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Irak nach dem Tod von SoleimaniAngst vor dem Bürgerkrieg

Seit Wochen demonstrieren Menschen im Irak gegen die Regierung. Der Tod des iranischen Generals Qasim Soleimani lässt sie jubeln – und fürchten.

Regierungskritische Demonstranten in Bagdad: „Warum mussten sie ihn hier umbringen?“ Foto: Khalid Mohammed/ap

Bern taz | „Wir stehen unter Schock“, sagt Ahmed al-Darajji am Telefon. Es ist Sonntagmittag, al-Darajji ist auf dem Rückweg nach Bagdad. Eben war er noch im Süden des Irak, wo es zur gleichen Zeit zu Zusammenstößen zwischen Anhängern des getöteten iranischen Generals Qasim Soleimani und Demonstranten kam, die seit Wochen auf dem zentralen Platz von Nasirija campieren. Nachdem die Demonstranten Soleimanis Anhänger nicht auf den Platz lassen wollten, hätten diese angefangen, auf die Protestierenden zu schießen, sagt al-Darajji.

Seit die USA Soleimani in der Nähe des Flughafens Bagdad umbrachten, seien die Iraker wie paralysiert, sagt al-Darajji. Viele hätten Angst, dass ihnen ein neuer Krieg droht. Ahmed al-Darajji gehört zu jenen Leuten, die seit Oktober gegen die aktuelle Regierung demonstrieren.

Für sie ist klar, dass nicht nur die irakische Regierung mit allen Mitteln versucht, die Protestbewegung niederzuschlagen. Auch das iranische Regime sieht in ihr eine Gefahr für seinen Einfluss im Nachbarland. Über Soleimanis Tod sei er zwar glücklich, sagt al-Darajji. Schließlich sehen viele hier in ihm den Hauptverantwortlichen für Irans Einfluss im Irak: „Aber warum mussten sie ihn hier umbringen? Wir wollen keinen neuen Krieg.“

An ihren Forderungen wollen die Demonstranten trotz allem festhalten: Neuwahlen und einen Premierminister, der unabhängig ist von den derzeit herrschenden Parteien.

Die Bewegung kann zwischen die Fronten geraten

Gleichzeitig machen sich die Folgen der Tötung Soleimanis bereits bemerkbar. „Die Drohungen der Milizen gegen uns haben massiv zugenommen“, sagt Bassam al-Rubaie, der seit Wochen fast jeden Tag auf dem Tahrir-Platz in Bagdad demonstriert. „Manche Leute erhalten fünf Anrufe pro Tag mit Todesdrohungen.“ Dies bestätigt auch al-Darajji. „Die Gefahr besteht, dass die proiranischen Kräfte im Irak uns jetzt als Allianz der Amerikaner sehen. Wir werden umso mehr zum Ziel von Angriffen werden.“

Dabei hatte die Protestbewegung, die trotz massiver Repression mehrheitlich friedlich blieb, stets ihre Unabhängigkeit von jeglichen ausländischen Kräften betont. Doch mit der Tötung Soleimanis steigt die Gefahr, dass sich der Iran und seine Allianzen im Irak und die USA auf irakischem Boden mit gezielten Angriffen bekämpfen – und die Protestbewegung zwischen die Fronten gerät.

Am Sonntag hat das irakische Parlament die Regierung in einer nicht bindenden Resolution aufgefordert, die Präsenz ausländischer Truppen im Irak zu beenden.

Derzeit warten alle ab, was passiert. Doch selbst wenn viele Aktivisten froh sind, dass Soleimani tot ist – sie wissen, dass seine Tötung durch die USA für ihren Kampf kaum Gutes bringen wird. „Die Anspannung vor allem im Süden ist sehr hoch“, sagt al-Darajji. Fast jeder Haushalt besitze Waffen. Je mehr Menschen durch die Milizen umgebracht würden, desto höher das Risiko, dass Anhänger der Protestbewegung sich mit Waffen zur Wehr setzen.

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7 Kommentare

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  • Zumindest wird der Punkt angesprochen, dass es hier weniger um Irak versus Iran geht. Letztendlich ist ein wesentlicher Treiber der Konflikt Schiiten versus Sunniten und das kann den Staat Irak letztendlich zerstören. In anderen Worten stehen erste Verlierer bereits heute fest: irakische Sunniten oder irakische Schiiten.



