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Iranische ProtesteGott wird zur Privatsache

Gastkommentar von Saba Farzan

Die iranische Protestbewegung wird Hand in Hand mit den Exiliranern die Revolution vollbringen. Friedlich auf dem Weg in ein weltliches, freies Land.

Rund 80.000 DemonstrantInnen solidarisierten sich in Berlin mit dem Freiheitskampf im Iran Foto: Jens Gyarmaty

N ach sechs Wochen der iranischen Protestbewegung, die sichtbar stärker wird, stellt sich die Frage, was nach der Islamischen Republik kommen könnte. Die Antwort darauf liefert auch Gründe, warum diese nach Freiheit strebende Zivilgesellschaft politisch entschieden unterstützt werden muss. Dieser Text entwirft ein mögliches Szenario innerhalb des Iran am Tag nachdem Ali Chamenei in Handschellen abgeführt wird und sich die Türen des Foltergefängnisses Evin öffnen und sämtliche politische Gefangene entlassen werden.

Auch das Freiluftgefängnis Iran endet dann. In der Politik gibt es einen lustigen Satz: Wenn du nicht mehr weiterweißt, dann gründe einen Arbeitskreis. In einem iranischen Kontext gestaltet sich das umgekehrt: Gerade, weil die Iraner weiterwissen, gründen sie einen Arbeitskreis. Ein Baustein, dem dann ein Referendum zur Staatsform, eine neue demokratische Verfassung und freie Wahlen folgen.

Eine Regierung für den Übergang, deren Legitimation darin gefestigt ist, dass sie sich aus den aufgeklärtesten Köpfen zusammensetzt, die alles riskieren oder jetzt in den Gefängnismauern um ihr Leben kämpfen. Hossein Ronaghi, der als Blogger und Bürgerrechtler unerschrocken über die Freiheit im Iran für das Wall Street Journal geschrieben hat, wird Teil einer Übergangsregierung sein.

Nasrin Sotoudeh, die als mutige Juristin immer wieder Menschenrechtler verteidigt hat, irgendwann selbst zum Ziel des Regimes wurde und die aus dem Gefängnis einen Brief an ihren Sohn schrieb, dass er sich nicht um seine Mutter sorgen muss, sondern vielmehr die Schergen dieser Diktatur bemitleiden sollte. Diese prominenten Stimmen und ihre Empathie zeigen gemeinsam mit der Friedfertigkeit dieser gesamten Bewegung, wie wenig Chaos nach dem Sturz des Regimes zu erwarten ist.

Saba Farzan

ist Deutsch­iranerin. Sie hat an der Universität Bayreuth Theaterwissenschaften, Amerikanische Literaturwissenschaft und Soziologie studiert – mit Forschungs­aufenthalten in New York und der Musikbibliothek von Yale.

Komplett säkulare Gesellschaft

Zu nennen sind hier auch ganz pragmatische Gründe, die mit dem sozialen Gefüge der iranischen Gesellschaft zu tun haben. In vier Dekaden Diktatur hat der Islamismus keine Freunde gefunden in diesem Land, das durch und durch säkular geworden ist im Widerstand zum Klerikalfaschismus. Der hohe Alphabetisierungs- und der hohe akademische Bildungsgrad der Iraner spielen eine Rolle.

Dieses Streben nach Wissen hat die gegenwärtige Revolution unumgänglich gemacht. Die Iraner greifen nach Selbstbestimmung. Auch weil der Islamismus im Iran niemals ankam und weil die Iraner die Geschichte ihrer eigenen alten Zivilisation gut kennen, gibt es eine unverrückbare iranische nationale Identität, die auch ethnische und religiöse Minderheiten einschließt. Dazu gehört, dass der Iran über eine seit Tausenden von Jahren existierende Landesgrenze verfügt. Wie viele Länder können das von sich sagen?

Um diese Landesgrenzen zu bewahren, um allen ethnischen und religiösen Minderheiten ihre unveräußerlichen Bürgerrechte zu ermöglichen, muss diese Islamische Republik Geschichte werden. Gott wird in einem freien Iran zur Privatsache. Die weiteren friedlichen Befreiungsschläge zielen darauf ab, mit sämtlichen ideologischen Säulen – Antiamerikanismus, Antizionismus, Geschlechter-Apartheid – und einer unterdrückten Ökonomie zu brechen.

Welche Rolle wird nun die iranische Diaspora in dieser Transition spielen? Kaveh Shahrooz, iranisch-kanadischer Rechtsanwalt und Experte für Außenpolitik, macht darauf aufmerksam, wie erfolgreich und demokratisch integriert Exiliraner in ihren jeweiligen Ländern sind. Jetzt kommt ihnen eine besondere Verantwortung in der freien Welt zu, ihren Landsleuten im Iran den Rücken zu stärken und größten politischen Druck auf das Regime zu fordern.

