Interview mit schwarzer Dragqueen: „Als ob ich in den Krieg ziehe“
Im „Tannhäuser“ in Bayreuth spielt Le Gateau Chocolat mit. Ein Gespräch über Repräsentation, das Publikum, „Buh“-Rufe und die Regenbogenflagge.
Le Gateau Chocolat ist die wohl bunteste Figur der diesjährigen Bayreuther Festspiele. Grell geschminkt, in bunten, glitzernden Kostümen steht die britische Dragqueen Le Gateau Chocolat im neuen „Tannhäuser“ von Tobias Kratzer auf der Bühne und verkörpert einen Gegenpart zur Hochkultur. Britta Schultejans hat ihn für die Deutsche Presse-Agentur in seiner Garderobe besucht, als er sich für die zweite Vorstellung schminkte.
dpa: Macht Ihnen das Schminken eigentlich Spaß? Oder ist es ein notwendiges Übel?
Le Gateau Chocolat: In der Zeit, in der man sich auf eine Show vorbereitet, seine Stimme aufwärmt, sich selbst und den Charakter, den man verkörpert, ist das Make-Up für mich zu einem Teil des Rituals geworden. Manchmal macht es Spaß, manchmal ist es einfach der Moment, in dem ich meine Persönlichkeit unter ein Vergrößerungsglas lege und sie übertreibe. Und manchmal fühlt es sich an wie Kriegsbemalung, als ob ich in den Krieg ziehe. Es fühlt sich an wie der Moment, in dem Clark Kent seinen Superman-Anzug anzieht. Dann wird die Schminke eine Extra-Schutzschicht. Das ist nicht bei allen Performances der Fall, aber in unbekannten Szenarios fühlt es sich schon so an, als baue man sich einen Panzer.
Ist das hier in Bayreuth so?
Es ist eine Kombination. Meine Rolle hier ist es ja nicht nur, den alternativen Lebensentwurf für Tannhäuser zu verkörpern mit Genusssucht, Freude und Vergnügen. Meine Rolle ist es auch, eine Realität zu präsentieren, die für eine sehr lange Zeit nicht Teil dieses Hauses war. Weil viele Leute sich darauf nicht einlassen, wird sogar im Jahr 2019 etwas noch als Provokation wahrgenommen, das wirklich keine sein sollte. Es geht ja nur darum, zu sagen: „Mich gibt es auch.“ Aber „Mich gibt es auch“ ist für viele Menschen ein Schlag ins Gesicht. Das ist eine wirklich merkwürdige Sache.
So haben Sie das hier erlebt?
will seinen eigentlichen Namen ungern in den Medien lesen. Der im britischen Brighton lebende Travestie-Künstler hat in seiner Heimat schon am renommierten Globe Theatre gearbeitet und am National Theatre. Seine Rolle in der „Tannhäuser“-Inszenierung von Regisseur Tobias Kratzer bei den Richard-Wagner-Festspielen in Bayreuth ist seine erste in Deutschland. Nach der Premiere kritisierte er das Publikum, weil er (einige wenige) Buhs abbekommen hatte.
Also, das Haus, die Institution der Festspiele selbst, ist bereit zu sagen: Wir wollen, dass die Oper und Wagner noch 400 Jahre überleben. Wir wollen sie nicht den Rückständigen überlassen und den Annalen der Geschichte. Das spüre ich bei Katharina (Anm.: Festspielleiterin Katharina Wagner). Aber das Publikum hier ist eine völlig andere Sache. Wir sind nicht hier, damit die Leute es bequem haben. Kunst sollte aufregen, hinterfragen, provozieren. Es ist nur manchmal ein bisschen ermüdend, der Katalysator und das Vehikel zu sein, das diese Dinge einfordert.
Wie haben Sie die Reaktionen auf die „Tannhäuser“-Premiere erlebt?
Die überwiegenden Reaktionen waren ermutigend positiv. Aber bei der Premiere hat das Regie-Team neben dem Applaus auch eine Kakofonie an Buhs bekommen und – wenn auch nicht so laut wie bei ihnen – ich auch. Was ich an diesem Szenario interessant finde: Es ist nicht ungewöhnlich, dass das Regie-Team Buhs abbekommt. Wenn es aber mich als Darsteller trifft, ist das vielsagend. Denn ich singe in der Show ja gar nicht. Ich singe in der Pause am Teich, was in der 107-jährigen Geschichte nicht passiert ist – allein das ist auch schon bemerkenswert. Aber in der Show singe ich nicht. Ich kann also gar nicht dem Dirigenten nicht folgen oder die Töne nicht treffen. Ich repräsentiere lediglich eine Alternative, die ihnen nicht so geläufig ist. Meine Frage an sie ist also: Was buht Ihr da konkret aus? Ich habe keinerlei Fähigkeiten zur Schau gestellt außer meinem wirklich vorzüglich dargebotenem High Kick in diesem orangefarbenen Kostüm auf diesen außergewöhnlichen High Heels – was einen Applaus wert ist. Abgesehen davon habe ich nichts dargestellt als einen Lifestyle. Ich habe nur gezeigt, dass es Menschen wie mich gibt. Menschen wie mich, die Eure Ideen von Sexualität und Geschlecht infrage stellen. Oder schwarze Menschen. Ich bin viele Dinge gleichzeitig. Und wenn man dann anfängt, ergründen zu wollen, warum sie buhen – dann ist es nicht schön.
Ist diese Situation neu für Sie?
Ich habe am Globe Theatre in London in der „Was Ihr wollt“-Inszenierung der Visionärin Emma Rice den Feste gespielt. Diese Feindseligkeit ist mir also nicht fremd. Wenn die Wächter denken, die Kunst gehöre ihnen und jede Interpretation müsse sich im Bereich ihrer Vorstellungskraft abspielen und nirgendwo sonst – dann ist das nicht völlig ungewohnt für mich.
Sie hissen auf der Bayreuther Bühne die Regenbogenflagge …
Das ist nur so ein kleiner Moment – aber hier ist das viel. Hier ist das gewaltig, ein gewaltiges Statement – obwohl es 2019 eigentlich kein großes Statement mehr sein sollte.
Wie sind Sie mit den Reaktionen nach der Premiere umgegangen?
Ich bin mit meinem Lebensgefährten nach Berlin gefahren, um mal ein paar Tage wegzukommen von allem. Und – Überraschung: Es war Christopher Street Day. Ich war in meiner Karriere so oft in der Situation, dass ich der einzige … was auch immer war. Wenn man dann die Gelegenheit bekommt, nicht der einzige zu sein, dann bekommt man damit auch die Chance – ich habe leider keine bessere Metapher – sich anzustöpseln und die Batterie aufzuladen. Und so stand ich einen Moment da und wurde etwas emotional.
Werden Sie nächstes Jahr wieder in Bayreuth sein?
Ja, ich nehme es an.
Wollen Sie denn nächstes Jahr wieder hier sein?
Die Antwort auf diese Frage zielt jetzt in die Realität dessen, was ich hier tue. Und die Antwort ist jetzt: Ob ich wiederkommen will, ist eine andere Sache. Ob ich wiederkommen muss: Ja, auf jeden Fall!
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour