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Interview mit taz-Layouter Uli Küsters„Die Zwischenmenschlichkeit wird beschnitten“

taz-Urgestein Uli Küsters im Gespräch über die wilde Vergangenheit, sinnentleertes KI-Layout – und warum die taz wieder linksradikaler werden sollte.

Radikal jung: Uli Küsters (vorne) in der taz-Redaktion in der Wattstraße Foto: taz
Andreas Hergeth

Interview von

Andreas Hergeth

taz: Uli, wir sind seit elf Jahren Kollegen und haben schon oft für die Berliner Lokalseiten zusammengearbeitet. Du arbeitest im Layout, bist in deinem 70. Jahr und immer noch bei der taz. Wie lange schon?

Uli Küsters: Seit dem 1. Dezember 1978. Also nicht von Anfang an, die erste Ausgabe der taz kam ja am 22. September 1978 heraus. Die taz hatte sich nach dem Tunix-Kongress in West-Berlin als selbstverwaltetes Projekt gegründet.

taz: Man könnte also sagen, dass du einer der ersten tazler bist.

Uli Küsters: Ja. Aber eben nicht die Nummer eins. Die ersten zwei oder drei Nullnummern wurden noch in Frankfurt am Main produziert. Damals ging es darum, ob Frankfurt oder Berlin der Standort der taz sein sollte. Ich bin damals davon ausgegangen, dass die taz nach Berlin geht, weil die Berlinzulagen, also Subventionen, gelockt haben. So kam es ja auch. Mit der dritten Nullnummer ging es in der Wattstraße im Wedding los.

Bild: Elke Seeger
Im Interview: Uli Küsters

Uli (eigentlich Ulrich) Küsters, 70, wuchs im niederrheinischen Neuss als Sohn einer Arbeiterfamilie auf. Nach dem Abitur Studium der Philosophie und Vergleichenden Religionswissenschaften in Bonn. Für die taz – und um der Bundeswehr zu entgehen –, zog er im März 1978 nach Westberlin.

taz: Im Wedding lebst du heute noch, die taz aber ist weitergezogen nach Kreuzberg. Wie viele Leute wart ihr damals?

Uli Küsters: Die genaue Anzahl weiß ich nicht mehr, über den Daumen gepeilt allerhöchstens 60.

taz: Heute sind wir viel mehr. Wie habt ihr damals im Layout gearbeitet? Computer gab es bei euch noch nicht.

Uli Küsters: Ich habe in der Technik angefangen, eigentlich durch Zufall und über meinen leider schon verstorbenen Kollegen Georg Schmitz, der in den frühen taz-Jahren Texte mit seinen Säzzer-Bemerkungen geschmückt hat. Georg sagte zu mir: Stell dir vor, die wollen alle in die Redaktion, so kriegen wir doch keine Zeitung rausgebracht. Wir brauchen Leute in der Technik. Georg war mir sympathisch, so bin ich in der Technik gelandet und erst später ins Layout gewechselt.

taz: „Technik“ klingt nach Bleisatz oder so.

Uli Küsters: Bleisatz hatten wir am Anfang nicht. Damals war der Fotosatz die technische Revolution. Damit fing, so kann man sagen, die Computerisierung der Zeitungsherstellung an. Und deswegen konnten wir die taz überhaupt produzieren. Hätten wir die Zeitung noch mit Bleisatz herstellen müssen, hätten wir Unmengen von Säzzern gebraucht, die dann vielleicht in der Gewerkschaft gewesen wären – dann wäre die taz wohl nie erschienen. Fotosatz war mal das Modernste, heute würde man sagen: Steinzeit.

taz: Wie ging das genau mit dem Fotosatz?

Uli Küsters: Als wir anfingen, hat man viel mit der Hand gearbeitet und nicht nur eine Computermaus in der Hand gehalten. Die Texte wurden erfasst, auf einer Diskette gespeichert und dann in eine Belichtungsmaschine gelegt. Da war eine rotierende Plastikscheibe mit den verschiedenen Schriftarten und Schriftgrößen drin, das konnte man alles einstellen. Hinten war Fotopapier, da wurde Licht durchgeschossen und dadurch belichtet. Wenn der Artikel fertig war, kam er in eine lichtdichte Box, mit der musste man in die Dunkelkammer. Das Ganze ging durch Entwickler, Fixierer und Wasserbad und wurde getrocknet. Die Bilder wurden in eine riesige Reprokamera gelegt und gerastert, also in Schwarz-weiß-Punkte aufgeteilt.

taz: Und dann?

