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Iranische RaketenangriffeKrisentelefonate und ein Verdacht

Hat der Iran ein Passagierflugzeug abgeschossen? Der Verdacht erhärtet sich zunehmend. Derweil wollen die EU und Teheran am Atomdeal festhalten.

Weiter ein Partner für den Iran: die internationale Atomenergiebehörde in Wien Foto: Foeger/reuters

Berlin taz | Gerade erst hatte sich die Lage entspannt, nun erhärtet sich der Verdacht, dass die iranischen Angriffe auf US-Stellungen im Irak doch tödlicher waren als angenommen. Das ukrainische Passagierflugzeug, das in der Nacht auf Mittwoch – der Nacht der Raketenangriffe – bei Teheran abstürzte, ist nach Erkenntnis der US-Regierung durch eine iranische Rakete abgeschossen worden – wahrscheinlich versehentlich.

Die US-Sender CBS und CNN beriefen sich in ihren Berichten auf namentlich nicht genannte Regierungsvertreter. Auch der britische Guardian berichtete am Donnerstagabend von einem versehentlichen Abschuss und berief sich dabei auf britische Regierungskreise.

US-Präsident Donald Trump sagte am Donnerstag, jemand könnte einen Fehler gemacht haben. Er habe das Gefühl, dass etwas sehr Schreckliches passiert sei. Details nannte er jedoch nicht. Bei dem Absturz waren am Mittwoch alle 176 Insassen des Flugzeuges gestorben. Kurz zuvor hatte der Iran als Vergeltung für den von den USA getöteten iranischen General Qasim Soleimani Raketen in Richtung Irak abgefeuert.

Derweil trotzten die Europäer in der Iran-Krise am Donnerstag Trump. Nachdem der US-Präsident die verbliebenen Unterzeichnerstaaten des Iran-Atomdeals (JCPOA) am Mittwoch aufforderte, das Abkommen endlich endgültig fallen zu lassen, bekräftigte die EU am Donnerstag ihre bisherige Haltung.

Die UN wird weiter die iranischen Atomanlagen überwachen

Hassan Rohani, iranischer Präsident

Sie will an dem ebenso historischen wie umstrittenen Vertrag festhalten: „Das JCPOA-Abkommen war eine wichtige Errungenschaft nach zehn Jahren intensiver internationaler Verhandlungen und bleibt ein wichtiges Instrument der regionalen Stabilität“, teilte der Europäische Rat mit.

Zuvor hatte Ratspräsident Charles Michel mit dem iranischen Präsidenten Hassan Rohani telefoniert. Dabei habe er die Führung in Teheran aufgefordert, keine Handlungen zu unternehmen, die ein Festhalten an dem Abkommen unmöglich machen würden.

Ähnliche Töne kamen aus Deutschland und Großbritannien. Die deutsche Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) stellte klar, dass sie das Abkommen als Wert an sich sehe: „Deswegen kämpfen wir um diesen Wert, auch um diesen Vertrag“, sagte sie am Mittwochabend im ZDF. Der britische Premierminister Boris Johnson telefonierte am Donnerstag mit Rohani und erklärte ebenfalls, an dem Abkommen festzuhalten.

Perthes: Atomabkommen „nicht tot“

Auch von den Iranern kamen versöhnliche Töne: „Teheran wird weiterhin mit der IAEA zusammenarbeiten, und die UN-Behörde wird auch weiterhin die iranischen Atomanlagen überwachen“, sagte Rohani in dem Telefonat mit Johnson. Die Überwachung der iranischen Atomanlagen durch die Internationale Atomenergiebehörde IAEA ist einer der zentralen Punkte, auf die sich der Iran mit den Europäern sowie mit Russland und China 2015 geeinigt hatte.

Die IAEA-Kontrollen seien „sehr, sehr wichtig“, sagte Volker Perthes, Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin, gegenüber der taz am Donnerstag. Auch er betonte, dass das Atomabkommen mit dem Iran „nicht tot“ sei. Europa müsse nun auf eine Abmilderung der US-Sanktionen gegen den Iran hinarbeiten und als Gegenleistung „iranische Schritte zurück zu den Verpflichtungen unter dem Atomabkommen“ erwirken.

Gegen andere Bestimmungen des Abkommens – allen voran die Grenzen der zulässigen Urananreicherung – hat der Iran seit dem einseitigen Ausstieg der US-Regierung unter Donald Trump im Mai 2018 Stück für Stück verstoßen. Allerdings erklärte Rohani am Donnerstag erneut, der Iran sei bereit, vollständig zum JCPOA zurückkehren, sobald die Einigung auch von den anderen Unterzeichnerstaaten vertragsgerecht umgesetzt werde. Die USA hatten nach der Aufkündigung des Abkommens scharfe Wirtschaftssanktionen gegen den Iran verhängt.

Abhörsicheres Briefing im US-Kongress

In den USA spitzt sich indes die Debatte um Trumps Iranpolitik zu. Im Mittelpunkt der Diskussion steht die Frage, ob die gezielte Tötung des iranischen Generals Qasim Soleimani am vergangenen Freitag gerechtfertigt war. Trump hatte die Aktion damit gerechtfertigt, dass die iranischen Revolutionsgarden Angriffe der Iraner gegen die USA „unmittelbar“ bevor gestanden hätten.

