Investigatives Startup ist gescheitert: Das bittere Ende
Das digitale Investigativ-Portal „The Markup“ sollte den Journalismus der Zukunft machen. Jetzt haben sich die Gründer*innen zerstritten.
Es begann mit einem vielversprechenden Geschäftsmodell, mit viel Geld und Glückwünschen: das digitale Investigativ-Portal The Markup in den USA. Über 20 Millionen Startkapital, eine prominente Journalistin an der Spitze – und eine großen Aufgabe. Kontrollinstanz von Facebook wollte man sein, warb das Start-up im vergangenen Herbst. Nun ist das Projekt in einem Desaster zusammengebrochen. Die Gründer*innen: zerstritten. Die Redaktion: praktisch aufgelöst. Die gute Idee: gescheitert am Konflikt zwischen Journalismus und Wirtschaftlichkeit.
Von The Markup war zuerst im September zu hören. Die Journalistin Julia Angwin, berühmt über die Non-Profit-Redaktion ProPublica, versprach eine Plattform für Datenrecherche rund um Internetriesen wie Facebook und Google. Denn wenn die ihre Algorithmen als Geschäftsgeheimnisse hüten, so die Idee, dann müsse The Markup die Algorithmen eben nachrecherchieren. Durch softwaregestützte Recherche wollte Angwin herausfinden, wie Big Data Diskurs, Konsum und Politik beeinflusst. Schon bei ProPublica hatte sie ähnliche Analysen vorgelegt.
Geschäftsführerin von The Markup wurde Sue Gardner. Als ehemalige Geschäftsführerin der Wikimedia-Foundation brachte sie die nötige Erfahrung im digitalen Non-Profit-Business. Geld kam in Höhe von 23 Millionen Dollar von der Stiftung des Plattform-Milliardärs Craig Newmark, Gründer der Kleinanzeigenseite Craigslist.
Julia Angwin wurde das Gesicht des Projekts, erklärte in Interviews ihre Ansprüche, auch der taz. Sie wolle die Daten liefern, die zur Grundlage für informierte Politikentscheidungen nötig seien. Selbst politisch Position beziehen wolle sie nicht. „Ob Facebook mehr Regulierung braucht oder nicht, das wollen wir nicht sagen“, sagte Angwin. „Aber denjenigen, die diese Fragen zu klären haben, wollen wir die nötigen Daten beschaffen.“
Politische Haltung oder Neutralität
Offenbar teilten die anderen Gründer*innen diesen radikal neutralen, sachlichen Anspruch nicht. Ende April wurde bekannt, dass sich Angwin mit Gardner und dem dritten Gründer, Jeff Larson, zerstritten haben. Und zwar über die Frage, wie viel politische Haltung The Markup zeigen sollte. Das sagt zumindest Angwin. Der New York Times schrieb sie, Gardner habe die Mission des Mediums ändern wollen, in Richtung „klare Stellungnahme gegen Technologiekonzerne“. Sie aber, so Angwin, stehe für „relevanten Datenjournalismus“.
Gardner und Larson widersprechen dem. Larson schreibt in einem Blogeintrag, dass er Julia Angwin einfach nicht mehr für eine geeignete Chefredakteurin halte. Gardner sagt der New York Times, es gehe nicht um die Frage nach Fakten oder Meinung, sie habe die Mission von The Markup nicht ändern wollen. Allerdings kommt wenig später heraus, dass Gardner in einem internen Dokument neue Bewerber*innen nach politischer Einstellung eingeordnet hat. Das klingt schon danach, als hätte sich Gardner mehr Meinung gewünscht.
Verständlich wäre es. Am erfolgreichsten waren in den USA zuletzt Medien, die für eine bestimmte Haltung bekannt sind. Die New York Times verzeichnet Abozuwächse, seit sie als Anti-Trump-Medium verstanden wird (was die Zeitung bestreitet, aber nicht besonders vehement). Auch die liberale NGO American Civil Liberties Union erhält mehr Spenden, seit Trump Präsident ist – und leistet sich davon eigene Investigativreporter.
Investigation ist teuer. Und Gardners Aufgabe als Geschäftsführerin ist, dafür stabile Spendeneinnahmen sicherzustellen. Es wäre nicht verwunderlich, wenn sie dafür auf The Markup als eine klare politische Stimme gesetzt hat. Wenn dem ein streng faktenorientierter Anspruch wie der von Julia Angwin gegenübersteht, muss es zum Konflikt kommen.
Gescheiterte Hoffnungen für die Branche
Für The Markup ist der Streit eine Katastrophe. Angwin ist weg, fünf von sieben Redakteur*innen sind ihr aus Solidarität gefolgt. Um die 25 hätten es mal sein sollen. Das Start-up hängt im Vakuum, ohne Angwin, ohne Redaktion und ohne Inhalte. Weder Gardner noch Larson noch Financier Craig Newman äußern sich derzeit darüber, wie es weitergehen soll.
Aber das Drama ist auch eins für die Branche. Denn die schwierigste Frage, wenn es um den digitalen Journalismus der Zukunft geht, lautet: Welches Geschäftsmodell ermöglicht extrem kosten- und zeitaufwändige Recherchen? The Markup hat Hoffnungen auf eine Antwort geweckt – und ist gescheitert.
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