    Der Abzug ausländischer Truppen würde hier beschleunigt wirken...einfache Lösungen sind Mangelware

  • natürlich denkt man gleich an die präsenz amerikanischer truppen im land. daß die lage völlig eskaliert, wenn sie komplett abgezogen werden. ein kontingent sollte im irak verbleiben, die usa haben in diesem land genug angerichtet.

  • Hauptsache die Grünen sorgen dafür, daß zum Beispiel aus Bremen eine Friedensstadt wird. Noch ist Bremen pro Kopf der Bevölkerung das Bundesland mit dem höchsten Rüstungsexport, ca. 7,5% der deutschen Rüstungsindustrie sitzen in Bremen. Damit ist Bremen in Rüstungsgeschäfte von allen Bundesländern am stärksten involviert. Die Grünen haben sich damals gegen Panzerlieferungen an die Türkei gestellt, da diese gegen die PKK hätten eingesetzt werden können. Braucht Bremen eine Rolle als Waffenlieferant?



    Stehen jetzt Konflikte an, sollte sich Deutschland wie die Schweiz verhalten und völlig neutral sein. Wer an eine Seite liefert, ergreift Partei. Die Bundeswehr kann die für die Landesverteidigung nötigen Waffen günstiger auf dem Weltmarkt einkaufen



    Südkorea hat eine andere Landesverteidigung nötig und produziert günstige Waffen, genau wie China, Russland und die Türkei. Wir kommen garantiert mit dem halben Budget aus und brauchen keine eigene Fertigung. Die Schweizer kaufen Saab Viggen Flugzeuge sehr günstig in Schweden. Um den Harz zu verteidigen reicht das Modell hier auch aus und ist wesentlich günstiger als der Jäger F-90. Deutschland ist heute ein Land mit rückläufiger Wirtschaft, auch die Briten sparen fleissig. Wir brauchen keine Armee, die größer ist als die polnische.

  • 9G
    90118 (Profil gelöscht)

    müssen wir menschen, die gegen die irakische regierung demonstrieren, jetzt die daumen drücken - weil sie vielleicht die feinde unserer feinde sein sollen, oder sind sie die nächste al-qaida oder daesh?



    für uns ist nichts genaues zu erfahren, ausser, dass "die irakische Regierung mit allen Mitteln versucht, die Protestbewegung niederzuschlagen". sie scheint wohl nicht über allzu viele mittel zu verfügen, wenn immer noch besenschwingende was-auch-immer gegen sie demonstrieren.



    oder ist der text etwas vorschnell entstanden?

    • @90118 (Profil gelöscht):

      Die Proteste im Irak gibt es seit Monaten. Wie sie politisch zu verrotten sind, ist ähnlich lange international bekannt. Man kann der Taz nun wirklich nicht vorwerfen, dass Sie sich in den letzten Monaten wohl weniger mit Politik beschäftigt haben.

    • @90118 (Profil gelöscht):

      Man kann von einem Leser durchaus erwarten, dass er/sie allgemein über das jüngere Zeitgeschehen informiert ist. Die jungen Leute im Irak gehen nicht erst seit heute auf die Straße. Die groben Motive und Ziele wurden genennt, wenn Sie dazu weitere Informationen benötigen, sollten Sie durchaus auch in der Lage sein eigenständig google und co zu bemühen.

  • "Derzeit warten alle ab, was passiert."

    Das ist sehr gut.

    "Doch selbst wenn viele Aktivisten froh sind, dass Soleimani tot ist – sie wissen, dass seine Tötung durch die USA für ihren Kampf kaum Gutes bringen wird."

    Wie gesagt: abwarten!

    Liebe Iraker. Es bringt im Augenblick überhaupt nichts sich pro oder contra Iran zu positionieren und darüber vielleicht gar auf die eigenen Landsleute loszugehen.

    Denn hier der Punkt: bei allen was Soleimani auch war, Massenmörder, Topterrorist und, neuerdings, Sympathieträger von so manchen wohlstandsverwahrlosten "Wessi", er war auch folgendes: innerhalb des iranischen Regimes zu mächtig.

    D.h., daß es innerhalb des Regimes auch die Kräfte gibt, die insgeheim zufrieden mit Soleimanis Tod sind. Gut möglich, daß sich daraus ein inneniranischer Konflikt entwickelt, der das ohnehin unter Druck stehende Regime hinwegfegt. Wenn das passieren sollte, dann gibt es auch keinen iranischen Einfluss auf den Irak mehr und viele eurer Probleme hätten sich von allein gelöst.