Wichtige Rolle für die Iraner in der Diaspora

Nicht von ungefähr kamen aus zahlreichen europäischen Städten Iraner zu der großen Demonstration am Wochenende in Berlin gereist. Es zeugt aber auch von großer Demut, wenn Shahrooz, Absolvent der juristischen Fakultät von Harvard, sich selbst nur als Tourist im Iran sieht. Die Wahrheit liegt irgendwo im Mittelfeld: Ja, vor allem die Iraner im Land, die diese Hölle durchlebt haben und noch durchleben, werden die Richtung vorgeben, aber Iraner aus der Diaspora werden ihnen beratend zur Seite stehen – gemeinsam im Dienst eines säkularen und freien Iran.

Reza Pahlavi, der Sohn des letzten Schahs, könnte hier eine wichtige Rolle spielen. Die Menschen auf den Straßen des Iran rufen lautstark seit Jahren nach ihm, eben weil sie Zusammenhalt und eine heilende Wirkung wollen. Die Revolutionsgarden werden entwaffnet und eine Art Entnazifizierung durchlaufen müssen – wer könnte das besser als eine Übergangskoalition, die sich auf die undogmatische Entfaltung des Iran konzentriert?

Strafrechtliche Aufarbeitung der Menschenrechtsverbrechen ohne Rache ist hier das Ziel. All diese politischen Elemente der iranischen Freiheit sind laut und deutlich in den Protestslogans zu hören. Es sind zukünftige Parteiprogramme, die hier skandiert werden. Sanktionen und diplomatische Isolation sind nötig, damit die Iraner sich schneller selbst befreien können. Nach dem Mittelalter des politischen Islam folgen weder Chaos noch eine Militärdiktatur, sondern friedliche Entwicklungen.

Die Iraner wollen die rückständige islamische Revolution von 1979 beenden und die bürgerliche konstitutionelle Revolution von 1906 vollenden. Wer das nicht sehen will, betreibt die Propaganda eines Regimes, das von Anfang an moralisch bankrott war. Wer glaubt, dass die iranische Zivilgesellschaft ein Atomprogramm befürwortet, das immense finanzielle und politische Kosten für das Land verursacht hat, der will diesen Sicherheitskonflikt einfach nicht beendet sehen.

Wenn die Iraner es geschafft haben, ihre Angst gegenüber einem menschenverachtenden Regime in einer ­Unwiderrufbarkeit abzulegen, dann kann und muss endlich auch Europa seine paranoide Angst vor dem ersten Tag der iranischen Freiheit ablegen.

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12 Kommentare

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  • "Reza Pahlavi, der Sohn des letzten Schahs, könnte hier eine wichtige Rolle spielen. Die Menschen auf den Straßen des Iran rufen lautstark seit Jahren nach ihm, eben weil sie Zusammenhalt und eine heilende Wirkung wollen."

    Daran ist so viel falsch, dass man nicht weiß, wo man anfangen soll. Das gegenwärtige Regime muss weg, aber dies mit einer Reminiszenz an und Hoffnung auf die Pahlavi-Familie zu verbinden, zeugt mindestens von historischer Unkenntnis. Angesichts der zahlreichen Verbrechen, die die Monarchie auf dem Gewissen hat (und von denen viele weder gesühnt noch aufgearbeitet wurden) und angesichts des Raubbaus, den auch das Vorgängerregime am Iran betrieben hat, ist das eine niederschmetternde Ignoranz.

    • @E.S.:

      Kommentar auf Wunsch des Nutzers entfernt. Die Moderation

  • Guter Artikel mit Weitsicht.

    Vor allem dürfte es für die Iraner*innen auch interessant sein, sich ihre Wirtschaft und ihr Geld zurückzuholen, welche sich das Mullah-Regime unter den Nagel gerissen hat.

    Was ist das eigentliche Problem der iranischen Wirtschaft?



    Das Volk wird ausgebeutet bis zum Abwinken. Das System ist gleichzeitig korrupt bis zur tiefsten Verzweiflung.



    Das System existiert in seinen Grundlagen etwa seit 1979, aufgebaut von einem der größten Demagogen des letzten Jahrhunderts, Khomeini.



    Wirtschaftliche Systemanalysen existieren seit einer Reihe von Jahren:

    2008 "Die Mullah AG"



    www.handelsblatt.c...e-4/2949070-4.html

    2018



    www.handelsblatt.c...-nie/23970116.html

    Interessant auch ein Artikel des Schweizer Tagesanzeigers von 2018, der vermehrt auf die von den Mullahs verschuldete Wasserknappheit im Iran eingeht.



