Interview mit Schriftsteller Najem Wali: Gabbai wollte nie nach Israel
Ein neues Gesetz in Irak will Kontakte mit Israelis verbieten. Sogar die Todesstrafe droht. Autor Najem Wali reiste dennoch gerade nach Israel.
Ende Mai hat das irakische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das Kontakte zu Israelis unter Strafe stellt. Menschen mit Verbindungen zu Israel können mit lebenslanger Haft oder gar dem Tod bedroht werden. Die taz hat den in Berlin lebenden irakischen Schriftsteller Najem Wali bei einer Lesung in Israel getroffen und befragt.
taz am wochenende: Herr Wali, kurz nachdem das neue Gesetz im Irak das Parlament passiert hat, sitzen wir hier im Norden Israels bei einer Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung zusammen. Sind Sie aus Trotz angereist?
geb. 1956 in Basra, Irak. Bei Ausbruch des Irak-Iran-Kriegs 1980 Flucht in die Bundesrepublik. Studierte in Hamburg und Madrid deutsche und spanische Literatur. „Engel des Südens“ gilt als sein Hauptwerk (Hanser Verlag, 2011). 2021 erschien „Soad und das Militär“ (Secession).
Najem Wali: Es ist die beste Antwort auf dieses Gesetz.
Sie leben überwiegend in Berlin. Müssen Sie jetzt mit negativen Folgen rechnen, wenn sie Ihre alte Heimat besuchen und in den Irak reisen?
Ich muss auf jeden Fall genau überlegen, ob ich den Irak besuche. Ich habe zwar einen deutschen Pass und keinen irakischen mehr, aber die irakische Bevölkerung sieht mich als Iraker. Ich bin als Schriftsteller und Kritiker der Regierungspolitik bekannt und habe dort genügend Feinde. Das Gesetz ist aber noch nicht ganz durch. Es wurde vom Parlament verabschiedet, muss aber noch vom Präsidenten unterzeichnet werden. Gefährlich ist aber die durch das Gesetz losgetretene Hetze auf den Straßen.
Was meinen Sie damit?
Ich hatte auch zuvor oft Angst, in den Irak zu fahren. Jetzt dürfte es noch wesentlich gefährlicher sein. Schon 2019 wurde ich indirekt im Irak als „Mossadagent“ und negativ als „Normalisierer“ bezeichnet. Ich saß auf dieser Reise damals im Café mit Freunden zusammen. Es gab eine Diskussion mit einem anderen, wenig bekannten Dichter. Es gab Streit.
Und dann?
Hinterher beschwerte er sich und schrieb meinen irakischen Freunden: „Ihr sitzt mit einem Israelagenten zusammen.“ Sie haben mir das gezeigt. Ich hatte Glück, weil sie auch kritische Menschen sind. Aber so eine Denunziation kann schnell ernste Folgen haben. Im Irak hat jede Partei ihre eigene Miliz, ihr eigenes Gericht und Gefängnis. Was man aber auch sagen muss: Gerade viele junge Leute machen sich über dieses antiisraelische Gesetz jetzt lustig. Sie posten Witze dazu auf Facebook.
Was bezweckt das Parlament mit dem Gesetz?
Der Irak ist ein Schlachtfeld der Stellvertreterkriege. Die Emirate haben hier ihre Leute, die Katarer, die Türken, Saudi-Arabien, die Amerikaner – und dann sind da die Iraner. Das irakische Gesetz ist Irans Antwort an alle, die wie einige Golfstaaten eine Normalisierung mit Israel wünschen. Iran will dies um jeden Preis verhindern. Im Irak wurde Parlamentspräsident Mohamed al-Halbusi, der an der Seite der Vereinigten Arabischen Staaten steht, vorgeworfen, für eine Normalisierung der Beziehungen mit Israel zu sein. Durch das Gesetz versucht er nun, diese Vorwürfe abzuschütteln. Israel ist immer ein Instrument, um Politik zu machen.
Wofür dient Israel als Instrument?
Schauen Sie, es hat gerade 50 Grad Hitze im Irak. Doch seit 2003 gibt es kein vernünftig funktionierendes Elektrizitätsnetz mehr. Der Strom fällt stundenlang aus und damit auch die Klimaanlagen. Statt für solche Missstände Verantwortung zu übernehmen, stellt man den Kampf gegen einen äußeren angeblichen „Feind“ an erste Stelle. Israel wird dafür immer funktionalisiert, auch von den Ländern, die gerade Normalisierungsabkommen geschlossen haben. Denen geht es weniger um Frieden mit Israel als geopolitisch um die Frontstellung mit Iran. Frieden darf nicht taktisch gemeint sein, er muss auch von Herzen kommen. Sonst klappt es auch nicht wirklich, wie man in Ägypten und Jordanien sehen kann …
Bislang hält der Frieden doch …
Er ist wie ein sehr alter Mensch und kann jeden Tag sterben. Das ist nicht mein Satz, der stammt (hier etwas abgewandelt) von Heinrich Heine. Auf der Straße in Ägypten redet man nicht mit Begeisterung von Israel. Für mich ist Frieden eine Haltung. Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Kultur, Literatur, Wirtschaft, Austausch von Studierenden.
Wie kommt es, dass Sie nach Israel reisen?
