Vorwurf des Antisemitismus gegenüber einer objektiven Analyse des Konflikts ad absurdum führt.

  • Ihre Perspektiven im Text, Herr El-Gawhary, gehen ja erfrischend über den "mainstream Horizont" in Presse und Medien hinaus!



    Sie weisen ja darauf hin das es nicht um die Zweistaatenlösung,sondern um "gleiche Rechte als Bürger in einem israelischen Staat" geht.



    Wobei die Überwindung der Apartheid



    (im Lichte der, von der U.N.O. angestrebten Gültigkeit globaler, allgemeiner Menschenrechte)das



    primäre Anliegen der Bürger palästinensischer Abstammung ist.



    Leider ist nun, durch die aufgestaute Wut, eine beidseitige Eskalation geschehen... die es 'erlaubt'/erzwingt.. , den Konflikt



    militärisch zu lösen..



    wodurch der notwendige Dialog für Bürgerrechte verdrängt wird, wodurch evtl eine Festschreibung der Tendenzen von Apartheid geschehen kann?(was hoffentlich nicht geschieht!)



    Ich meine das sie im Text verdeutlichen das durch die Veränderung des Konflikts



    der historische Charakter des Antisemitismus sekundarisiert, oder weg ist: es geht um Bürgerrechte, um Überwindung der Apartheid?



    Und nun? Möge aus der Produktion von Schutt und Asche - durch Wut, Terror und militärischen Aktionen... - ein neues und friedliches , humanes Israel entstehen...

  • "Nur wenn die Sicherheit Israels mit den Rechten der Palästinenser verbunden wird, kann es eine Lösung des Konflikts geben."

    Es geht um mehr als um die Sicherheit Israels und die Rechte der Palästinenser. Für die Sicherheit Israels kann Israel sorgen. Es geht um die internationale Anerkennung des Staates Israel als ein jüdischer Staat in Grenzen, die vermutlich neu zu verhandeln sind, um sein völkerrechtlich verbrieftes Recht auf Selbstverteidigung im Fall von Angriffen - egal von wem und wie, und es geht um die Koexistenz mit arabischen/islamischen Staaten aus der Region. Die Rechte der palästinensischen Bevölkerung müssen aber nicht nur innerhalb Israels, sondern auch in Palästina gelten. Es müssen viele Abkommen getroffen werden. Die größte Herausforderung dürfte die Bidlung eines säkularen Palästinas sein und die Wiederherstellung eines säkularen Israels. Ohne internationale Hilfe läuft da nichts.

    • @Jossi Blum:

      Was ist ein "jüdischer Staat"? Sicher kann das nicht die jetzige Regierung sein, die mit ihr "Nation-State" Gesetz gleich über 20% der nicht-jüdische Bevölkerung entrechtet.



      Abgesehen davon, dass die Mehrheit der Bevölkerung in Territorien, die von Israel beherrscht sind, nicht-jüdisch ist - laut Daten von der IDF selber.



      www.972mag.com/pal...rtheid-yet/134125/

    • @Jossi Blum:

      Ich glaube nicht, dass es zu einer Zweistaatenlösung kommen wird, denn das mögliche Staatsgebiet Palästinas ist übersäht von jüdischen Siedlungen, die nicht mehr weichen werden. Auf der anderen Seite ist der Status Quo mit Besatzung und Apartheit ( so Human Right Watch) und Perspektivlosigkeit von Millionen Palästinensern nicht auf Dauer hinnehmbar. Israel hat sich zum Großisrael entwickelt, es beherrscht defacto die Menschen und das Land vom Mittelmeer bis zum Jordan. Es gilt dort zweierlei Recht, das Recht für die Israelids und das Besatzungsrecht für die Paläsinenser, die immer mehr in Homelands abgedrängt werden.



      Die einzige sinnvolle Lösung ist meines Erachtens 1 Staat, 2 Völker , gleiches Recht für alle und in demokratischen Wahlen wird die Verfassung, der Name des Staates und die gemeinsame Regierung bestimmt. Was halten sie davon, Herr Blum?

      • @Hannah Wilder:

        .."übersät von jüdischen Siedlungen?...unsere Denkweise bestimmt, wie wir sprechen...warum kann es kein Staatsgebiet Palästina geben, in dem Juden leben? Geht das nur, wenn alle Juden verschwunden sind?? Welche Perspektive haben Sie? Schauen Sie hier: www.thegreatcourse...t-in-world-war-ii/



        können Sie Israel finden..??.. Großisrael wie Sie sagen, ein winziger jüdischer Staat, der Einzige unter allen christlichen und muslimischen Staaten, in denen sich Juden zurückziehen können, wenn sie verfolgt sind.



        Es gibt doch auch Israel, in dem über 1,5 Mio Araber wohnen...



        Diese Denkweise, von Anfang an zu vermuten, dass Juden nicht willkommen sind, ist eine christlich europäische Denkweise. Das Israelische Militär könnte sofort aus der WB verschwinden, wenn diese Denkweise über Juden endlich verschwinden würde, dass Juden nicht etwa irgendwo leben und wohnen, sonder siedeln, dass sie gar mit ihren Siedlungen ein Gebiet "übersähen", wie Sie sagen. Gebührt es und nicht eine Gewisse Urteilsschüchternheit über Lösungsvorschläge, wie Juden und Muslime ihre Lebensverhältnisse ordnen 3000 km weit weg, wenn wir an unsere Geschichte denken, etwa nachdem wir den Gerstein- Bericht gelesen haben...und nicht vergessen...?

    • @Jossi Blum:

      Also geht es dir um Israel und die Palaestinenser sind nur Nebenwerk

  • Sehr interessanter Artikel, auch wegen der Vorgeschichte der aktuellen Ereignisse.



    Er zeigt eine Perspektive, die bis jetzt bei uns nicht laut gesprochen sind.

    Tatsächlich ist etwas wirklich neu bei aktuellem Ereignis: Ein große Protest von palästinensicher Israelis. In Tel-Aviv, in Lod, in Jerusalem usw.



    Jemand kann mich korrigieren, aber die Bilder - wie z.B. was in Lod passiert ist- erinnere ich nicht von vorher.



    In Gazza oder West-Jordanland ja, aber in der Mitte von Israel nicht...

    Solche gegenseitigen Jagdszenen auf den Straßen zu sehen macht mich wirklich traurig.



    (P.S. Selbstverständlich, die bekannte "leider-übliche" Bilder von Raketenterror des Eines oder Flugzeug-Bombardierungen der Andere gibt es genug, und sind viel trauiger)

    • @Robert Boyland:

      Israel befindet sich de facto im Buergerkrieg, Frucht der Kriegspolitik Netanjahus

      • @Ferenc22:

        Nein, unsere Presse oder die Parteien ernennen (oder stufen) das nicht als Bürgerkrieg..

        Am Besten, und sehr seltensten, als "Bürgerkrieg-ähnliche" Szenen genannt...