    Grund für den Wasserraubbau sind der Bevölkerungsanstieg (von 18 Millionen in 1950 auf 84 Millionen in 2020) und eine Landwirtschaft, die auf Wasserfresser wie Reis und Pistazien setzt. Hinzu kommen viel zu viele Staudämme zur Energiegewinnung: Gab es im Iran vor der Revolution 18 Sperren, sind es heute 647.



    "Wenn das Volk hungert"



    www.tagesanzeiger....ngert-576975527321

  • Bernhard Schulz , Autor*in ,

    "Dieser Text entwirft ein mögliches Szenario innerhalb des Iran am Tag nachdem Ali Chamenei in Handschellen abgeführt wird "



    Leider ist es bis zu diesem Tag noch sehr, sehr weit...aber träumen darf schließlich jede/r.

  • Religion als Privatsache hätte ich auch endlich mal gerne in Deutschland.



    Dann würde endlich die staatliche finanzielle Unterstützung für Religionsgemeinschaften entfallen und man dürfte auch an Tagen tanzen und feiern an denen imaginäre Personen gehuldigt wird ohne mit staatlichen Repressionen rechnen zu müssen.

  • "Europa seine paranoide Angst vor dem ersten Tag der iranischen Freiheit ablegen."



    Die Angst bezieht sich wohl weniger auf einen freien Iran, als vielmehr darauf, dass das Nuklearprogramm des Regimes zum 'Erfolg' führt weil das unweigerlich zum Krieg führen würde und zwar einem der sowohl ein weitaus größeres Potential zur nuklearen Eskalation hätte als es in der Ukraine der Fall ist, als auch das sich in der Region zum Flächenbrand auszuweiten. Dass sich Europa angesichts eines solchen Szenarios mit Unterstützung für die Proteste eher zurückhält umd die ohnehin recht mauen Möglichkeiten auf das Regime einwirken zu können nicht noch weiter zu schmälern kann man berechtigt kritisieren, erklärbar ist es aber allemal. Vor Allem dann wenn man die gegenwärtigen Proteste in den Kontext vorheriger stellt; im Iran selbst, aber auch denen gegen Assad in Syrien oder anderen des Arabischen Frühlings, der, mit Ausnahme Tunesiens, selbst dort wo er wie in Ägypten, Libyen oder dem Jemen zu einem Regierungswechsel führte letztlich gescheitert ist.

    • @Ingo Bernable:

      Deswegen hätte es diese Verhandlungen über das iranische Atomprogramm zumindest so nicht geben dürfen.

      Es hatte dem Iran unmissverständlich klar gemacht werden müssen, dass er nie auch nur in die Nähe von Atomwaffen kommen wird.

      Jetzt ist die Situation so, dass Israel gegebenfalls verhindern wird, dass der Iran Atomwaffen herstellen kann.

  • "Reza Pahlavi, der Sohn des letzten Schahs, könnte hier eine wichtige Rolle spielen."

    Ich hoffe sehr, daß der Iran sich zu einer demokratischen Republik entwickelt. Ohne Mullah-Macht und ohne Monarchie.

  • Ihr Optimismus in Ehren und hoffentlich liege ich total daneben, doch Afghanistan hat mir gezeigt, dass "Gottesstaaten" nicht so einfach von ihrem Regime befreibar sind.

    • @Rudi Hamm:

      @RUDI HAMM



      Tatsächlich liegen Sie mit ihrer Einschätzung daneben. Auch wenn Iran und Afghanistan Nachbar sind, sind die soziale und kulturelle Strukturen nicht miteinander vergleichbar. Die Haltung der iranische Zivilgesellschaft zum Thema Religion ist (mittlerweile) ziemliche Gegenteil zu Afghanistan. Während im Iran die Menschen sich eindeutig von politischer Religion befreien möchte und bereit sind hierfür einen hohen Preis zu zahlen, sind leider die religiöse Strukturen in der afghanischen Gesellschaft fest verankert.

      • @ghost dog:

        Nur bei den Männern.

        In einer Gesellschaft, in der Männer alles, Frauen nichts sind, wird Afghanistan leider noch lange brauchen.

        Zumal jegliche Bildung für Frauen nahezu verboten ist.

        • @shantivanille:

          @shantivanille:



          Ich bin der Meinung, dass solche Werte nicht nach Geschlechtern zu trennen sind. Die Unterdrückung der Frauen und nicht vorhandene (sogar relative) Gleichberechtigung in einer Gesellschaft kann nur langfristig existieren, wenn die Frauen diese unmoralischen Umstände akzeptieren bzw. sich damit abfinden. Für solche unrechtmäßigen Strukturen einer Gesellschaft, die großenteils mit religiösen Ideologien zusammenhängen, ist die gesamte Gesellschaft verantwortlich.



          Glauben Sie mir, so eine feministische Freiheitsbewegung im Iran ist nur möglich, weil auch die Männer diesen Schritt mitgehen.