Uli Küsters: Sowohl die Texte als auch die Fotos auf Papier konnte man von unten wachsen, dann wurde sie ausgeschnitten. Man hatte einen Standbogen so groß wie die Zeitungsseiten, der wurde auf den Leuchttisch gelegt – eine Glasscheibe, von unten mit Neonröhren beleuchtet. Darauf wurde die Seite zusammengeklebt. Davon schaffte man höchstens vier in einer Schicht, mit Geschick und Handwerk. Mit dem Computer schaffe ich, zwölf Seiten zu layouten. Das ist der Unterschied.

taz: Ich kenne von dir ein paar Geschichten von früher. Es gab wilde Partys, während der Arbeit wurden Joints geraucht … war das wirklich so? Heute kaum vorstellbar, wir tazler sind braver geworden.

Uli Küsters: Ja, das war so. Auch die Bullen waren öfter zu Besuch. Die taz war eine linksradikale Zeitung, die sie heute nicht mehr wirklich ist. Und das waren die RAF-Zeiten, da waren der Staat und seine Organe übersensibilisiert. Bei dem kleinsten Mückenschiss ist die Staatsmacht ausgerückt, um zu gucken, ob die taz nicht irgendeine Nachricht von der RAF bekommen hat. Damals, gerade auch nach dem heißen Sommer 1977, gab es ja weitere Anschläge von der RAF. Die hat Bekennerschreiben verschickt, und die taz hat immer eins bekommen.

taz: Lange her, die Zeiten haben sich geändert. Jetzt hat die taz ihre werktägliche Druckausgabe eingestellt. Ein epochaler Wandel. Wie siehst du den Abschied von Print unter der Woche?

Uli Küsters: Es ist halt so. Wie steht man zu einem immer höheren Grad von Technologisierung? Letztendlich läuft es auf Robotisierung und KI hinaus. Dabei fällt einer der Grundpfeiler einer Zeitungsherstellung weg, nämlich das kreative Layout. Das macht jetzt die KI, wir benutzen sogenannte Smart Templates. Wie man eine Seite gestaltet, was von den Textmengen her draufpasst, wie stark Bilder beschnitten werden können, wie viel der Autor bereit ist zu kürzen – alles, was früher im Diskussionsprozess mit dem jeweiligen Redakteur oder Chef vom Dienst stattfand, fällt weg. Man kann sagen, die Zwischenmenschlichkeit, das soziale Miteinander, wird weiter beschnitten. Es gibt weniger Kommunikation. Das verstehe ich als Sinnentleerung.

taz: Du hast auch als Rentner bis zuletzt Schichten im Layout übernommen, bist jetzt auch bei den letzten werktäglichen Printausgaben der taz dabei gewesen. Deine Arbeit als Layouter wird nicht mehr gebraucht. Aber Schicht im Schacht ist nicht. Du arbeitest weiter in der taz.

Uli Küsters: Ich kann es ganz offen sagen: Nach 45 Jahren taz und einer Fünf-Tage-Woche ist die Rente nicht gerade üppig. Also muss ich noch dazuverdienen. Deswegen bin ich noch hier und wechsle jetzt in die Korrektur.

taz: Wenn du der taz etwas für die Zukunft wünschen könntest, was würdest du uns allen mit auf den Weg geben?

Uli Küsters: Dass wir den gesellschaftlichen Diskursraum offenhalten. Dass die taz auch Meinungen, die nicht dem politischen Mainstream entsprechen, bringt und sich dafür interessiert, so wie wir das früher gemacht haben. Meinungen, die sonst kein Gehör oder keinen Druck finden – ich meine jetzt Zeitungsdruck. Weil die gesellschaftlichen Zeiten ja alles andere als einfach sind. Wir stehen vor einem riesigen gesellschaftlichen Umbruch, nicht nur in Deutschland, sondern global. Die Strukturen werden sich verändern. Gesellschaft muss anders organisiert werden. Und wenn da das Soziale, so wie es jetzt aussieht, immer weiter nach hinten kippt, dann müsste die taz ganz im Sinne von Christian Ströbele ticken. Der wünschte sich eine linksradikale Zeitung. Die taz muss sich also wieder auf ihre Wurzeln besinnen.

taz: Heißt?

Uli Küsters: Für mich heißt das, die Systemfrage zu stellen. Ganz knallhart.

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