Details zu den angeblichen geheimdienstlichen Erkenntnisse hat das Weiße Haus bislang aber nicht bekanntgegeben. Auch ein vertrauliches Briefing in einem abhörsicheren Raum des Kongresses von Außenminister Mike Pompeo, Verteidigungsminister Mark Esper und CIA-Chefin Gina Haspel am Mittwoch brachte wenig Neues.

Der republikanische Senator Mike Lee gab sich nach dem Treffen empört. Es sei die „wahrscheinlich schlechteste Unterrichtung gewesen (…), die ich in den neun Jahren, die ich im Senat der Vereinigten Staaten diene, erlebt habe“, sagte er. Der demokratische Senator Sherrod Brown zog sogar Parallelen zum Irakkrieg 2003, in dessen Vorfeld die US-Regierung zur Rechtfertigung des Krieges Falschinformationen vorgelegt hatte. Noch am Donnerstag wollten die Demokraten im Repräsentantenhaus in einer Resolution dafür stimmen, die Macht des Präsidenten in militärischen Entscheidungen im Falle Irans einzuschränken.

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26 Kommentare

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  • Möchte mal feststellen, die USA wissen schon seit der Zeit vor 2015, dass der Iran Uran, was für ein geniales Wortspiel, in geheimen Laboren anreicherte! Dieses ganze Atomabkommen war und ist eine Farce. Es gibt darüber einen sehr guten Artikel in der Welt, leider nur bei Weltplus! Aber das Abkommen war und ist nicht einen Pfifferling wert!

  • Die Kriegsministerin "kämpft" fürs Abkommen, während alle anderen deeskalieren. Zum Glück nimmt niemand auf dem internationalen Parkett die Saarländische Ministerpräsidentin ernst.

  • Die ganzen Mutmaßungen helfen nicht. Es muss konkret aufgeklärt werden. Der Absturz hat ja aus eine Höhe von 2400 m stattgefunden. Da sind Flugzeuge noch gut erkennbar, und werden auch von der Flugsicherung genau verfolgt. Das Flugzeug hatte viele Iraner an bord (Weihnachtsurlauber), und man muß sich den Iran auch nicht vorstellen, wie Syrien oder Irak, wo die Regierung nur verminderte Kotrollmöglichkeiten hat. Der iranische Angriff war auch schon mehrere Stunden her. Also auf Aufklärung warten.

    • @Martin_25:

      "Also auf Aufklärung warten."

      Unter Anderem wegen der ganz hervorragenden Kontrolle des iranischen Regimes über sein Land ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass es die in verlässlicher Form geben wird. Da sollte man ehrlich sein und verhindern, dass der Iran die Frage unter den Tisch kehrt.

      Einstweilen ist es nicht unwahrscheinlich, dass die Maschine ein Opfer der Nervosität war, die sicherlich im Anschluss an die Raketenangriffe in der iranischen Luftverteidigung herrschte. Es sähe Trump durchaus ähnlich, nach so einer Attacke demonstrieren zu wollen, dass die USA nochmal deutlich schneller zurückschießen können als die Iraner.

      Wir sind auch nicht mehr im WK2, wo Flugzeuge auf Sicht bekämpft wurden. Heute sitzt da jemand an einem Radarschirm und sieht Punkte, die eine Höhenangabe und - wenn alles funktioniert - einen identifizierenden Transpondercode tragen. Niemand steht mehr draußen rum und schaut mit dem Feldstecher nach, ob diese Angabe auch stimmt. Ein per Transponder als zivil getarntes Militärflugzeug hätte längst sein Ziel beschossen, bevor so eine Identifizierung in der Feuerleitung ankäme.

      • @Normalo:

        "Unter Anderem wegen der ganz hervorragenden Kontrolle des iranischen Regimes über sein Land ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass es die in verlässlicher Form geben wird."

        Die Iraner haben so ziemlich alle außer dem Papst eingeladen, sich an der Untersuchung zu beteiligen. Das deutet eher nicht, auf ein schlechtes Gewissen.

        Und natürlich kann auch der beste Überwachungsapparat nicht einfach eine Absturzursache fälschen, wenn ihm viele Fachleute auf die Finger schauen. Dazu ist eine solche Fälschung technisch zu schwierig.

  • Passt ironischerweise mit der ansonsten sehr unerklärlichen Art zusammen, auf die offizielle Stellen im Iran gerade Kreide fressen. Riecht sehr nach Betroffenheit und schlechtem Gewissen.

    • 7G
      76530 (Profil gelöscht)
      @Mustardman:

      Die Abt. Kaffesatz und Orakel?

  • Irgendwie seltsam: Wenn Trump, der eben noch dem Iran mit Kriegsverbrechen – Zerstörung von wichtigen Kulturgütern – drohte, im selben Konflikt glaubt, es könne kein tech. Defekt gewesen sein sondern wohl ein versehentlicher Abschuss, glaubt der Nahost-Korrespondent der taz mit ihm. Nein, er glaubt nicht nur, er sieht der Verdacht zunehmend erhärtet. Etwas mehr Quellenkritik wünschte man sich schon...

    • @HRM:

      Die TAZ bezieht sich ja nicht nur auf das Gefühl von Trump. Ist schon merkwürdig genug, dass DT mit seinem Gefühl argumentiert.



      Abgesehen davon, könnte man sich vorstellen, dass das Gefühl dafür spricht das es so war. Der Iran ist so merkwürdig ruhig geblieben.

      • @fly:

        naja, weil er, der iran, sich vielleicht keiner schuld bewusst ist, war... warum sollte der iran ein selbst abgefertigtes flugzeug abschießen... man kann schon davon ausgehen das die luftverteidigungskräfte des iran über bewegeungen im luftraum, durch die zivile behörden, wie dem flughafen, informiert werden...

  • "Die US-Sender CBS und CNN beriefen sich in ihren Berichten auf namentlich nicht genannte Regierungsvertreter. Auch der britische Guardian berichtete am Donnerstagabend von einem versehentlichen Abschuss und berief sich dabei auf britische Regierungskreise."

    Bis jetzt sind es also nur Gerüchte aus den üblichen Küchen.

    Warum sollte der Iran eigentlich in der Schneise seines größten Flughafen rumballern?

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Wäre ja nicht das erste Passagierflugzeug, was aus Versehen abgeschossen wird.

      Wenn Sie James Bond mögen, haben Sie vielleicht Spaß an der Idee, es könnte sich unter den Kanadiern ein Spion befunden haben, dessen Ausreise die iranische Regierung um jeden Preis verhindern wollte.

      • @rero:

        "Wenn Sie James Bond mögen..."

        Nein, weil Lizenz zum Töten. Klingt mir zu sehr nach diversen Staatsmännern...

    • 9G
      97287 (Profil gelöscht)
      @warum_denkt_keiner_nach?:

      Weil er sich von Feinden umgeben sieht.



      Irak, Natomitglied Türkei, Aserbaidschan, Afghanistan, Kurden und jederzeit mit Angriffen rechnen muss, außerdem haben die Amerikaner mit der Geiselnahme der Botschaftsangehörigen auch noch eine Rechnung offen, auch so ein Völkerrecht -bruch. Im ganzen Iran sitzen Nacht für Nacht 1000ende von nervösen Revolutionswächtern, in Erwartung eines Angriff, mit zitternden Fingern am Abzug. Es gibt kein Zögern mehr, und auch kein Nachdenken.

      • @97287 (Profil gelöscht):

        Es herrschte normaler Flugbetrieb.

    • 0G
      06313 (Profil gelöscht)
      @warum_denkt_keiner_nach?:

      Es soll eine versehentlich abgeschossene Flugabwehrrakete gewesen sein.

      • @06313 (Profil gelöscht):

        Auf was schießt man versehentlich in der Nähe des größten Flughafens des Landes?

        • 0G
          06313 (Profil gelöscht)
          @warum_denkt_keiner_nach?:

          Bitte denken Sie nach, wie Flugabwehr funktionieren könnte....

          • @06313 (Profil gelöscht):

            Jedenfalls nicht durch sinnloses rumballern.

            Die Maschine war dabei, nach dem Start Höhe zu gewinnen. Das sieht jeder Dummi, wenn er auf den Schirm schaut.

            PS: Ich weiß, wie so etwas funktioniert.

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          Genau das sollten int. Experten jetzt herausfinden. Blackbox, Voice recorder und Trümmer dürften schnell Aufschluss geben, was passiert ist.

          Bisher finde ich alle Reaktionen rel. besonnen. Wollten die USA den Absturz/ Abschuss als Grund für neue Aktionen nutzen hätten sie längst etwas machen können.

        • @warum_denkt_keiner_nach?:

          garantiert auf gemeldete zivile flugzeuge, die wenige minuten zuvor, von eben diesem flughafen, gestartet sind und iranische staatsbürger an bord hatten... das die 777 ein mangelhaftes konzept als flugzeug ist, seit 1995 acht totalverluste, hauptsächlich brände im inneren der flugzeuge, kann ja nicht sein...

    • @warum_denkt_keiner_nach?:

      Plausibel wäre allenfalls, dass eine der auf den Irak abgefeuerten Raketen mit der Maschine kollidiert ist. Die Wahrscheinlichkeit hierfür dürfte ziemlich gering sein.

      • @El-ahrairah:

        Die Maschine stürzte einige Zeit nach der Iranischen Attacke ab.

      • @El-ahrairah:

        wahrscheinlich hatte die rakete sich dann auch noch verspätet...

      • @El-ahrairah:

        Da liegen aber, je nach Presseerzeugnis, 3 oder 5 Stunden dazwischen. Die Rakete müsste unverrichteter Ding wieder heimgeflogen sein.



        Noch unwahrscheinlicher.