2007 wurde ich zu einer Konferenz an die Universität Haifa eingeladen. Ich war neugierig. Länder wie Irak und Ägypten haben eine Geschichte von 7.000 Jahren. Aber sie haben es bis heute nicht geschafft, einen funktionierenden Staat zu errichten. Und dann ist da dieser kleine Staat Israel, wohin Menschen aus aller Welt kommen, und der funktioniert für sie. Für die Juden zumindest. Für die Palästinenser:innen nicht, das gebe ich zu. Aber dieses Thema war nicht mein Anliegen. Ich lebe als Deutschiraker in Deutschland, auch hier sind wir nicht immer Bürger erster Klasse, aber das ist eine andere Geschichte. Über meine damalige Reise habe ich das Buch „Reise in das Herz des Feindes“ geschrieben. Es ist Dawud Gabbai gewidmet. Er war jüdischer Kinderarzt im Irak und hat mir einmal das Leben gerettet. Ich hatte als Kind Petroleum getrunken, weil ich es mit Schnaps verwechselt hatte.
Doktor Gabbai war ein irakischer Jude?
Gabbai wollte nie nach Israel, aber 1969 wurde er von Saddam Husseins Regierung verhaftet, die damals einige der noch im Irak verbliebenen Juden unter dem Vorwurf der Spionage für Israel öffentlich hinrichtete. Danach ist er verschwunden. Ich hatte gehofft, ihn in Israel wiederzusehen. Doch konnte ich nur noch seinen Sohn auffinden. Gabbai war drei Monate vor meiner Reise in London gestorben.
Ihr Buch „Reise in das Herz des Feindes“ wurde bis heute nicht auf Arabisch veröffentlicht.
Nein. Immerhin konnte ich ein paar Auszüge daraus in Zeitungen und Zeitschriften unterbringen, sogar im Irak. Nach meiner Israelreise hatte ich auch Schwierigkeiten, meine folgenden Romane auf Arabisch zu veröffentlichen. Ein Verlag hatte 2008 für meinen Roman „Engel des Südens“ schon zugesagt und sprang dann wieder ab. Stattdessen ist der Roman dann erst einmal in deutscher Übersetzung bei Hanser erschienen. Einige Verlage haben es nach und nach trotzdem gewagt.
Es gibt eine emotional geführte Diskussion über die Frage, ob es 1948 eine von jüdischer Seite geplante Vertreibung von Palästinenser:innen gab. Was sagen Sie dazu?
Ich würde es nicht ausschließen. Aber als Deutschiraker geht es mir mehr darum, auf arabischer Seite Kritik zu üben. Und ich finde, da werden bei den Diskussionen über 1948 wichtige Dinge übersehen. In der Zeit des Kriegs gab es den UNO-Teilungsplan. Die arabischen Länder haben ihn abgelehnt. Alle Regierungen waren damals entweder unter britischem oder französischem Mandat. Die Ablehnung war also keine rein autonome Entscheidung.
Die britische Mandatsregierung im Irak hat arme Soldaten in den Krieg geschickt, mit wenig Munition. Man könnte sagen, sie wurden reingelegt. Diese Kritik an den Mandatsmächten bleibt aber außen vor. Man spricht von den arabischen Regierungen, als wären sie damals unabhängig und frei gewesen. Als hätten dahinter nicht andere Interessen gestanden. Einzig die kommunistischen Parteien und die arabische Linke haben damals den Teilungsplan unterstützt. Die kommunistischen Parteien Palästinas und Jordaniens etwa.
Das taten sie?
Ja, weil die Sowjetunion ihn unterstützte. Deshalb hat man die Kommunisten in den arabischen Ländern als Verräter bezeichnet, als Israelagenten. Bis in die 1980er Jahre war in den meisten kommunistischen arabischen Parteien eine Anerkennung Israels und die Vorstellung von einer Zweistaatenlösung eine Selbstverständlichkeit.
Sie thematisieren auch, wie es den Juden in arabischen Ländern erging.
Als der Krieg um Israel 1948 ausgebrochen ist, waren die Juden im Irak etwa in keiner beneidenswerten Situation. Man hat sie verantwortlich gemacht für das, was in Palästina geschah. Dabei hatten sie nichts damit zu tun. Sie waren Bürger des irakischen Staats. Die meisten mussten danach den Irak verlassen. Wissen Sie, wir – Juden und Araber – können nur Frieden erreichen, wenn Selbstkritik auf beiden Seiten geübt wird. Es hilft nicht, wenn eine Seite ständig das Opfer spielt.
Davon sind wir weit entfernt.
Ich weiß. Aber eine Kritik an Israel muss auch eine an der Hamas und dem Islamischen Dschihad miteinbeziehen. Mein Punkt wäre der: Palästina wird von unseren Machthabern fortwährend instrumentalisiert. Von dem syrischen Diktator Hafez al-Assad, wie jetzt von seinem Sohn und Nachfolger Baschar al-Assad. Als Saddam Hussein Iran überfallen hat, sagte er: Der Weg nach Jerusalem führt über Abadan, das iranische Zentrum der Ölindustrie am Persischen Golf. Als man Saddam aufforderte, sich aus Kuwait zurückziehen, erwiderte er: Wenn Israel sich aus dem Westjordanland zurückzieht.
Was hat das eine mit dem anderen zu tun?
Eben: Nichts. Palästina, Israel muss immer als Rechtfertigung für andere Ungerechtigkeiten herhalten. Das ist auf der Seite arabischer Machthaber aber pure Heuchelei.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Unterwanderung der Bauernproteste
Alles, was rechts ist
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance